„Damit man uns nicht verwechselt“, blödelte Alex grinsend und drückte ihr das Namensschild ans Revers.
Nach Abgabe von Handys, Dienstausweisen und Waffen begaben sie sich zu einer weiteren, gegenüber befindlichen Metalltür mit einer kleinen Klappe in Kopfhöhe. Als diese sich öffnete, wurden sie von zwei strengen Augen taxiert. Nach ein paar belanglosen Späßen ihres Vortänzers, um die Sache etwas aufzulockern, ließ man sie passieren.
Angesichts des sich anschließenden sterilen Vorraums empfand Kathi, trotz des geschäftigen Treibens um sie herum, eine gewisse Beklommenheit. Immer wieder schaute sie sich um. Gab es hier tatsächlich, den Gerüchten nach, biometrische Schleusen mit Venenscanner? Sie konnte sich das nicht vorstellen.
Darauf angesprochen, reagierte Alex nur mit einem lapidaren: „Quatsch“ und trat auf den Bediensteten zu, der diesen Korridor zu bewachen schien.
„He Du! Habt Ihr hier so was wie einen Kaffeeautomaten? Ach, da drüben. Danke!“ Wenig später kehrte er mit zwei Pappbechern zurück und reichte seiner Begleiterin einen – koffeinfrei. Verwundert sah sie ihn an.
„Was guckst du so? Ich muss auf meine Pumpe achten. Bin nicht mehr der Jüngste.“
Während sie zaghaft nippte, registrierte sie den Ansatz einer Tätowierung an seinem linken Unterarm. Passt. Irgendwie prollig und bauernschlau, dachte sie bei sich, kehrte aber sofort wieder zum Geschehen zurück. Neugierig musterte sie die vorbeieilenden Mitarbeiter. Alex hingegen lehnte lässig an der Wand und sah durch eines der vergitterten Fenster.
„Ich verstehe das nicht“, begann sie mit einem Mal. „Warum diese ganze Geheimniskrämerei?“
„Wieso? Was meinst du?“
„Ich habe den Eindruck, hier wird nicht mit offenen Karten gespielt. Was ist mit der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, deren Nachvollziehbarkeit und leitungsmäßigen Kontrolle?“
Jetzt lachte er herzhaft. „Das hast du fein gesagt. Man sieht, du hast deine Hausaufgaben gemacht!“
Mit funkelnden Augen sah sie ihn an, ließ aber nicht locker. „Ist unsere Abteilung auch für die Auswertung der richterlich angeordneten Aufzeichnungen von Kommunikationsdaten zuständig?“
„Das wäre wünschenswert, ist aber strukturell nicht vorgesehen.“
„Also keinen Zugang zu weiteren relevanten Informationen?“, folgerte sie.
Er runzelte die Stirn. „Was sollen diese Fragen?“
„Ich verstehe. Ich darf nur wissen, was für meine Dienstverrichtung vonnöten ist“, erwiderte sie auffallend gereizt und kratzte sich am Arm.
„Das hat auch Vorteile“, witzelte Alex.
„Kann ich mir denken.“
„Nichts kannst du dir denken! So etwas überlass Anderen, die dafür bezahlt werden“, fuhr er sie an, sah genervt auf die Uhr und drängte zum Aufbruch. Im Gehen warf er seinen halb vollen Pappbecher neben den Papierkorb, war aber zu faul, ihn wieder aufzuheben, weshalb nun eine hässliche Kaffeelache zurückblieb. „Was ist?“, grunzte er, als er bemerkte, dass sie darüber das Gesicht verzog.
„Nichts. Schon gut.“
Wenig später erreichten sie einen langen Flur, in dem ihnen grelles Licht von dutzenden Neonleuchten entgegenschlug. Zwei kräftige Betreuer in schneeweißer Kleidung nahmen sie in Empfang. Wortlos durchschritten sie die Flure des Gebäudes. Ihre Schritte hallten auf dem Fliesenboden. Kurze Zeit später erreichten sie den Sicherheitstrakt – den sensiblen Bereich, wie Alex ihr bereits im Vorfeld erklärt hatte.
„Gleich wird es ernst“, alberte er herum und deutete einen leichten Schauer an, wie ein leichtfertiger Mensch gegenüber einem unbedarften Kind, um es zu erschrecken.
Kathi fiel auf, dass alle Milchglastüren mit massiven Kastenaufbauschlössern versehen waren, welche nach dem Öffnen gleich wieder zuschnappten. Keine dieser Pforten blieb länger als fünf Sekunden offen, zweifellos aus Sicherheitsgründen.
Ein ungutes Gefühl, irgendwo zwischen Neugier und Angst, beschlich sie, welches durch die seltsame Stille und Teilnahmslosigkeit der beiden Pfleger noch verstärkt wurde, da diese jeden Blickkontakt vermieden und recht abwesend wirkten. Dabei war es weniger die Schweigsamkeit, als deren sonderbare Entrücktheit.
Seltsamerweise war Alex jetzt auch ganz ruhig geworden, als wollte er die ohnehin schon erdrückende Spannung noch steigern. Dabei hatten sie den Patientenbereich noch gar nicht erreicht.
Wenig später wurden diverse Türen von einem der Betreuer unter dem Rasseln des mächtigen Schlüsselbundes geöffnet. Bemerkenswert war, dass kein Schlüssel zu einer zweiten Tür passte. Nur anhand ihrer farbigen Kennzeichnung waren sie für das Personal zu unterscheiden.
Für einen Moment ergriff Kathi eine absurde Panik. Sie dachte daran, dass sie ihre Besucherkarte verlieren könnte. Ganz ohne Legitimation würde es schwierig werden, ihre Identität und vor allem ihre Normalität zu beweisen. Man hörte wiederholt, dass es gerade in Nervenheilanstalten keinen relativeren Begriff als den der Normalität gäbe, denn im Grunde sei dieser durch nichts zu belegen, außer durch die eigene Behauptung.
Allerdings kam Kathi zu keinen weiteren Überlegungen, denn inzwischen hatten sie den Patientenbereich erreicht, wo sich ihnen sogleich ein seltsames Szenario bot. In einer hell erleuchteten Halle mit kahlen Wänden und großen vergitterten Fenstern herrschte viel Lärm, ähnlich wie in einer Bahnhofshalle.
Überall standen Leute herum und waren mit irgendwelchen sonderbaren Dingen beschäftigt. Während einige in tiefer Apathie eigenartige Körperübungen vollführten, waren andere in lautstarke Monologe vertieft und das so heftig, dass sie teilweise vor Eifer errötete Wangen hatten. Wieder andere sangen, schienen überaus konzentriert oder wirkten anderweitig sehr beschäftigt. Manche saßen da und wippten stoisch mit dem Oberkörper. Andere rauften sich die Haare und kreischten fortwährend.
Noch schlimmer aber war der penetrante Geruch von Medizin und abgestandener Luft. Der graue Boden und die gelben Wände waren fleckig. Nur mit Mühe konnte Kathi einen Würgereiz unterdrücken. Unwillkürlich wich sie ein Stück zurück.
Eine Frau mit kurzem, schneeweißem Haar saß auf einem roten Stuhl und keifte jeden an, der an ihr vorbeizog. Sekunden später bedeckte sie die Ohren und rief immer wieder nach ihrem Kind, indes eine andere darüber hysterisch lachte. Unverhofft trat ein kleiner kahlköpfiger Mann auf Kathi zu und nannte sie ‚seine Rose‘.
Jemand anderes fragte, was das Fräulein von Beruf wäre. Mit großen Augen schaute er sie an, klatschte in die Hände und küsste sich die Finger. Und das tat er genau in dem Moment, als Kathi zu ihm zurückblickte.
Wieder ein anderer – ein schmächtiges Kerlchen in Filzlatschen und mit einem viel zu großen Militärmantel bekleidet – salutierte vor ihr in strammer Haltung. „Genossin Major! Während meines Dienstes keine Vorkommnisse! Es meldet Stabsgefreiter Krömer!“
Daraufhin durchfuhr Kathi ein solcher Schreck, dass sie den Sensor betätigt hätte, wäre sie in dessen Besitz gewesen.
„Danke, rühren!“, sprang Alex ihr sogleich bei. Daraufhin machte der Mantelträger eine exakte Kehrtwendung und paradierte im Stechschritt davon.
Darüber amüsiert, erklärte der Hauptkommissar, dass es sich bei dieser Person um einen ehemaligen NVA-General handele, dem der militärische Drill zu Kopf gestiegen sei. Bei ihm gehe alles nach Dienstvorschrift. Diese habe er so verinnerlicht, dass sie per Knopfdruck abrufbar sei.
Kathi war völlig perplex. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, folgte die nächste seltsame Begegnung: Ihnen stand eine absonderliche Gestalt mit einem Metalleimer über dem Kopf gegenüber.
„Sie dürfen hier nicht passieren! Das ist mein Claim!“, hallte eine dumpfe Stimme unter dem Topf hervor.
„Da irrst du dich aber, mein Bester“, erwiderte