Skiria - Am Berg der Drachen. Fran Rubin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fran Rubin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847633556
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tiefer der Gang unter die Erde führte, umso mehr verbreiterte er sich und mündete schließlich in eine riesige Tropfsteinhöhle. Staunend betrachtete Skiria die Kunstwerke aus Stein, deren bizarre Formen von der Höhlendecke hinab wuchsen. Ihnen reckten sich ebensolche Gebilde vom Boden aus entgegen.

      Weit oben fiel ein dünner Lichtstrahl durch eine kleine Öffnung und erzeugte dort, wo er auftraf, ein verräterisches Glitzern. Die Sonne brach sich in einem unterirdischen See, dessen schwarzes Wasser in der Dunkelheit kaum von den umliegenden Felsen zu unterscheiden war.

      „Hier lebe ich mit meiner Mutter, aber die ist zurzeit verreist.“ Ramins Stimme klang hier unten sonderbar hohl. Die Abwesenheit der Mutter kam Skiria durchaus gelegen. Wenn es sich bei Ramin um ein Jungtier handelte, so musste ein ausgewachsener Elternteil Ausmaße besitzen, gegen die Ramin zierlich wirkte. Langsam gewöhnten sich Skirias Augen an die Dunkelheit. Ramin trottete zu einem aufgetürmten Haufen und fuhr mit einer Klaue hinein. Das raschelnde Geräusch erinnerte Skiria an getrocknete Blätter. Als sie sich bückte und ihre Hand ausstreckte, bestätigte sich ihre Vermutung. Ramin wirbelte das Laub ungestüm auf, sodass es bald überall verstreut lag. Eine ganze Weile sah Skiria ihm dabei zu, bis sie endlich zu fragen wagte:

      „Was machst du da?“

      Ramin unterbrach sein Treiben kurz und schnaubte: „Ich bereite dir eine Schlafstatt!“

      Das Mädchen wünschte, sich verhört zu haben. Niemals wäre sie dazu bereit, in einer Drachenhöhle zu übernachten, womöglich noch direkt neben dem Ungeheuer. Es musste sich um eine Falle handeln. Über sein schlafendes Opfer herzufallen, dürfte ein leichtes Spiel für Ramin sein. Ein schlauer Plan, doch Skiria hatte ihn durchschaut. Bevor Ramin sie aufhalten konnte, flüchtete Skiria durch den Felsenkorridor nach oben. Auf halber Höhe hallte Ramins Stimme ihr nach.

      „Wo willst du hin?“

      Ohne zu antworten beeilte sich Skiria, rasch wieder in die Freiheit zu gelangen.

      Sie lief, bis die Nacht hereinbrach. Nach diesem anstrengenden Tag hätte sie sich lieber schlafen gelegt, doch die Furcht vor dem hinterhältigen Biest ließ sie noch lange Strecken in der Dunkelheit zurücklegen. Erst, als die Entfernung zur Drachenhöhle ausreichend erschien, um sich vor der Bestie sicher zu fühlen, erlaubte sie sich auszuruhen. Beinahe ein wenig wehmütig stillte sie ihren Hunger mit der Rehkeule, die während der gesamten Zeit von ihrer Schulter gebaumelt hatte. Es handelte sich wohl um ihre vorerst letzte anständige Mahlzeit. Kaum hatte sie ihren erschöpften Leib auf dem Boden ausgestreckt, übermannte Skiria der Schlaf.

      Im Morgengrauen erschienen Drachen in ihren Träumen, bliesen ihr feurige Fontänen ins Gesicht und rissen immense Mäuler auf, um furchterregende Gebisse zur Schau zu stellen. Schweißgebadet wachte sie auf. Es dämmerte bereits, doch das Tageslicht schimmerte erst schwach. Benommen rieb sich Skiria die Augen und stellte einen Moment später fest, dass sie nicht allein war.

      Der Morgendunst ließ die Silhouette des Drachen beinahe unwirklich erscheinen. Doch der Traum war vorbei. Soweit Skiria erkennen konnte, handelte es sich um dasselbe Ungetüm, dessen tief gelegene Höhle am Vortag vermutlich zum ersten Mal ein Mensch betreten hatte. Ramin schien ihr Erwachen nicht bemerkt zu haben. Geschäftig rückte er ein Stück Fleisch mit seinem Maul zurecht und ließ einen kurzen Feuerstrahl darauf hernieder. Der Rauch stieg Skiria in die Nase und ließ sie husten.

      Kaum gewahrte Ramin ihre Aufmerksamkeit, rief er laut: „Ich habe dir etwas zu essen gemacht!“

      Staunend begriff das Mädchen, dass Ramin die Gelegenheit, sie im Schlaf zu töten, nicht genutzt hatte. Stattdessen brachte er ihr Fleisch. Stumm griff Skiria nach dem dargebotenen Mahl und kaute gedankenversunken. Gesättigt lehnte sie sich schließlich an einen Baumstamm und wunderte sich über das Tier, das schmatzend die Reste des Fleisches in einer Geschwindigkeit vertilgte, als drohte es ihm jemand wegzunehmen.

      „Warum folgst du mir?“, wollte sie wissen. Dem Drachen troffen klebrige Speichelfäden aus dem Maul, als er sein Mahl unterbrach und ernst erklärte: „Ich möchte dich beschützen. Der Wald ist gefährlich.“

      Diese Antwort verwunderte Skiria.

      „Aber ihr Drachen seid doch ebenso gefährlich für den Menschen.“

      „Aber nein! Wir sind sehr friedvoll“, widersprach Ramin empört.

      „Friedvoll?“, entfuhr ihr in scharfem Ton. „Mein Vater wurde von einem eurer Art getötet!“

      Der Koloss blickte zu Boden, als schäme er sich für diesen Vorfall.

      „Das tut mir Leid.“

      Entsetzt schüttelte Skiria den Kopf und setzte zu einer wütenden Erwiderung an. Wie konnte diese Kreatur nur behaupten, dass Drachen harmlos wären? Sie empfand Ramins Worte als blanken Hohn.

      „Du musst verstehen...“, begann Ramin erneut, doch Skiria fiel ihm wütend ins Wort: „Wie soll ich dafür Verständnis aufbringen, wenn ein Drache meinen Vater, der euch nie etwas zuleide getan hat, auf schreckliche Art und Weise entführt und tötet?“

      Die Riesenechse scharrte nervös mit einer Klaue und schien sich unwohl zu fühlen. Eine kleine Pause entstand, in der beide schwiegen. Skiria starrte ihn so eindringlich an, als erwarte sie endlich eine Antwort, doch Ramin gewann den Eindruck, dass, was immer er nun erwiderte, bestimmt das Falsche sein mochte. Um die peinliche Stille zu unterbrechen, brachte das Tier jedoch leise hervor: „Wir werden gezwungen, das zu tun.“

      Fragend zog Skiria ihre Augenbrauen zusammen.

      „Gezwungen? Von wem?“

      Ramin fürchtete, dass Skiria ihm nicht glaubte. Doch er musste sie über das schwere Los seiner Art aufklären. Als stimme das seine Gesprächspartnerin milder, senkte er seine Stimme noch weiter, bekam aber mehr ein Röcheln als ein Flüstern zustande: „Von unserer Königin.“

      Skirias zweifelnde Miene deutete an, dass sie von der Existenz einer Drachenkönigin noch nie gehört hatte.

      „Du willst mir doch nicht etwa eine Lügengeschichte auftischen?“, fragte sie beinahe drohend.

      „Aber nein!“, entrüstete sich Ramin. „Es ist die Wahrheit!“

      „Also gut. Erzähl weiter!“

      Erleichtert über die Gelegenheit, seine menschliche Begleiterin über das Joch, das die Oberste der Drachen ihren Untertanen auferlegt hatte, berichten zu können, sprudelte er hervor: „Um an unser Drachenkraut zu gelangen, verlangt die Drachenkönigin von uns, Menschenopfer zu bringen. Vor hundertundfünfzig Jahren noch durften wir das Kraut ohne Gegenleistung holen. Dann begannen die Menschen, Jagd auf uns Drachen zu machen, weil sie irrtümlich dachten, wir seien gefährlich. Dabei lebten wir bis dahin in Frieden mit den Menschen. Viele Drachen fielen ihren Schwertern zum Opfer. So viele, dass bald nur mehr wenige unserer Rasse in den Wäldern lebten. Unsere Königin, früher friedfertig und gütig, erzürnte dies dermaßen, dass sie befahl, jeder Drache möge künftig ein Menschenwesen zu ihr bringen, wenn er Drachenkraut von ihrem Vorrat holen möchte.“

      Skiria hörte geduldig zu, doch verwirrten sie Ramins Worte ein wenig.

      „Was ist das für ein Kraut, dass ihr bereit seid, dafür solches Unheil anzurichten?“ Ramin erinnerte sich, wie ihm seine Mutter von den Menschen erzählt hatte, deren Lebensweisen und Gebräuche sich gänzlich von denen der Drachen unterschieden. Vorsichtig erkundigte er sich: „Du kennst es nicht?“ Verständnislos schüttelte Skiria den Kopf.

      Also musste Ramin weiter ausholen: „Das Drachenkraut ist unser Lebenselixier. Wir brauchen regelmäßig kleine Stränge davon und halten es nur einige Tage aus, ohne davon zu essen.“

      „Das heißt, ihr würdet ohne den Genuss dieser Substanz sterben?“

      Ramin nickte zufrieden. Sie verstand.

      „Das Kraut wächst ausschließlich in den Tiefen eines Sees, der sich im Inneren des Drachenberges befindet. Es ist die einzige Stelle im gesamten Reich, an der man es finden kann. Über den