Desiderius hielt sich raus, er hatte nur einen Vorschlag unterbreitet, nichts weiter. Alles Weitere lag in ihren Händen. Er richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust, während er den beiden zuhörte.
Bellzazar sagte zu seinem König: »Du hast die Wahl, Wexmell. Entweder du fängst an, deine Soldaten auf einen großen Krieg vorzubereiten, der unzählige Opfer fordern wird. Soldaten und viele Zivilisten werden abgeschlachtet. Oder wir machen, was der Bursche sagt, und schwächen diese Mistkerle, bevor sie überhaupt auf die Idee kommen, uns anzugreifen.«
»Sie werden wissen, dass wir dahinterstecken, und es uns mit gleicher Münze heimzahlen«, fürchtete der König.
Bellzazar lehnte sich gegen den Tisch, auf dem eine Karte von Nohva ausgebreitet war, und fragte seinen König: »Hast du schon mal Gebirgsmenschen gesehen, Wexmell? Große, muskulöse Männer. Fleischberge, aber verdammt wendig für ihren Körperbau. Sie sind brutal, sie sind verbissen, sie sind robust. Robuster als die Menschen, die du aus den Ebenen kennst. Das sind Barbaren. Wilde. Wenn sie erst Blut geleckt haben, sind sie kaum aufzuhalten.«
Der König sah ihn tadelnd an, denn natürlich kannte er jedes Volk in seinem Königreich.
Desiderius wusste, dass Bellzazar Recht hatte. Er hatte einst Gebirgsmenschen gesehen und sich mit einigen angelegt, die ihn beinahe mit bloßen Händen in Stücke gerissen hätten. Und das obwohl er die Kreatur mit den Fängen im Mund war.
»Und die Wüstenbewohner, mein König?« Bellzazar sah ihn eindringlich an. »Ich muss dir ja nicht sagen, dass diese ölfarbenen, schmaläugigen Scheißkerle sadistisch veranlagt sind. Es geht nicht nur um Ländereien, verdammt noch mal. Wenn diese beiden Völker sich zusammenschließen, werden ihre Soldaten auf dem Weg in die Hauptstadt jedes noch so kleinste Dorf niedermetzeln.«
Es war vielleicht etwas zu gemein ausgedrückt, dachte Desiderius insgeheim. Aber er selbst fand ebenso wenig gute Worte über das Wüstenvolk. Sie hatten eine reiche Kultur und es war ein schönes, wildes Land. Aber die Krieger von dort waren nun mal wirklich dafür berüchtigt, sadistische Kriege zu führen. Ihre Grausamkeit war ihre spezielle Fähigkeit, auf die sie stolz waren, weil ihre Feinde sich deshalb vor ihnen fürchteten. So wie Luzianer stolz waren, dass Menschen sich vor ihren Fängen fürchteten. Oder so wie Gebirgsmenschen stolz darauf waren, dass ihre Feinde sich vor ihrer verbissenen Sturheit und ihren robusten Körpern fürchteten. Jeder hatte einen Trumpf auf seiner Seite.
Der König schloss gequält seine blauen Augen.
Doch Bellzazar ließ nicht locker: »Stell es dir vor, Wexmell. All das Blut, die Leichen der Unschuldigen, die Schreie der geschändeten Frauen und Kinder.«
Der König hob seine Hände, um Bellzazar zum Schweigen zu bringen.
Desiderius stand ganz auf Seiten des Halbgottes in dieser Angelegenheit, doch er hielt diesbezüglich den Mund.
Seine Miene musste Bände sprechen, denn als der König ihn ansah, fragte dieser seufzend: »Und wenn wir Zeit gewonnen haben, was dann?«
»Dann rüsten wir schnellst möglich auf«, antwortete Bellzazar. »So auffällig, dass jeder weiß, dass niemand uns stürzen kann.« Er überdachte das und korrigierte schnell: »Dich, meine ich. Damit jeder weiß, dass niemand dich stürzen kann.«
»Ihr müsst das Bündnis mit den Menschen in den Ebenen stärken«, mischte sich Desiderius vorsichtig ein. »Sucht das Waldvolk auf, bittet sie, für Euch zu kämpfen. Sie führen lieber Krieg, als Euch fallen zu sehen. Besucht die Küsten, heuert Söldner an, zieht Räuber und Piraten auf Eure Seite. Glaubt mir, Majestät, es gibt viele, die für Euch zum Schwert greifen würden, ob gesetzloser oder treuer Bürger.«
»Wir stellen die größte Armee auf, die Nohva je gesehen hat«, stimmte Bellzazar mit feurigem Enthusiasmus zu.
»Aber zu aller erst, müssen wir Euch Zeit verschaffen«, warf Desiderius ein.
Der König dachte angestrengt darüber nach. Er raufte sich nach einer Weile sogar verzweifelt die blonden Haare.
»Denk an deine Kinder«, drängte Bellzazar, zeigte aber selbst keinerlei emotionale Rührung.
Der König sah Bellzazar an. »Und du bist in der Lage, das durchzuführen?«
»Oh ja«, grinste der Halbgott verschwörerisch.
Der König sah Desiderius an und beschloss: »In Ordnung, wir werden es tun.«
Bellzazar gab ein triumphierendes »Ja« von sich und hob eine Faust in die Luft.
Desiderius lächelte; und er lächelte auch darüber, dass sein Vorschlag angenommen wurde.
»Ich werde mich mit Desiderius darum kümmern, sobald wir in einigen Tagen hier abreisen«, versprach Bellzazar.
»Das bleibt aber unter uns dreien«, sagte der König noch streng. »Niemand sonst erfährt davon!«
Desiderius und Bellzazar nickten bestätigend. Dann ließen sie den König mit seinem schlechten Gewissen fürs Erste allein.
Desiderius wusste nicht so recht, ob er sich auf die Reise mit dem Halbgott freute oder ob er sie vielleicht sogar fürchten sollte. Doch kein noch so schlechtes Gefühl, das er gegenüber dem magischen Wesen hegte, würde ihn von diesem Abenteuer abhalten. Auch wenn es vermutlich das hinterhältigste Manöver war, das er bis dorthin je ausgeführt hatte.
7
Am Abend wurde in der großen Burghalle ein Fest zu Ehren der einstimmigen Verlobung des Kronprinzen und der Lords Tochter der M’Shier Familie gefeiert.
Ein Fest im kleinen Kreise, nur für die Familienangehörigen. Die richtige Verlobungsfeier würde in wenigen Wochen in Dargard stattfinden. Bei der Desiderius sich nicht blicken lassen würde, er hatte sich vorgenommen, erst zur Hochzeit anwesend zu sein. Aber auch dann nur um zu zeigen, dass er da war. Er würde sich die Vermählung in der großen Kirche ansehen und dann wieder so schnell wie möglich verschwinden. Er war kein Freund von solchen Feiern. Zu viele Menschen, zu viele Heuchler.
Desiderius stand oberhalb der Treppe und lehnte auf dem steinernen Geländer. Von seinem Platz aus konnte er in die Halle hinunterblicken und die jungen Damen tanzen sehen.
Die Prinzessinnen hüpften um die entfachte Feuerstelle in der Mitte der Halle, in ihren weißen, unschuldigen Gewändern und mit den bunten Bändern in den gelockten, goldenen Haaren wirkten sie fast wie Feen.
Der Rauch, der vom Feuer verursacht wurde, konnte durch eine kleine Öffnung im kuppelförmigen Dach der Halle entweichen. Desiderius folgte dem Verlauf der Rauchschwaden und blickte durch die kleine Öffnung hinaus in den sternenklaren Himmel.
Das hier könnte seine Festung sein, ging es ihm durch den Kopf. Er musste nur Ja sagen.
Aber entschied man sich einmal für einen Weg, gab es kein Zurück mehr. Das behagte ihm nicht. Außerhalb des Adels war das Leben anders. Natürlich hatten auch die Armen Verpflichtungen, aber wenn ein Bauer entschied, seine Familie zu verlassen, geriet wenigstens nicht ein gesamter Landabschnitt ins Chaos.
Wenn Desiderius Lord des Toten Waldes werden sollte, könnte er nie wieder gehen. Er gäbe damit seine Freiheit auf.
Andererseits gewann er dafür mehr, als er vielleicht verlor. Mal abgesehen vom Stolz seines Vaters, würde er die Möglichkeit erhalten, sich des Königs Anerkennung zu sichern. Und welcher Mann hätte diese nicht gerne inne? Gerade dann, wenn man viel zu verbergen hatte.
»Und?«, säuselte eine herannahende Stimme, »wirst du eine meiner Schwestern zur Frau nehmen?«
Desiderius warf einen kurzen Blick auf den jungen Prinzen, der sich seitlich mit einem Becher Wein neben