So oder so ist es Mord. Anja Gust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Gust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188300
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Beamte brauchen für alles einen Grund, vor allem einen Dienstauftrag. Was sind Sie doch für ein gottverdammter Spießer, Knoblich“, warf ihm der Professor vor.

      Alex schäumte. Man sah ihm sein Unbehagen an. Vor allem aber missfiel ihm Kathis Freimütigkeit, die sie seinen eigenen Späßen gegenüber bislang vermissen ließ.

      „Herr Professor, Sie werden gestatten, aber ich habe Ihre Akte gelesen und bin auf ein paar Ungereimtheiten gestoßen“, fuhr die Referendarin jetzt zum Entsetzen des Hauptkommissars dazwischen.

      „Ja natürlich“, erwiderte dieser. „Weshalb kommen Sie wohl sonst? Nur weiß ich nicht, was das bringen soll.“

      „Aber, ich bitte Sie! Es geht um die Wahrheit. Das sollte Ihnen doch auch am Herzen liegen, zumal manches in der Akte unklar ist“, setzte Kathi nach.

      „Ist es das?“

      „Ich denke schon. Und genau deshalb benötigen wir Ihre Hilfe in Form einer nochmaligen Befragung, die wir protokollieren sollten.“

      „Wie stellen Sie sich das vor?“, intervenierte Wittenburg und sah sie entgeistert an. „Ich bin juristisch unzurechnungsfähig. Folglich ist meine Aussage wertlos.“

      „Ganz so ist es nicht“, korrigierte sie eilig. „Es gibt da einiges, das wir nur mit Ihrer Hilfe klären können, um die Wahrheit herauszufinden.“

      „Die Wahrheit? Wen interessiert schon die Wahrheit, so lange sie nicht die allgemeine Bequemlichkeit stört“, seufzte der Professor und wurde erneut nachdenklich. „Wissen Sie eigentlich, was eine amtlich beglaubigte Entmündigung bedeutet? Sie bedeutet die Befreiung vom Diktat der Moral.“

      „Sparen Sie sich Ihren Zynismus“, unterbrach Kathi ihn, wurde aber umgehend von ihrem Kollegen ausgebremst.

      „Aber natürlich verstehen wir das, verehrter Professor“, korrigierte er seine Referendarin sofort. „Wir verstehen alles. Deshalb sind wir ja hier. Meine Kollegin hat das nicht so gemeint.“

      „Ich meinte das absolut so!“, widersprach sie vehement. „Es könnte sein, dass Sie womöglich unschuldig einsitzen! Ihre Kooperation vorausgesetzt, hätten wir die Möglichkeit, das herauszufinden! Und was tun Sie? Ihnen fällt nichts Besseres ein, als über solchen Unsinn zu sinnieren! Wenn das Ihre ehrliche Meinung sein sollte, gehören Sie wirklich hierher!“

      Alex verschlug es die Sprache. War diese Närrin von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte sie sich so vergessen. Der Professor starrte sie derweil mit offenem Mund an, aber ihre deutlichen Worte überraschten ihn doch sehr.

      Es folgte ein betretenes Schweigen, in welchem niemand als erster das Wort zu ergreifen wagte. Vor allem aber bekam Kathi plötzlich Angst. Fürchtete sie doch, überzogen zu haben.

      Plötzlich legte Professor Wittenburg die Hand an die Stirn und sah sie an, als müsste er sie neu beurteilen. „So ist das also. Sie wollen mir wirklich helfen. Dann wären Sie die Erste. Fürchten Sie denn keine Konsequenzen?“

      „Tut mir leid. Aber ich verstehe nicht.“

      „Nun ja. Man könnte Sie bestrafen, tadeln oder einfach nur übers Knie legen, weil sie etwas Unerwünschtes tun.“ Während der Professor das sagte, verzog er nicht die geringste Miene, indes Kathi krebsrot wurde.

      „Was erlauben Sie sich?“, protestierte sie mit vor Zorn gedämpfter Stimme und starrte den Patienten befremdet an.

      „Ich erlaube mir, Ihnen zu sagen, dass Sie eine hoffnungslose Idealistin sind.“

      „Das sollten Sie doch bitte mir überlassen!“, widersprach sie.

      „Nichts lieber als das. Nur bin ich überzeugt, dass Ihr Kollege das ganz anders sieht. Nicht wahr, Knoblich? So wie ich Sie kenne, ist …“

      „Aber sicher, Herr Professor!“, preschte dieser sogleich dazwischen, ergriff Kathis Arm und begann, sie langsam zur Tür zu ziehen.

      „Was soll das, Herr Professor? Warum lassen Sie sich so gehen?“, intervenierte Kathi, sich Alex‘ Drängen widersetzend. „Sie wissen genau, was auf dem Spiel steht und sicher noch einiges mehr! Nur wagen Sie es nicht auszusprechen, weil Ihr Hochmut Sie daran hindert!“

      Jetzt platzte dem Hauptkommissar vollends der Kragen. Mit einem heftigen Ruck riss er sie in Richtung Milchglastür, als wollte er sagen: ‚Halt endlich deine Klappe‘. Dabei rief er dem Professor noch zu: „Sie werden uns entschuldigen, aber wir haben noch einen anderen Termin!“

      „Natürlich!“, murmelte der Patient vor sich hin und nickte wie zur Bestätigung. Inzwischen betätigte Alex den Signalknopf. Prompt sprang die Tür auf und er drückte Kathi aus dem Patientenbereich. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

      ****

      Der Auftakt

      Kaum draußen, brüllte Alex sie an, ob sie noch alle Tassen im Schrank habe. Er nannte ihr Verhalten in höchstem Maße leichtfertig und dumm und kündigte Konsequenzen an. Dabei war er so erregt, dass er sich ein paar Mal verschluckte. Am Ende gab er ihr unmissverständlich zu verstehen, dass er von ihrem Spleen genug habe und so schnell wie möglich zurückwolle. Hoffentlich könnte man noch Schlimmeres verhindern. Was er damit meinte, ließ er allerdings offen.

      Sie begaben sich zur Schleuse, wo er ihr die Besucherkarte entriss und sie wütend zurückgab. Unweit des Parkplatzes flatterte schwerfällig eine Krähe auf der angrenzenden Grünfläche auf und ließ sich weiter hinten krächzend nieder, symptomatisch für seine Laune.

      Während der Rückfahrt sprachen sie kein Wort. Sobald Kathi ihn mit einem kurzen Seitenblick streifte, stierte er mit finsterem Gesicht auf die Fahrbahn und umklammerte das Lenkrad.

      Wie konnte sie ihn nur so enttäuschen? Ausgerechnet nachdem er sich solche Mühe gemacht hatte, seine Praktikantin auf die Situation einzustimmen, blieb ihr Verhalten eine einzige Provokation.

      Gewiss mochte sie der Idealismus und Übereifer eines Anfängers getrieben haben, wogegen normalerweise nichts einzuwenden war. Hier stand die Sache aber anders. Namhafte Sachverständige hatten über einen Patienten befunden und durch ihren Namen ein Urteil bestätigt, das, nach mehrjährigem Rechtsstreit, allgemeine Anerkennung fand.

      Folglich lag es im allgemeinen Interesse, daran nichts zu ändern, nicht einmal in dem des Beschuldigten. Der hatte sein Urteil ohnehin längst akzeptiert. Jede erneute Anfechtung käme einer Brüskierung der Justiz gleich, ganz zu schweigen vom Imageschaden für die Behörde. Somit arbeitete man für die Akte und nicht gegen sie. Das sollte sie eigentlich längst begriffen haben. Doch irgendwie musste das nicht angekommen sein.

      Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken bei der Vorstellung, sie könnte noch weiter wühlen und irgendwelchen Müll zutage fördern, der nur dumme Fragen provozierte und die Presse aufscheuchte. Das wäre das Letzte, was er gebrauchen konnte und das kurz vor einer A 124.

      Stedekinn verstand da keinen Spaß. Und Alex, als erster Sachbearbeiter (und verantwortlicher Mentor), verspürte nur wenig Lust, ihretwegen bei ihm auf der Matte zu stehen.

      Nur gut, dass sie bisher nur einen ‚kontrollierten‘ Aktenzugang hatte, das hieß unter seiner Aufsicht und lediglich passagenweise. Und das genügte auch. Dieses Mädchen war noch unreif und voller Flausen. Es war unverantwortlich, sie noch tiefer eindringen zu lassen.

      Aber auch Kathi fühlte sich nicht besonders wohl. Zweifellos war sie zu weit gegangen. Schon bereute sie ihren Leichtsinn, womit sie sich in ein schlechtes Licht gerückt hatte. Ob sie jetzt noch eine zweite Chance bekäme, wenigstens mit einem Pillepalle-Fall, schien fraglich. Vielmehr befürchtete sie eine Relegation mit entsprechender Beurteilung.

      Welcher Teufel hatte sie geritten, ausgerechnet ihren ersten Einsatz derart zu verpatzen? Aber dieser Professor hatte sie provoziert. Die Tücke bestand darin, dass es schleichend geschah, als wüsste er genau, wo ihre Schwäche lag. So etwas vertrug sie nicht. Vor allem seine Bemerkung mit ‚dem übers Knie legen‘ weckte unangenehme