Beate erzählte mir, dass sie das Auto mit den vier Personen, er neut in der Nähe ihrer Wohnung gesehen hätte. Ich riet ihr zur Kripo zu gehen und den Vorgang zu melden, weil es ein Teil davon war, wie die Verbrecher Druck aufbauten. Sie berichtete dem Be amten von den ganzen Bedrohungen und Verfolgungen, die im Zusammenhang mit meiner Sache stünden. Man nahm es zur Kenntnis, mehr nicht. In der Akte tauchte es nie auf.
Ich selbst hatte die naive Vorstellung, dass die weiteren Ermitt lungen unter dem Aspekt der Erpressungen gesehen würden und man dementsprechend handelte. Schließlich hatte ich noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Noch nicht einmal Punkte in Flensburg standen in meinem Register. Irgendwelche Konsequen zen aus der Sache verdrängte ich. Das konnte einfach nicht sein. Die Ermittler mussten erkennen, dass so nur jemand handelt, der unter enormen Druck steht und einen vollkommen schwachsin nigen Plan so durchzieht. Das passte doch nicht zu einem stu dierten Marketingfachmann mit einer, bis dahin, blütenweißen Weste. Hatte ich doch genug geblutet und es sah so aus, als ob die Verbrecher nun endgültig von mir abgelassen hätten. Zu holen gab es sowieso nichts mehr.
Meinen 40. Geburtstag feierte ich noch mit den letzten übrig gebliebenen treuen Seelen. Doch auch bei denen bröckelte es schon.
Im August bekam ich die nächste Ladung der Kripo. Diesmal sollte ich als Zeuge und Geschädigter zu den Erpressungen aussa gen. Ein Bekannter aus alten Fußballzeiten führte die Verneh mung. Alles was passiert war, inklusive genauer Täterbeschreibun gen, gab ich detailliert zu Protokoll.
„Warum hast mich nicht mal angesprochen?“ fragte der Beam te.
Ich beschrieb ihm meine Ängste, warum ich es nicht getan hat te.
„Hättet ihr denn über so eine lange Zeit überhaupt Leute abge stellt?“
„Welche Garantie hätte ich gehabt, dass ihr diesen Sumpf tro cken legt? Vermutlich wäre alles als Hirngespinst abgetan wor den. Diese Einschätzung hatte ich nämlich von deinem Kollegen, als ich mich ganz am Anfang an euch gewandt habe.“
Eine Antwort darauf blieb mir der vernehmende Beamte schul dig.
Einige Wochen später machte Beate ihre Aussage und gab die Vorkommnisse zu Protokoll.
Wir beide warteten nun darauf, dass sich etwas in Richtung Ermittlungen gegen die Erpresser tun würde. Insbesondere die Anfertigung von Phantombildern aufgrund meiner Personenbe schreibungen stand noch aus. Doch nichts geschah.
Stattdessen rief mich ein KHK LAHMERT an und forderte mich auf, ich solle meine Strafanzeige wegen Erpressung zu meinem Nachteil doch zurückziehen. Es wäre noch nicht einmal ein An fangsverdacht da. Ich traute meinen Ohren nicht und bestand mit Nachdruck auf weitere Ermittlungen.
Ich bekam ein Schreiben vom Landgericht Kassel. Darin erklär te ein Richter LOH P, in Kürze das Hauptverfahren gegen mich eröffnen zu wollen und forderte mich auf, einen Verteidiger zu benennen.
Wieder legte man mir einen Strick um den Hals, aber diesmal von der anderen Seite. Bis dahin hatte ich immer gehofft, wenn es zu einem Prozess kommen würde, dann gegen die Erpresser und mit mir als Zeugen und Geschädigten. Doch nun zerrten sie mich vor den Kadi. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Ich sprach mit Beate über das, was auf mich zukommen wür den. Sie kannte einen Anwalt, der auch bereits in Unterhaltssa chen für sie tätig war.
ANDREAS JOHL war nicht nur Rechtsanwalt, sondern hatte auch Betriebswirtschaft studiert. Diese Kombination erschien mir von Vorteil, um die Komplexität der Sache auch richtig einschät zen zu können.
Bei meinem ersten Gespräch mit ihm, hörte er mir aufmerksam zu, als ich die Vorkommnisse schilderte.
Es wunderte ihn überhaupt nicht, dass die Kripo nichts in Rich tung Erpresser unternommen hatte.
„Sie haben es hier mit einer Behörde zu tun. Da sind Sie nur eine Nummer, die abgearbeitet werden muss. Die haben Ihren Täter. Etwas anderes interessiert die nicht“, klärte er mich auf.
„Ich werde mir jetzt erst mal die Akten kommen lassen und mit dem Richter sprechen. Dann sehen wir weiter.“
Für mich war es schon einmal beruhigend, dass er mir glaubte, als ich ihm die Dinge schilderte. Ein vollkommen neues Gefühl, war ich doch bisher immer gegen eine Wand gelaufen.
Die Gerüchteküche war inzwischen auch in meinem Elternhaus angekommen. Mein Bruder reagierte überhaupt nicht, meine Mut ter stellte Fragen, was los sei. Ich klärte sie über den Sachverhalt auf, aber sie verstand nicht oder wollte nicht verstehen. Von noch jemanden, außer von Beate, etwas seelischen und moralischen Beistand zu erhalten, konnte ich vergessen. Da musste ich alleine durch.
JOHL bat mich um ein weiteres Gespräch. Die Akten waren gekommen.
„Also Herr Bauch, ich werde klar auf Freispruch plädieren“, er klärte er und drückte mir zwei dicke Aktenordner in die Hand.
„Ich dürfte das zwar nicht tun, aber vielleicht finden Sie ja noch etwas, was uns weiterhilft.“
Genau 15 Minauten hatte ich Zeit, in denen ich mir ein Bild von der Lage der Dinge machen sollte. Mehr als oberflächlich zu blättern, war da nicht drin. Doch ich vertraute ganz und gar auf das Know How meines Anwalts. Der würde mich schon da raus hauen.
Von den ganzen juristischen Feinheiten und Formulierungen hatte ich eh keine Ahnung. Er machte mir Mut:
„Das wird schon Herr Bauch. Das klären wir alles im Prozess.“ Als Zeugen zu meiner Entlastung sollten Beates Chef, eine Ar beitskollegin und Beate selbst geladen werden. Mir riet er, vor Gericht auszusagen und nicht zu schweigen. Den Rest würde er
schon machen.
Wir hatten mittlerweile das Jahr 1997. Je näher der Prozesster min rückte, umso nervöser wurde ich. Man hatte zwei Verhand lungstage angesetzt.
Ich hatte absolut keine Erfahrung in diesen Dingen und keine Ahnung, was da auf mich zukommen würde.
Auf der anderen Seite war ich froh, endlich einen Schlussstrich unter ein Martyrium ziehen zu können und guten Mutes, heil aus der Sache heraus zugehen.
Noch wusste ich nicht, dass dieses Jahr zu einem der ereignis reichsten in meinem Leben werden sollte.
Aber nicht in meinem Namen
Beate und ich beschlossen, unsere Sachen zusammen zu werfen. Nach einigem Suchen fanden wir eine ausreichend große Woh nung, wo wir im März einziehen konnten. Doch vorher galt es, den Prozess zu überstehen.
Die Gänge des Gerichtsgebäudes waren kahl und hatten den Charme einer Trauerhalle. Es war der 19. Februar, mein erster Verhandlungstag. Nervös, voller innerer Unruhe und Anspannung, wartete ich vor dem Sitzungssaal auf den Beginn des Prozesses. Ich war Angeklagter und nicht Zeuge.
Seit Tagen verfolgte mich das Bild, angekettet auf einer Zellen pritsche zu liegen, um mich herum nackte Wände, dicke Mauern und ein großes Gitter. Auf der anderen Seite hatte mich mein Anwalt JOHL in meiner Zuversicht bestärkt, das Gericht von den tatsächlichen Hintergründen der Vorgänge überzeugen zu kön nen.
Beate wollte mich bei der ersten Verhandlung nicht allein las sen, obwohl ihre Aussage erst für den zweiten Prozesstag vorgese hen war. Diese moralische Unterstützung konnte ich gut gebrau chen. Der Staatsanwalt MITSCH hatte für heute eine Reihe von Zeugen aufgefahren, die sicher nicht zu meiner Entlastung gela den waren. Mein Verteidiger JOHL kam erst wenige Minuten vor Prozessbeginn. Da blieb keine Zeit, noch irgendetwas zu bespre chen.
Die Verhandlung gegen mich wurde aufgerufen. Etwas orien tierungslos betrat ich den Sitzungssaal. Zum ersten Mal in mei nem Leben musste ich auf einer Anklagebank Platz nehmen.
An der Front des Saals nahm die Kammer, zwei Richter und zwei Schöffen, Aufstellung. Mir gegenüber, auf der anderen Seite, saß der Staatsanwalt.