»Niemand beachtet uns«, versprach der Blonde, amüsiert über Desiderius` Verhalten. »Sie haben alle zu viel Wein getrunken und sind mit sich selbst beschäftigt. Meine Brüder schwatzen und scherzen, während sie von den Huren aus den Bordellen in Dargard schwärmen. Karic versüßt Lady Silva mit Schmeicheleien den Abend. Der König unterhält den Lord und ihre Gattinnen mit Geschichten, und meine Schwestern tanzen ausgelassen um das Feuer. Niemand hat auch nur bemerkt, dass wir fehlen.«
Desiderius schüttelte mit eiserner Miene den Kopf. »Du verstehst es nicht, oder?«
»Was denn?«, fragte der Prinz leise lachend. »Dass du mich von dir stößt, weil du lieber den einsamen Wolf spielen willst? Vergiss doch mal deine harte Fassade und gönn dir etwas. Solange ich noch hier bin, stehe ich dir zur Verfügung.«
Desiderius trat auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. Ein drohender Finger zeigte auf Wexmells Nasenspitze als Desiderius leise zischend erklärte: »Jetzt hör mir mal gut zu! Vielleicht kannst du mit anderen so umgehen, und ganz bestimmt bist du es gewohnt, alles zu bekommen, was du willst, aber ich bin nicht dein neues Spielzeug, verstanden?«
Verstört öffnete der Prinz den Mund, um etwas zu erwidern, doch Desiderius ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen.
Er pikste dem Blonden mit dem Zeigefinger in die Brust. »Wenn dir langweilig ist, such dir eine andere Beschäftigung. Wenn du rebellieren willst, such dir eine Bauerstochter. Aber schlag dir aus dem Kopf, dass ich dir die nächste Zeit die Langeweile vertreibe, bis du ein neues Spielzeug gefunden hast, Eure Hoheit.« Desiderius’ Gesicht wurde noch etwas finsterer, als er sich über den sprachlosen Prinzen beugte und zischend flüsterte: »Ich spiele nicht deinen Liebhaber und riskiere mein Leben für eine weitere Nacht mit dir.«
Prinz Wexmell schüttelte eilig den Kopf, während er stammelte: »Ich ... Ich habe nicht ...«
»Du kannst dir das vielleicht erlauben, ich aber nicht«, erklärte Desiderius leise, aber eindringlich. »Was denkst du dir eigentlich? Dass wir hier an der Küste sind? Wenn wir auch nur einen winzigen Fehler machen, rollt mein Kopf. Deiner vielleicht nicht, weil du ein Prinz bist, aber ich kann dir versichern, dass ich ein toter Mann bin, wenn auch nur einer auf die Idee kommt, dass wir das Lager geteilt haben oder noch immer teilen. Also tu mir einen Gefallen und halt dich von mir fern. Ich bin nämlich gern der einsame Wolf, aber dafür am leben!«
Der junge Prinz starrte ihn aus seinen großen, eisblauen Augen verblüfft an. Sein Mund begann, sich zu bewegen, aber kein Ton kam heraus.
»Außerdem«, fügte Desiderius noch einmal flüsternd hinzu, »gibt es eine Person, die mich nie aus den Augen lässt. Falls es dir nicht aufgefallen ist: mein Bruder Arerius sitzt in der dunklen Ecke neben dem Hallentor und starrt uns unentwegt an. Seit er erfahren hat, dass wahrscheinlich ich die Burg bekomme, und nicht er, sucht er nach einem Weg, mich loszuwerden. Und mir wäre es ganz Recht, wenn ich nicht hingerichtet werden würde, weil ich einen Prinzen zur Sünde verführt habe.«
Damit wandte er sich abrupt ab und stampfte sauer den dunklen Korridor entlang. Er hatte genug von dieser Feier und wollte für den Rest der Nacht allein sein. Desiderius hoffte, dass der kleine Prinz nun verstanden hatte, was auf dem Spiel stand, und ihn in Ruhe ließ.
Ganz leise konnte Desiderius den Prinzen noch eingeschüchtert wimmern hören: »Vergebung.«
8
Am nächsten Morgen wurde Desiderius durch den Lärm klirrender Schwerter geweckt, die im Innenhof gegeneinanderschlugen. Rufe und Jubel drangen zu seinem offenen Fenster hinauf.
Desiderius stand auf und tapste verschlafen zu seinem Fenster, vor dem die Vorhänge im milden Frühlingswind wehten.
Langsam wurde es immer wärmer, das war nicht zu leugnen.
Er rieb sich die rot unterlaufenen Augen, da ihm der Wein der letzten Tage an diesem Morgen ziemlich zusetzte. Sein Kopf schmerzte. Es gab eben doch einen großen Unterschied zwischen den teuren Weinen, die die Adeligen tranken, und dem stark verdünnten, billigen Gesöff, das er immer an der Küste zu sich nahm.
Vielleicht rührten seine Kopfschmerzen aber auch daher, dass er gestern den Mann abgewiesen hatte, den er seit dieser einen gemeinsamen Nacht nicht mehr aus seinen Gedanken bekam. Nachts war es am schlimmsten, wenn er von dem jungen Prinzen träumte und die einzige Möglichkeit, Schlaf zu finden, darin bestand, an den schönen Blonden zu denken, während er sich eigenhändig Befriedigung verschaffte.
Es war schwer für Desiderius, auf etwas zu verzichten, das er begehrte und zudem noch ziemlich leicht bekommen könnte. Aber es war für ihn zu gefährlich, also schlug er sich den Prinzen aus seinem Kopf.
Desiderius sah aus dem Fenster und erblickte die königliche Familie und ihre Gefolgschaft im Innenhof. Der Kronprinz und einer seiner Brüder lieferten sich einen Schwertkampf, während die anderen Prinzen und die Prinzessinnen um sie herumsaßen und zusahen.
Ohne sich frisch zumachen und mit zerzaustem Haar, zog er sich ein Leinenhemd über und ging hinaus auf die Mauer, um dem Duell von einem erhöhten Standpunkt aus zusehen zu können.
Er hatte gehofft, dort allein zu sein, doch als er dort ankam, erblickte er den König und seinen treuen Begleiter Bellzazar.
Desiderius drehte sich um, weil er in diesem Aufzug nicht vor den König treten wollte, doch da hatte man ihn schon erkannt.
»Desiderius!«, rief der König erfreut.
Er drehte sich zu ihm um und neigte ehrfurchtsvoll seinen Kopf. »Majestät.«
»Kommt her«, der König winkte ihn heran, »leistet uns Gesellschaft.«
Desiderius zögerte kurz und warf einen sehnsüchtigen Blick zurück auf die Tür, aber dem König widersprach man nicht. Also gesellte er sich notgedrungen zu den beiden.
Desiderius lehnte sich neben den König auf die Mauer und spähte hinunter in den Innenhof. Prinz Karic und sein jüngerer Bruder trugen lediglich zwei leichte Lederhosen und Stiefel. Ihre Oberkörper waren nackt und der Schweiß, der auf ihrer Haut klebte, schimmerte im Schein der Morgensonne. Ganz zu Desiderius‘ Freude, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte, während er den stattlichen Männern beim Kämpfen zusehen konnte.
Prinz Karic benutzte einen Zweihänder, dessen eiserne Schwertklinge edel aufblitzte, wenn er es anhob und herum schwang. Sein Kontrahent benutzte ein kürzeres Schwert und einen Schild mit dem königlichen Wappen – einer goldenen Nachtschattenkatze auf weißem Grund und goldenen Umrandungen –. Beide kämpften gut und hatten innerhalb weniger Sekunden Desiderius’ Respekt inne.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, fragte der König stolz. »Ich scheue keine Kosten für die Ausbildung meiner Söhne. Sie müssen nicht nur gebildet sein, sondern auch die besten Schwertkämpfer, die Nohva je gesehen hat.«
»Sie müssen?« Desiderius sah den König belustigt an. »Sie haben keine Wahl?«
»Doch, natürlich«, warf der König milde lächelnd ein. »Aber ich prahle gern damit, dass ich meinen Kindern die beste Ausbildung mit auf den Weg gebe.«
»Und wenn sie nicht so gut sind, wie erhofft?«, fragt Desiderius. Sein Blick fiel unwillkürlich auf eine der aufgestellten Tribünen, zu dem jüngsten Prinzen. Der kleine Blonde wirkte nicht wie jemand, der lange ein Schwert mit seinen dünnen Armen halten konnte. Aber Desiderius machte nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. In ihrer einzigen, gemeinsamen Nacht hatte er gesehen, dass unter der schmalen Erscheinung stramme Muskeln auf den Einsatz warteten.
Als hätte er den Blick bemerkt, hob Prinz Wexmell seinen Kopf und sah hinauf zu Desiderius. Ihre Blicke verhakten sich ineinander und für den Bruchteil eines Augenblicks schien die Zeit still zu stehen. Diese Augen waren zu blau, dieses Gesicht zu schön, um einen Mann bei klarem Verstand zu halten. Voller Erwartung und Sehnsucht sah der Prinz zu ihm hinauf und Desiderius konnte seine Augen nicht von ihm nehmen.
Er hätte ihm gern gegeben, was er sich ersehnte, aber