Skiria - Am Berg der Drachen. Fran Rubin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fran Rubin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847633556
Скачать книгу
sollten am besten sofort losgehen!“

      Dass Skiria ihn tatsächlich begleiten wollte, entflammte Ramins Begeisterung. „Du musst ein Bündel schnüren!“, ordnete er an. Skiria verstand nicht recht.

      „Warum muss ich ein Bündel schnüren?“

      „Weil ich das nicht kann.“

      „Natürlich.“

      Obwohl ihr einleuchtete, dass Drachenklauen sich nicht dazu eigneten, derart diffizile Aufgaben zu bewältigen, wusste sie immer noch nicht, was in einem solchen Behältnis transportiert werden sollte. Endlich klärte Ramin sie auf: „Wir müssen Drachenkraut mitnehmen, und außerdem kannst du dein Kleid und deine Schuhe darin verstauen.“

      Als sei es völlig selbstverständlich, dass sich seine Begleiterin für den Marsch ihres Gewandes entledigte, kehrte ihr Ramin den Rücken zu und streckte seinen Hals nach den Baumkronen aus. Verblüfft beobachtete Skiria, wie er mit seinem Maul einen stabilen Ast abknickte, der sich an seinem Ende verzweigte, und ihn zu ihren Füßen ablegte, als handele es sich um ein Geschenk.

      „Binde das Bündel an die Gabelung!“, stieß Ramin hervor, doch Skiria reagierte nicht auf seine Anweisung.

      „Warum kann ich mein Kleid nicht anbehalten?“

      „Weil es sonst nass wird. Ich erkläre dir alles auf dem Weg zu unserer Höhle.“ Gerne hätte Skiria noch mehr über die bevorstehende Reise erfahren, doch der Drache schien im Moment nicht gewillt, Einzelheiten darüber preiszugeben. Unschlüssig stand sie vor dem Tier, das darauf wartete, endlich losziehen zu können. Schließlich opferte Skiria ein Stück ihres Kleides, um daraus einen Beutel zu binden. Von dem mittlerweile arg zerschlissenen Stoff ließ sich ohne Anstrengung ein breiter Streifen abreißen, der zusammengeknotet Platz für etwas Drachenkraut bot, oder was immer Ramin sonst noch darin zu befördern gedachte. Sorgfältig knüpfte sie die Stoffbahnen zwischen die gegabelten Enden des Zweige, bevor sie das Bündel schulterte. Ramin betrachtete sie wohlwollend.

      „Bereit zum Aufbruch?“ Skiria nickte und begab sich folgsam sich Skiria neben ihren künftigen Reisegefährten. Dass nun bei jedem Schritt ihre Knie unter dem gekürzten Rock hervor lugten, erschien Skiria anfangs ungewohnt, doch bald störte sie sich nicht mehr daran.

      Die Bäume standen sehr dicht, sodass der Drache nur langsam vorankam. Immer wieder musste er Umwege einschlagen, während Skiria problemlos den kürzeren Weg wählen konnte. Zwischen jungen Baumtrieben zwängte sich der Koloss mit brachialer Gewalt hindurch, sodass die zarten Stämme splitternd brachen. Trotzdem befürchtete Skiria, dass es an der Seite des schwerfälligen Tieres wohl mehr als nur einige Tage dauerte, den Drachenberg zu erreichen. Als sie ihre Bedenken äußerte, versuchte Ramin zu beruhigen: „Wir werden nicht durch den Wald marschieren, sondern benutzen die Drachenwege. So sind wir schneller am Ziel.“

      An ihrer fragenden Miene erkannte Ramin, dass Skiria noch sehr wenig von seiner Welt wusste und beschloss, ihr eine kurze Einführung zu geben: „Einst, vor langer Zeit, existierten Wesen, die unter der Erde lebten. Ihren riesigen schaufelartigen Händen verdankten die menschengroßen Geschöpfe ihren Namen. Mit ihnen gruben die Schaufelwarfe unterirdische Pfade. So entstand ein riesiges Netzwerk an Gängen, die große Höhlen miteinander verbanden. Den Schaufelwarfen wurde jedoch zum Verhängnis, dass sie in Drachenkreisen als ausgesprochene Leckerbissen galten. Leider konnten die meisten meiner Artgenossen den schmackhaften Gräbern einfach nicht widerstehen. Obwohl sie eigentlich nützliche Dienste vollbrachten, denn in ihren weitläufigen Bauten konnte sich sogar ein Drache problemlos bewegen. Bald hatten meine Vorfahren die Schaufelwarfe ausgerottet. Zurück blieben ihre Gänge, die zu vielen geräumigen Höhlen führten, in denen wir uns schließlich niederließen. Bis heute nutzen wir die Drachenwege, um auf diese Weise schnell vorwärts zu kommen. Auch zu unserer Höhle führt ein solcher Weg.“

      Skiria wanderte in Gedanken die Drachenhöhle ab, konnte sich aber nicht erinnern, dass von dort ein Gang abzweigte.

      Gegen Abend erreichten sie Ramins Quartier. Die Höhle lag in völliger Dunkelheit, sodass sie sich bald zur Ruhe legten.

      Am nächsten Morgen herrschte in der Grotte bessere Sicht, denn es fielen einige Sonnenstrahlen durch ein Loch in der Decke hinein, gerade genug, um sich einen Überblick zu verschaffen. Skiria wurde jedoch nicht fündig.

      „Wo soll hier ein Gang sein, der so groß ist, dass ein Drache darin Platz fände?“, fragte Skiria absichtlich so laut, dass Ramin erwachte und mühsam die Augen öffnete.

      „Siehst du dort am Ende des Sees die kleine Öffnung in der Felswand?“, entgegnete er und erhob sich schwerfällig. Angestrengt blickte sie über das Wasser hinüber zu der steilen Wand, die tatsächlich von einem winzigen Loch über der Wasseroberfläche durchbrochen wurde.

      Skiria hatte Bedenken.

      „Aber das ist doch viel zu klein. Da passt du sicher nicht durch.“

      „Es ist größer als du denkst, denn unter dem Wasserspiegel wird die Öffnung breiter. Ich muss nur ein wenig tauchen.“

      Zaudernd stand das Mädchen am Ufer des kleinen Sees. Skiria konnte zwar schwimmen, aber dieses Gewässer lud nicht gerade zu einem Bade ein.

      „Hab’ keine Angst! Es ist leichter, als du denkst. Die Felsöffnung ist so groß, dass du einfach hindurch schwimmen kannst. Und hinter der Wand befindet sich eine richtig geräumige Höhle. Dort kannst du gemütlich ans Ufer waten. Vertrau’ mir! Ich bin schon oft mit meiner Mutter zu den Drachenwegen getaucht.“

      Um dessen Harmlosigkeit zu beweisen, setzte Ramin eine Klaue ins Wasser, sodass eine kleine Welle auf Skiria zuschwappte. Ängstlich trat sie einen Schritt zurück.

      „Wir müssen noch Drachenkraut einpacken“, mahnte Ramin sanft. „Und du musst dein Kleid ausziehen, damit wir es trocken über den See bringen. Ich nehme die Stange ins Maul. So kann ich unser Gepäck weit aus dem Wasser halten, und während ich tauche, führe ich es an dem Ast oberhalb des Wassers durch die Öffnung.“

      Skiria wagte kaum, sich vorzustellen, tatsächlich durch dieses unbekannte Gewässer zu schwimmen. Wie tief mochte der See sein? Ob in dem Wasser Leben existierte? Fische, die kalt und glatt an ihrer nackten Haut vorüber streiften, Schlingpflanzen, die ihre sanft wiegenden Triebe hinterhältig um ihre Glieder wickelten, als wollten sie ihr Opfer damit in die Tiefe ziehen, oder gar Schlimmeres?

      „Du kannst doch fliegen?“, bemühte sie sich um eine Alternative zu dieser gefährlich anmutenden Art zu reisen.

      Von der Frage scheinbar überrascht, gab Ramin kleinlaut zu: „Ich bin nicht gerade der beste Flieger.“

      „Bist du denn schon einmal geflogen?“, bohrte Skiria nach. Ramins Flügel lösten sich für einen kurzen Schlag aus ihrer eng am Körper anliegenden Position, wie um zu beweisen, dass der Drache sie für durchaus einsatzfähig hielt. Sein Kopf hob sich hoch in die Luft, als er verkündete: „Ich habe es einmal versucht. Meine Mutter wollte es mir zeigen.“

      Dass dieser Versuch nicht von übermäßigem Erfolg gekrönt war, versuchte er sich nicht anmerken zu lassen, doch Skiria ahnte es bereits, da Ramin nicht gewillt schien, Details dieses Flugmanövers zu erläutern. Sie beschloss, ihren Gefährten nicht weiter in Verlegenheit zu bringen und fragte ihn stattdessen nach dem Drachenkraut. Das Tier wies mit einem Kopfnicken auf eine kleine Nische, in der sich ein Häuflein getrockneten Gewächses befand, das bei näherer Betrachtung wie Heu wirkte. Skiria füllte das Bündel so gut, dass kaum mehr Platz für andere Dinge blieb.

      „Das reicht ja für den ganzen Winter!“, stellte Ramin erfreut fest. Skiria hoffte inständig, dass ihre Reise nicht ganz so lange dauern möge.

      „Und jetzt das Kleid!“

      In der Dunkelheit der Höhle blieb die Röte verborgen, die Skirias Gesicht überzog. Befangen blickte sie zu Boden. Ramin verstand den Grund für diese Verzögerung nicht recht, doch er appellierte trotzdem an ihre Vernunft: „Wenn du es anlässt, wird es sich voll Wasser saugen und dich wie ein schweres Gewicht nach unten ziehen.