Ich bemühte mich um keine weiteren Alternativen mehr.
Die deutsche Wirtschaft steckte in einer Rezession und das mach te sich auch bei PRO MEDIA bemerkbar.
Es kamen zwar Neuaufträge aus dem Stammgeschäft herein, aber die Kunden zahlten schlecht oder gar nicht. Einen hohen Pro
zentsatz meiner Arbeit verbrachte ich damit, ausstehende Zah lungen einzutreiben.
Oft genug musste ich den Rechtsanwalt einschalten oder das gerichtliche Mahnverfahren einleiten.
Bei 90 % der Kunden aus dem Stammgeschäft, wurden laut Vertrag, die fälligen Rechungsbeträge per Einzugsermächtigungs verfahren und Lastschrift, von deren Konto abgebucht.
Wiederholt kamen die Zahlungsanweisungen mangels Deckung des Kontos zurück oder es wurde der Zahlung pro forma wider sprochen. Gemäß den Richtlinien zum Einzugsverfahren konnten sie das innerhalb von sechs Wochen ohne Angabe von Gründen tun.
Für mich bedeutete dies einen immensen Aufwand an Telefona ten, um mit dem Kunden ein neues Zahlungsmodell zu vereinba ren.
Es war Pfingstdienstag, der 24. Mai. Genau vor einem Jahr hat te Doris ihre Koffer gepackt und war von heute auf morgen gegan gen.
An diesem Tag hatte ich ausgerechnet einen Geschäftstermin in Frankenberg, dort, wo sie jetzt wohnte.
Schon morgens stand ich mit Magen und Darmproblemen auf. Anscheinend hatte ich mir einen Virus eingefangen.
Der Termin mit meinem Kunden war um 11 Uhr inmitten der Fußgängerzone.
Frankenberg ist ein kleines Bergstädtchen und die autofreie Zone verläuft ansteigend durch kleine Gassen, wo sie dann auf dem hoch gelegenen Marktplatz endet.
Dort parkte ich mein Auto und ging zu Fuß zum vereinbarten Treffpunkt. Mit meinem Kunden besichtigte ich ein Objekt, das sich im Umbau befand und mit Leuchttransparenten für die Außenwerbung ausgestattet werden sollte.
Meine Darmkrämpfe wurden zunehmend schlimmer und ich war froh, als der Termin nach einer halben Stunde vorbei war. Auf dem Weg zum Parkplatz trieb mich nur ein Gedanke: Toilette! Und zwar so schnell wie möglich!
In der Nähe des Parkplatzes gab es das Bistro VIS A VIS, das ebenfalls die Leuchtwerbung von PRO MEDIA hatte.
Im Eiltempo ereichte ich gerade noch den Toilettenraum und die erstbeste Kabine. „Das war knapp“, so muss wohl mein erster Gedanke in dem Moment gewesen sein.
Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich die zwei Per sonen, die nach mir den Raum betreten hatten, erst einige Zeit später bemerkte. Beide Männer unterhielten sich lautstark. Es ging um irgendwelche Übergaben und Zahlungen. Ich hörte, wie ei ner von Ihnen von Kabine zu Kabine ging und sie kontrollierte.
Plötzlich ging mit einem Schlag meine Tür auf und dieser Mann stand vor mir. In meiner Not hatte ich vergessen abzuschließen.
Noch bevor ich etwas sagen konnte zog er ein Messer aus seiner Jackentasche. Mit einem Klacken klappte die Klinge auf. Bedroh lich kam er einen Schritt auf mich zu und hielt mir das Messer an den Hals. In gebrochenem Deutsch flüsterte der Mann:
„Du nix gesehen, nix gehört! Verstehen!“
Hinter ihm stand die zweite Person. Bevor ich überhaupt rea gieren konnte, war die Tür schon wieder zu und ich registrierte unterbewusst, wie beide Typen den Raum verließen. Ich war so perplex, dass ich noch Minuten regungslos so dasaß.
Nur langsam fing ich mich wieder, zog mich an, verließ das Lokal und stieg in mein Auto. Ich war noch vollkommen konster niert: „Was war das jetzt?“
Unterwegs zu meinem Büro überlegte ich zur Polizei zu gehen. Doch was sollte ich denen sagen? „Ich bin von zwei Typen beim Scheißen bedroht worden?“ Die würden sich totlachen.
Ich beschloss die Sache ad acta zu legen und zu vergessen. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ein gewal tiger Trugschluss, wie sich bald herausstellte.
Im Büro erwartete mich eine Menge Arbeit, so dass ich über diesen Vorfall nicht mehr weiter nachdachte.
Ich hatte Rückrufe zu erledigen. Wieder mal waren Abbuchun gen mangels Deckung zurückgekommen und Kundenschecks ge platzt.
Nach langer Zeit meldete sich auch Doris wieder. Sie wollte die Scheidung. Es gäbe kein Zurück mehr für sie. Diese Mitteilung überschattete alles, was an diesem Tag passiert war.
„Wenn’s kommt, dann kommt es knüppeldick!“, so ähnlich müssen meine Gedanken wohl gewesen sein.
Noch wusste ich nicht, dass es nur das Vorspiel von dem war, was mich noch erwarten sollte.
Seit Tagen saß ich an der Konzeption für eine Wettbewerbsprä sentation eines Großkunden aus Niedersachsen. Ich stand unter Druck, denn der Termin für die Vorstellung des Werbekonzepts stand bereits für die kommende Woche fest.
Freitags ab Mittag ließ das Tagesgeschäft merklich nach. Viele Betriebe gingen früh ins Wochenende. Auch bei PRO MEDIA war daher um 14 Uhr Dienstschluss.
Ich nutzte in der Regel die Zeiten, in denen es etwas ruhiger wurde, um Arbeiten zu erledigen, für die ich Konzentration brauch te oder um Vorgänge aufzuarbeiten, die durch das Tagesgeschäft liegen blieben. Und das passierte öfter. Zuhause wartete sowieso niemand auf mich.
An diesem Freitag drei Tage nach dem Vorfall in Frankenberg saß ich inmitten der Konzeption, als gegen 18 Uhr die Tür auf ging und zwei Männer das Büro betraten.
Einen davon erkannte ich sofort wieder: Bullige Erscheinung, Stiernacken, etwas untersetzt, tätowiert bis zum Hals, Baseball Cap und Lederjacke. Es war der gleiche Typ, der mir im VIS A VIS das Messer an den Hals gesetzt hatte. Der Andere war etwas größer, schlanker, gut gekleidet und trug einen Dreitagebart.
„Was du machen für Geschäfte hier?“, fing der Größere von bei den das Gespräch an. Sein osteuropäischer Dialekt war deutlich zu hören, aber gut zu verstehen. Sein Begleiter schwieg und schaute nur grimmig.
„Das hier ist eine Werbeagentur.“ gab ich zur Antwort. „Was kann ich denn für Sie tun?“
Der Mann schritt das Vorzimmer ab und schaute sich um, wäh rend der andere sich vor die Eingangstür postierte.
„Du müssen wissen, ey, wir Freunde schon bei viele von Ge schäfte in Stadt dieser. Bringen gute Leistung gegen Gesindel, ey. Kosten nicht so viel. Zeiten nicht so gut im Moment. Viele Ver brecher, ey.“
„Was soll das werden hier? Ich kenne Sie nicht und Schutz brau che ich auch nicht! Bitte verlassen Sie mein Büro und zwar sofort!“
Nun meldete sich der bullige Kleinere: „Nix gut für dich, wenn nix arbeiten zusammen mit uns. Kann viel passieren!“
Mit einem Satz war ich an der Bürotür und riss den Bulligen an seiner Lederjacke ein Stück nach vorn. Er bekam meinen rechten Arm zu fassen und drehte ihn mir mit einem Griff auf den Rü cken.
Ich hörte nur noch das Krachen in meinem Schultergelenk. Sofort setzte ein höllischer Schmerz ein. Der Bursche hatte mir den Arm ausgekugelt.
„Stopp!“ rief ich. „Was wollt ihr von mir?“ Ich war bewegungs unfähig und ausgeliefert.
„Du geben jetzt 5000 Mark, ey!“ Ganz abgeklärt stellte der Grö ßere seine Forderung.
„Ich habe keine 5000 Mark hier!“ Die Schmerzen waren so groß, dass ich nur in gebeugter Haltung verharren konnte.
„Du besorgen Geld! Nächste Woche kommen wieder. Garantie, ey! Keine Tricks und nix Polizei! Wir nix allein. Wir viele Leute. Verstehen? Is nix Spaß!“
Der Bullige drohte noch in meine Richtung und beide verlie ßen das Büro. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass sie erst auf die