Ich wollte herausfinden, wie man dort mit so einer Sache um geht.
Vorsichtig beschrieb ich meinem Gegenüber, dass ich mich seit einiger Zeit bedroht fühlen würde. Ich fragte nach der Möglich keit von Personenschutz und einer Fangschaltung für das Telefon. Mein Gesprächspartner schien das alles nicht sehr ernst zu neh
men.
„Für Personenschutz haben wir gar nicht genug Leute. Eine Fang schaltung können Sie auch selbst bei der Post beantragen. Ist aber sehr teuer und dauert einige Wochen, bis das durch ist. Außer dem muss erst mal etwas Konkretes passiert sein, bevor wir aktiv werden können. Kommen Sie doch hierher, wir nehmen das alles Mal auf und dann sehen wir weiter.“
Diese Aussage war mir zu dünn. Ich spielte die einzelnen Mög lichkeiten und Konsequenzen im Kopf durch:
Ich hatte keine Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass ich er presst wurde. Selbst wenn die Kripo handeln würde, niemand wusste, ob und wann die Verbrecher wieder auftauchen würden. Dass man Wochen oder Monate Kräfte aufgrund einer vagen Aussage abstellen würde, erschien mir ziemlich abwegig. Selbst wenn die beiden Männer dingfest gemacht werden könnten, was passiert dann, wenn tatsächlich noch weitere Leute im Hinter grund aktiv sind? Wenn man schon so viele Informationen über mich und mein Umfeld hat, wer sagt mir, dass man einen Einsatz der Kripo nicht mitbekommen würde.
Was würde dann passieren? Wozu waren diese Leute noch fähig? Dass sie vor Gewalt nicht zurückschrecken, hatte ich am eigenen Leib erfahren.
Permanent sah ich die Bilder der Kinder vor mir. Ob ich wollte oder nicht, die Verantwortung lag bei mir. Ich hatte mich zwi schen der Alternative zu entscheiden, dass die Erpresser vielleicht gefasst würden oder der Unversehrtheit der Kinder und aller an deren drum herum. Das hieß auch, weiter zahlen, sollten die Typen wieder auftauchen.
Nichts auf der Welt kann ein Menschenleben wieder herstellen, wenn es genommen wird. Kein Geld der Welt. Diese Erfahrung hatte ich leider ein Jahr zuvor bei meinem eigenen ungeborenen Kind machen müssen. Ein Versagen der Kripo, könnte ungeahnte Folgen haben. Und dann wäre es zu spät.
Tausend Horrorvisionen gingen mir durch den Kopf.
Wie Recht ich doch mit meiner Einschätzung haben sollte, er fuhr ich erst Jahre später.
Ich musste die Sache allein ausfechten. Das Risiko der anderen Variante erschien mir einfach zu hoch.
In den folgenden Tagen bemühte ich mich, mir nichts von mei ner inneren Anspannung anmerken zu lassen. Im Geschäft gelang mir das noch gerade so. Da kam mir anscheinend das harte Trai ning der gemeinsamen Arbeit von Doris und mir nach der Tren nung zu Gute. Business as usual.
Im Sekretariat arbeitete meine Schwägerin Elli, die Mutter mei nes Patenkindes Julia, und ahnte von nichts. So sollte es auch blei ben. Ich wollte Niemanden in Angst und Schrecken versetzen.
Beate merkte jedoch sehr schnell, dass ich immer verschlossener wurde und mit meinen Gedanken ganz woanders war. Ich erzähl te ihr etwas von der schlechten Zahlungsmoral meiner Kunden. Die wahren Gründe verschwieg ich auch ihr. Es war ein Scheiß spiel, was ich da spielen musste, aber nicht zu ändern.
Von Doris, meiner NochEhefrau, erreichte mich ein Brief, der dem Ganzen noch einen obendrauf setzte.
Sie wollte nun endgültig die Scheidung einreichen. Dem hatte ich mich bisher immer widersetzt. Zudem hätte sie erfahren, dass ich seit Jahren ein Weltmeister im Fremdgehen gewesen sei. Frü her hätte uns eine solche Tratscherei völlig kalt gelassen. Nun führte sie so etwas gegen mich ins Feld, obwohl sie genau hätte wissen müssen, dass es niemanden gegeben hatte, der ihr das Wasser rei chen konnte. In Korbach gingen zudem Gerüchte herum, ich hätte meine Frau mehrfach brutal misshandelt und geschlagen.
Nichts von alledem entsprach der Wahrheit.
Anscheinend gab es Leute, die sich auf unsere Kosten wichtig machten. Die Spaß daran hatten, uns gegenseitig auszuspielen.
Doris nahm ihre „neuen Erkenntnisse“ zum Anlass, mich kom plett aus ihrem Leben zu streichen und nie wieder etwas mit mir zutun haben zu wollen.
„Wenn du wüsstest in welch einer Scheißsituation ich mich be finde und du ungewollt da mittendrin steckst. Ich sollte dich ja gen, dass du Schuh’ und Strümpfe verlierst, mir so einen Mist vorzuhalten!“ führte ich eine Art Zwiegespräch mit ihr.
Meine Tränen tropften unaufhörlich auf den Brief, der vor mir lag, bis er nur noch ein schwammiges unleserliches Etwas war. Ich war innerlich zusammengebrochen und ließ es einfach laufen.
Ein befreundeter Psychologe hatte mir vor einiger Zeit erzählt, dass genau solche Reaktionen auf mich zukommen könnten. Spe ziell bei demjenigen Partner, der die Trennung herbeigeführt hät te, wäre diese Haltung oft zu beobachten.
Er nannte es: Einstellungswandel durch kognitive Inkonsistenten.
Der Aufbau eines Feindbildes durch Schuldzuweisungen, um eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen und damit klarzukommen. Ich kannte dieses Phänomen vom Studium her und hatte selbst Ausarbeitungen über die wirtschaftliche Nutzbarkeit von kogniti
ven Dissonanzen in der Werbung verfasst.
Nun war ich also selbst das personifizierte Objekt von Hass, Wut und Verachtung geworden, auf dem Doris alles ablud. Dage gen konnte ich mich kaum wehren. Sie ließ keinen Kontakt mehr zu. Ich existierte quasi nicht mehr für sie. Und sie ließ mich das spüren, wenn wir uns zufällig sahen.
Ich taugte nur noch zum Feindbild. Wir hatten über 10 Jahre gemeinsam verbracht. Für sie war es der große Irrtum, wie sie sagte.
Diese Aussage verletzte mich zutiefst, denn für mich war es Lie be.
Ob ich wollte oder nicht, die bedrohlichen Geschehnisse beein flussten meinen Tagesablauf komplett. Ich war permanent in Hab AchtStellung und registrierte meine Umgebung genauestens. Je der, der irgendwie ein osteuropäisches Aussehen hatte, konnte ei ner von denen sein, bildete ich mir ein.
So gut es ging, vermied ich es, mich allein irgendwo aufzuhal ten. Meine Eltern besuchte ich nur noch selten, um keine weite ren Zielscheiben zu liefern. Zu meiner Wohnung nahm ich nicht den kürzesten Weg, sondern wählte immer andere Routen, um zu sehen, ob ich verfolgt wurde.
Doch es tat sich nichts. In mir stieg die Hoffnung, dass es bei dieser einmaligen Sache bleiben und wieder Ruhe einkehren wür de. Schließlich hatten die Typen bekommen, was sie wollten.
Es war Ende Juni, als mir eine bekannte deutsche Schauspiele rin, die auch Fernsehsendungen und Veranstaltungen moderierte, ein Demoband übersandte. Zu der Zeit spielte sie gerade eine Rolle in einer ARDKultserie. Wir telefonierten zusammen und sie erzählte mir, sie würde mit ihrem Mann noch ein Reisebüro führen, das auf Sportevents spezialisiert sei.
Derzeit wären sie mitten in den Vorbereitungen für die Fußball WM 1994 in den USA. Dort sei unter anderem eine große
UNESCOGala mit deutschen Schlagerstars und prominenten Fußballern geplant. Ein Team von RTL würde die Veranstaltung aufzeichnen.
Allerdings sei ein Künstler ausgefallen und sie fragte mich, ob ich eine Idee hätte. Ich hatte. Ich bot ihr an, meine Band aus Kanada einfliegen zu lassen, da in Kürze die erste CD in Deutsch land auf den Markt kommen würde und die Gruppe in Amerika bereits eine große Nummer war.
Ich konnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich telefo nierte mit der Plattenfirma und holte mir das OK. Dem Manage ment in Toronto gab ich die Daten durch und es passte termin lich.
Beate fragte ich, ob sie mit zur WM wolle. Auch sie konnte es kurzfristig einrichten. Drei Tage später saßen wir im Flieger nach Chicago.
Wir verbrachten vier tolle Tage dort. Ich spürte, wie mir der Abstand gut tat und fühlte mich wie befreit.
Alle Protagonisten der UNESCOGala logierten