So oder so ist es Mord. Anja Gust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Gust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188300
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ist eine ganze Menge und will wohlüberlegt sein“, erwiderte er daraufhin. „Welche Garantie habe ich?“

      „Mein Wort.“

      Stedekinn hob die Brauen bis zum nec plus Ultra.5 „Sie sind nicht bei Trost! Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

      „Dann bleibt nur der Justiziar Knolle“, erklärte Kathi erstaunlich sachlich.

      Zunächst wollte der Doktor noch einmal intervenieren. Plötzlich wurde ihm ganz heiß und er lockerte sich die Krawatte. Kathis Entschlossenheit machte ihm Angst. „Sie pokern hoch, Frau von Hardenberg. Wissen Sie das?“

      „Sie lassen mir keine Wahl“, erwiderte sie. „Ich bitte um einen eigenen Transponder und Sicherheitssensor für die Anstalt und die Möglichkeit, mit dem Professor allein reden zu dürfen.“

      „Auch das noch“, entfuhr es ihm.

      „Wovor haben Sie Angst?“, setzte Kathi nach. „Ist es wirklich nur die Sorge um meine Person? Ich kenne unseren Klienten und weiß, er wird mich verstehen. Ich habe es in seinen Augen gelesen. Er wird mit uns kooperieren. Vertrauen Sie mir. Das wird auch für Sie von Vorteil sein. Ich werde Sie in meiner Recherche lobend erwähnen.“

      „Recherche? Um Himmels willen!“ Dem Oberrat wurde ganz schwindlig.

      „Es sind noch zu viele Fragen offen, Herr Direktor. Das dürfen wir so nicht stehen lassen!“

      „Was reden Sie da?“ Verärgert fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. „Es gibt keine offenen Fragen!“

      „Lassen Sie es mich herausfinden. Dann sehen wir weiter. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. In den nächsten Tagen erwarte ich einen neuen Dienstauftrag. Gemeinsam mit Hauptkommissar Knoblich werde ich dann erneut die Anstalt aufsuchen. Alles wird sein, als wäre nichts geschehen. Und genau genommen ist es das ja auch nicht, oder? Das ist doch ein faires Angebot!“

      „Sie sind impertinent!“, stieß Stedekinn zornig aus.

      „Mag sein, aber das gehört dazu … Wo steckt unser Hauptkommissar eigentlich? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Er wird doch nicht erkrankt sein? Dann müsste man ihn ja ersetzen. Am besten durch den Kollegen Altnickel. Oder was meinen Sie? … Sollte Herr Knoblich jedoch nebenan sitzen und alles mitgehört haben, erübrigt sich diese Frage.“ Diese Spitze konnte sie sich nicht verkneifen, da sie den roten Leuchtknopf am Telefon blinken sah, der auf ‚Durchstellen‘ geschaltet war. Sein Pech, aber sie kannte sich mit Chefapparaten aus.

      Mit diesen Worten stand sie auf und schulterte ihre Handtasche. Ohne seine Zustimmung abzuwarten, verabschiedete sie sich. Sprachlos sah er ihr mit verkniffenen Lippen nach.

      Kaum war sie verschwunden, platzte Stedekinn ins Nebenzimmer. Dort saß Alex bereits in banger Erwartung auf einem kleinen Hocker kauernd mit verschämt eingezogenem Kopf. Er hatte alles mitgehört und fand keine Worte.

      Dafür aber sein Vorgesetzter. „Himmel Herrgott, Knoblich! Wie konnte so etwas passieren? Wie kommt sie zu meinem Zettel? Ich verlange eine Erklärung!“, brüllte er ihn sogleich an und drohte, jeden Moment den vor ihm stehenden Tisch umzukippen.

      Dieses Häufchen Elend von Hauptkommissar zuckte jedoch nur ratlos mit den Schultern.

      „Was soll das heißen? Ich habe Ihnen diesen Hinweis vertraulich gegeben und erwarte natürlich auch, dass sie ihn so behandeln!“ Stedekinn kochte.

      Alex hingegen blieb erstaunlich ruhig. Er wusste längst, dass der Oberrat allein um seinen Ruf fürchtete. Schon deshalb würde er bestrebt sein, die Sache möglichst klein zu halten.

      Allerdings quälte ihn die Vorstellung, sein Chef könnte einknicken und Kathis Forderung entsprechen. Alex wusste, dass er nach einer solchen Aktion zu einem Statisten degradiert wäre. Der Professor würde es merken und jede Kontrolle über das Geschehen wäre dahin.

      „Seien Sie froh, dass ich Sie jetzt brauche, Knoblich. Sonst hätte ich Sie längst in den Schichtdienst versetzt. Aber wie es aussieht, werden wir nicht umhinkommen, dem Wunsch dieser Dame zu entsprechen“, kündigte Stedekinn auch prompt an.

      „Wie bitte? Das ist nicht Ihr Ernst!“, protestierte Alex sofort aus seiner Starre erwachend.

      „Ich fürchte, wir haben keine Wahl. Herrgott noch mal! Knoblich! Hier ist etwas ins Rutschen geraten, was wir dringend aufhalten müssen! Oder wollen Sie, dass dieses Luder tatsächlich zu Knolle rennt?“

      „Das wird sie nicht tun. Ich werde noch mal mit ihr reden!“, versuchte Alex, ihn zu beruhigen.

      „Nichts werden Sie! Das würde alles nur noch verschlimmern!“ Der Oberrat schlug mit der Faust auf den Tisch und zischte giftig: „Ich lasse mich doch von diesem Weibsbild nicht ruinieren!“ Es folgten noch ein paar unschöne Szenen, die begreiflich machten, weshalb manche Türen gepolstert waren.

      Aber selbst wenn der Doktor um die damit verbundenen Risiken wusste, blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Auftrag zu einer erneuten Befragung des Patienten zu erteilen. Zwar sollte Knoblich der Referendarin dabei die geforderte Eigenständigkeit gewähren, zugleich aber alles daransetzen, größeren Schaden zu vermeiden.

      Auf Alex‘ berechtigte Frage, wie er das anstellen solle, erwiderte der Doktor nonchalant: „Dann lassen Sie sich gefälligst was einfallen! Wozu sind Sie erster SB?“

      Der Hauptkommissar erhob sich und war schon fast an der Tür, als ihm Stedekinn noch nachrief: „Und gnade Ihnen Gott, Haui, wenn Sie es vermasseln!“

      Diese letzte Spitze setzte dem Ganzen noch die Krone auf. Natürlich gab sich Alex gelassen. Und doch ärgerte es ihn. Es war schon erstaunlich, wie billig sich dieser schmierige Kerl aus der Verantwortung stahl. Offenbar wartete er nur auf einen Anlass, ihn fallen zu lassen.

      Nachdem Alex konsterniert das Büro verlassen hatte, zog der Oberrat eine Schreibtischschublade auf, nahm sein Kreuzworträtsel zur Hand und zückte seinen Stift.

      Und als wäre nichts geschehen, steckte er sich eine Lakritz-Pastille in den Mund und knobelte über mögliche Alternativen auf die Frage nach einem törichten Menschen. Wohlweislich überhörte er das Klingeln seines Telefons und setzte vergnügt das Wort ‚Dummkopf‘ ein.

      Währenddessen blieb Alex der Spießrutenlauf durch die Abteilung nicht erspart. Trotz Türpolsterung hatte man den Lärm längst vernommen und ahnte Schlimmes. So stand man nun voller Neugier da, Altnickel an der Spitze, gefolgt von zwei weiteren Speichelleckern, dann die Vorzimmerdame und schließlich ein noch ahnungsloser Anfänger.

      Während sich die einen an Alex‘ Anblick ergötzten, heuchelten andere ihr Bedauern, so ungefähr das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

      Was blieb ihm, als sich gelassen zu geben und einem dieser Dumpfbacken noch in die Wange zu zwicken. Darüber hinaus wünschte er allen noch einen schönen Dienst, woraufhin man ihm nur sprachlos hinterherschaute.

      ****

      Der Visionär

      Ein paar Tage zuvor …

      Die Stimmung war gereizt. Nach dem letzten Sommer herrschte große Angst vor einer neuen Dürre. Die Landwirte schimpften, Politiker beschwichtigten und überall liefen durchgeknallte Klimaaktivisten sturm. Kurzum, der richtige Zeitpunkt für einen Newcomer wie Uwe Lindholm.

      Als Parteivorsitzender und charismatischer Querdenker der noch jungen DVA, stand er schon lange im Fokus seiner Feinde. Dort hatte er sich als markiger Sprücheklopfer und missliebiger Schaumschläger unbeliebt gemacht, was durch die Presse noch befeuert wurde. So nannte man ihn im Norderstedter Wochenjournal (seiner Meinung nach ein Schmierblatt übelster Sorte) erst jüngst einen miesen Populisten und ‚fleischgewordene Ikone des Konservatismus‘.

      Doch das kratzte ihn nicht. Im Gegenteil, er wusste ja, woher das kam. Dabei hatte man ihn erst kürzlich mit überwältigender Mehrheit (und ein wenig Schmiergeld) zum Vorsitzenden wiedergewählt.