»Wieso?«, fragte Desiderius und blickte den König neugierig an. »Es finden sich immer Gelegenheiten, sein Können unter Beweis zu stellen. – Jetzt, zum Beispiel.«
Doch der König schüttelte entschieden den Kopf. »Mein jüngster Sohn war eine Weile schwer krank, es ist ein Wunder, das er überlebt hat. Ich will nicht, dass er sich überanstrengt.«
»Welchen Weg seht Ihr für ihn vor, Eure Majestät?«, fragte Desiderius, dessen Blick wieder auf Prinz Wexmell ruhte.
Neugierig und sehr aufmerksam verfolgte der junge Prinz das Duell zwischen seinen beiden Brüdern. Er wirkte unglücklich, wie er so abseits bei seinen Schwestern sitzen musste.
»Die Kirche in Dargard ist wild darauf, einen meiner Söhne bei ihnen willkommen zu heißen«, erklärte der König. »Ich werde Wexmell wohl Ihrer Ausbildung überlassen.«
Schockiert fuhr Desiderius herum. »Ihr wollt Euren Sohn zu einem Priester ausbilden lassen?«
Der König antwortete mit unglücklicher Stimme: »Er ist sehr klug, er wird es dort weit bringen. Vielleicht wird er das Oberhaupt der menschlichen Kirche.«
»Aber die Kirche gehört zur menschlichen Kultur«, warf Desiderius schockiert ein. »Ein Luzianer, der vor den Göttern kniet? Das könnt Ihr doch nicht ernstlich in Betracht ziehen!«
»Umso wichtiger ist es, dass sich einer meiner Söhne in die Hände der Kirche begibt. Es zeigt dem Menschenvolk, das ich ihre Riten achte. Es wird mein Bündnis zu den Menschen in den Ebenen stärken.«
Desiderius konnte es kaum glauben. Er wandte den Blick ab und sah wieder hinunter zu dem jungen Prinzen, der mit hängenden Schultern zwischen seinen Schwestern saß und seine zarten Fingerchen knetete.
Vielleicht hatte Desiderius sich in ihm getäuscht. Ja, er war verwöhnt, das bedeutete aber nicht, dass der Prinz es so gewollt hat. Er wurde ungewollt in Watte gepackt.
Einerseits stimmte die Aussage des Königs, es würde das Bündnis wahrlich stärken, jedoch auf Kosten des Glücks des jungen Prinzen.
»Wenn ich Euch einen Rat geben dürfte, Majestät«, begann Desiderius mit Blick auf Prinz Wexmell. »Wenn Euch das Glück Eures jüngsten Sohnes etwas bedeutet, dann verlangt das nicht von ihm. Lasst ihn sich beweisen und findet eine Aufgabe für ihn, die ihn, und nicht Euch, glücklich macht.«
Der König betrachtete lange und nachdenklich Desiderius’ Gesicht, der es seinerseits nicht wagte, nach dieser Anmaßung, den Kopf zu drehen.
Bellzazar, der neben dem König stand und das gesamte Gespräch wortlos mit angehört hatte, räusperte sich nun. »Der Bursche hat Recht, mein König, es ist nicht in deinem Sinne, deinen Lieblingssohn in einer Kirche versauern zu lassen.«
Schwer seufzte der König: »Ich weiß. Ich will ihn nur beschützen und lasse ihn nur ungern aus den Augen.«
»Er wird nie das Gefühl haben, von dir und seinen Brüdern respektiert zu werden, wenn du nicht anfängst, ihn wie einen Mann, statt wie ein Mädchen zu behandeln«, sprach Bellzazar auf den König ein. »Er war krank, jetzt ist er aber auf dem Weg der Besserung. Lass ihm etwas von seinem Stolz und erlaub ihm, seine Ausbildung aufzunehmen.«
Doch der König schüttelte seinen hängenden Kopf. »Er ist noch nicht soweit.«
Die Besorgnis des Königs war nachzuvollziehen. Kein Vater wollte das Leben einer seiner Söhne riskieren. Erst recht nicht, wenn es schon einmal wegen einer Krankheit in Gefahr gewesen war. Dennoch war Desiderius nicht seiner Meinung.
Desiderius hatte den Eindruck, dass die Zukunft des jüngsten Prinzen schon oft Gespräch war. Aber was ihn viel neugieriger machte, war die unbeantwortete Frage, woran der junge Prinz erkrankt war.
Jegliche Überlegung dahingehend wurde jedoch brüsk unterbrochen, als ein kriegerischer Aufschrei ertönte und Prinz Karic das Duell beendete, indem er seinen jüngeren Bruder überwältigte, auf den Rücken schmiss und einen Fuß auf dessen schweißnasse Brust stellte.
Die Umstehenden klatschten, und bejubelten ihren Kronprinzen, der sich nur zu gerne feiern ließ.
Nur einer jubelte nicht. Prinz Wexmell, der mit seiner Rolle, die man ihm aufzwang, reichlich unglücklich war. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er sich danach sehnte, auch mit einem Schwert in der Hand sein Können zu beweisen. Seine Männlichkeit zu beweisen.
Desiderius konnte es ihm nachfühlen, er käme sich ebenso wertlos vor, wenn man ihm als Mann das Kämpfen verbieten würde. Jeder sollte das Recht haben, ein Schwert in die Hand nehmen zu dürfen. Ob Mann oder Frau.
Und wenn der König all seinen Söhnen eine Kampfausbildung finanzierte, dann auch seinem jüngsten Sohn, egal, wie krank er einmal war. Prinz Wexmell sollte selbst entscheiden dürfen, ob er seinem Körper zutraute, sich anzustrengen.
Die Menge verstummte, und als Desiderius den Blick von Prinz Wexmell nahm, fiel ihm auf, dass alle zu ihm hinauf starrten und erwartungsvoll den Atem anhielten.
In der Mitte des Innenhofs stand der stolze Kronprinz und zeigte mit der Spitze seiner Schwertklinge auf Desiderius.
»Was ist nun?«, fragte Prinz Karic und grinste herausfordernd. »Wollt Ihr mir und den Umstehenden beweisen, das Eure Kampfkünste so gut sind, wie Bellzazar behauptet?«
Desiderius mochte es nicht, derart herausgefordert zu werden. Es waren Spielereien, die er nicht nachvollziehen konnte. Wenn er und Bellzazar aufeinandertrafen, kämpften sie, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Nur für sich, weil sie füreinander eine echte Herausforderung darstellten, und nicht, um möglichst viel Jubel zu erhalten. Prinz Karic war offensichtlich nur auf den Applaus der Menge aus. Das widerstrebte Desiderius.
Schmunzelnd gab er freundlich, aber gleichwohl höhnisch zurück: »Ich möchte Euch nicht blamieren, mein Prinz.«
Desiderius sah in den Augenwinkeln, wie Prinz Wexmell zu ihm auf schmunzelte.
Der Kronprinz war nicht beleidigt, er erwiderte gelassen: »Ich wage zu bezweifeln, dass Ihr mich schlagen könnt, Desiderius. Bei allem Respekt, aber ich wurde von den besten Schwertkämpfern Nohvas ausgebildet, und Ihr habt Eure Künste auf Reisen gelernt, um Euch vor wilden Tieren zu schützen. Vergebung, aber ich fürchte, ich werde Euch blamieren.«
Angespanntes Schweigen entstand, während die Menge darauf wartete, dass Desiderius eine Entscheidung traf.
Desiderius’ Blick schweifte kurz zu Prinz Wexmell der mit leicht geöffneten Lippen und voller Spannung zu ihm aufsah. Das war ein Kampf, den der junge Prinz sehen und mit voller Begeisterung verfolgen wollte.
Plötzlich kam Desiderius eine Idee. Er grinste und deutete in Prinz Karics Richtung eine Verbeugung an: »Mit dem größten Vergnügen, Euer Gnaden!«
Er ging am König und Bellzazar vorbei, um in den Innenhof zu gelangen, doch da packte Bellzazar seinen Arm und flüsterte ihm warnend zu: »Verletzt ihn nicht, das würde dem König nicht gefallen.«
»Wir werden sehen«, gab Desiderius zurück und löste sich mit einem entschlossenen Ruck aus dem Griff des Halbgottes.
Unten im Innenhof angekommen, kam auch schon ein junger Bursche angerannt und reichte ihm sein Schwert.
Desiderius zog es aus der Scheide und schwang es einige Male. Die Klinge zerschnitt die Luft und ließ sie pfeifen. Jemand musste sie bereits für ihn geschärft haben, denn er erinnerte sich nicht, sie in einem so guten Zustand zurückgelassen zu haben. Ohnehin erinnerte er sich nicht, sie in die Waffenkammer gegeben zu haben. Er vermutete, dass sein Vater dahintersteckte.
Desiderius brachte sich vor dem Prinzen in Position.
»Wollt Ihr Euer Hemd anbehalten?«, fragte Prinz Karic.
Desiderius nickte. »Es behindert mich nicht beim Kämpfen.«
»Wie Ihr meint«, nickte der Prinz. »Wollen wir?«
Desiderius