Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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      „Danke“, sagte sie. Und mit diesem einfachen Wort fiel Sebastians Panzer vollständig in sich zusammen. Er verlor die Kontrolle.

      „Ich…“, brachte er noch heraus, dann nichts mehr. Ohne sie noch einmal anzusehen floh er aus dem Zimmer und konnte erst erleichtert aufatmen, als sich die Tür hinter ihm schloss.

      Schwer atmend und am ganzen Körper zitternd lehnte er sich dagegen. Musik, er brauchte jetzt dringend Musik! Fahrig durchwühlte er das CD-Regal. Es war alphabetisch sortiert. Bach. Er suchte ein bestimmtes Klavierkonzert. Als die vertrauten, regelmäßigen, planvollen Klänge durch sein Wohnzimmer drangen, beruhigte er sich allmählich. Die Musik half ihm, sich zu ordnen, brachte seine Gedanken in die richtigen Bahnen. Er stand am Fenster, starrte ins Nichts und ließ die Sonaten durch ihn hindurchfließen. Was war passiert? Was hatte ihn so aufgewühlt? War es ihr Körper gewesen? Sie hatte ihm schon einmal gestattet, sich mit ihrem Körper vertraut zu machen. Er hatte ihn mit seinen Händen und seinen Lippen erkundet, ihn genossen, seinen Duft und seine Wärme in sich aufgesogen. Doch das eben im Badezimmer war mehr gewesen. Weit mehr, weit intimer als Sex. Sie hatte ihm vertraut. Sie hatte sich ihm anvertraut. Das hatte ihn geknackt.

      Sebastian atmete tief durch. Was jetzt? Schnelle, geradlinige Achtel umkreisten ihn. Vom Fenster aus blickte er in den makellosen, blauen Sommerhimmel. Es war früher Nachmittag. Sebastian ballte seine Hände zu Fäusten und wünschte sich, er könnte dasselbe mit seinen Gedanken tun. Ihre Hüften, ihre Brüste! Heilige Scheiße, er hatte ihre Brüste gewaschen und sie war nicht einmal zurückgewichen! Er war ihr zu nah gewesen. Eindeutig viel zu nah! Sein ganzer Körper spannte sich an, wie um die Wucht der Gefühle abzuwehren, die ihn zu ersticken drohte. Er musste etwas unternehmen. Jetzt gleich. Irgendetwas Greifbares. Hektisch fingerte er in seiner Jeanstasche nach seinem Handy. Er wählte blind. Nach drei endlosen Freizeichen hob Elias endlich ab. Sebastian hielt sich nicht lange mit Floskeln auf.

      „Eli? Ich brauche dich heute Abend hier. So gegen halb acht? Und bring den Doc mit.“

      „Was ist los?“ Elias war nicht blöd. Natürlich hatte er bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber Sebastian würde den Teufel tun und ihm davon erzählen. Das ging niemanden etwas an.

      „Mein Bruder verlangt nach mir, und Maya…“ er brachte den Namen kaum über die Lippen „… sie braucht einen anderen Verband.“

      „Sebastian, was ist los bei dir?“ Elias klang alarmiert.

      „Kriegst du das hin? Der Doc und du, hier um halb acht?“

      Eine kurze Pause am anderen Ende, dann ein Seufzen.

      „Das krieg ich hin.“

      Sebastian legte auf, drehte die Musik noch etwas lauter und starrte weiter in den wolkenlosen Sommerhimmel bis seine Hände nicht mehr zitterten.

      Eine Zeit lang hielt Maya die Augen geschlossen. Sie schlief nicht. Selbst die Beruhigungsmittel des Docs hätten sie jetzt nicht einschlafen lassen. Es war, als würde ihr ganzer Körper summen, als hätte Sebastian eine Saite in ihr zum Klingen gebracht. Vielleicht stellte sie diese Verbindung auch nur her, weil Sebastian nebenan laut Klaviermusik hörte. Das war im Prinzip nicht ungewöhnlich. Sebastian hatte ständig Begleitmusik laufen. Die Bandbreite war groß. Doch Klaviermusik war bisher noch nicht darunter gewesen. Irgendwie passten diese auf- und abklingenden, schnellen Tonfolgen perfekt zu dem, was gerade passiert war. Oder vielmehr zu der Klarheit, die sie überkommen hatte, als sie mit Sebastian im Badezimmer gewesen war. Plötzlich war es da gewesen, dieses Gefühl. Sicherheit. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sich Maya so bewusst so sicher gefühlt. Kein Zweifel. Nichts. Maya hatte gewusst, dass er ihr nicht wehtun würde. Und nicht einen Moment war ihr der Gedanke gekommen, er könnte die Situation ausnutzen. Sie hatte ihm vertraut. Einem Mocovic, einem Lügner, einem Verräter, einem brutalen Killer. Maya zwang sich, den Namen wieder und wieder zu denken. Mocovic. Scar Mocovic. Sebastian Mocovic. Doch das änderte nichts. Sie war bei ihm in Sicherheit.

      Als die Musik vor der Tür verstummte, lag sie immer noch wach. Einem Impuls folgend, schlug sie das Laken zurück und stand unbeholfen auf. Was zur Hölle war nur mit ihrer Hüfte passiert? Ihre rechte Seite war wirklich in einem miserablen Zustand. Maya sah sich um. Sie konnte sich auf dem Weg ins Wohnzimmer nirgendwo abstützen. Aber sie wollte diese paar Schritte einfach schaffen. Es ging besser als gedacht. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen. Ha, sollte er doch mal sehen, wie es war aus so einer Pose beobachtet zu werden. Ihre Augen suchten das Zimmer nach ihm ab, konnten ihn aber nirgends entdecken. Dafür drangen aus dem Raum dahinter scheppernde Geräusche und Maya war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um die Küche handeln musste. Ihr fiel auf, dass das Wohnzimmer außerordentlich aufgeräumt war. Seit sie sein Bett beanspruchte, schlief Sebastian hier auf der Couch. Doch nirgends waren verknautschte Kissen oder Decken zu sehen. Der große, hohe Raum war ohnehin sehr spärlich eingerichtet. Eine ausladende, dunkle Couch mit einem niedrigen Tisch davor, ein Fernseher, die Musikanlage, ein großer, alter Esstisch mit mehreren ebenso alten Stühlen. Dafür waren beinahe sämtliche Wände bedeckt mit einfachen Regalen voller Musik und Bücher. Ordentlich sortiert und ohne jeglichen Nippes-Kram oder Pflanzen. Kein Bild an der Wand. Maya warf einen Blick zurück ins Schlafzimmer. Auch hier hing kein Bild an der weiß gestrichenen Wand. Das Schlafzimmer war sogar noch spartanischer eingerichtet. Kein Wunder, dass Maya in den vergangenen Tagen so viel gegrübelt hatte. Es gab ja im ganzen Raum – wahrscheinlich sogar in der gesamten Wohnung – nicht ein bisschen Ablenkung.

      Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Sebastian war ins Wohnzimmer zurückgekehrt, eine große schwarze Tasse in der Hand. Als er sie entdeckte, erstarrte er mitten in der Bewegung und sah sie mehrere Sekunden lang nur an. In seinen Augen leuchtete etwas auf und er atmete tief durch. Maya hatte das Gefühl, ihm helfen zu müssen.

      „Nachdem der morgendliche Ausflug schon so ein Erfolg gewesen ist, hab ich mir gedacht, ich schau mal, ob ich es bis zur Couch schaffe.“ Sie lächelte ihn an und sein Gesicht entspannte sich. Er warf einen Blick auf die Tasse in seiner Hand.

      „Kaffee?“, fragte er.

      „Gern.“

      „Dann komm, und hol ihn dir“, neckte er sie mit einem Grinsen und stellte die Tasse auf den Couchtisch.

      Maya platzierte die leere Tasse auf ihrem angewinkelten Knie und machte es sich auf der Couch so bequem wie möglich. Allmählich ließen ihre Schmerzmittel nach. Aber um nichts auf der Welt hätte sie das jetzt zugegeben. Sebastian würde sie sofort wieder zurück ins Bett scheuchen und ihr ihre Medizin einflößen, die sie zwar überwiegend schmerzfrei, aber auch müde machte. Maya wollte jetzt nicht müde werden. Sie fühlte sich das erste Mal seit Tagen wieder wie ein Mensch. Auf einer Couch sitzen und über Belanglosigkeiten reden. Musik, Bücher, oder die Art, wie sie ihren Kaffee trank. Vielleicht war das bereits in ein paar Stunden wieder vorbei. Seit sie hier bei Sebastian war, hatte sie eine wahre Achterbahnfahrt hinter sich gebracht. Wer wusste schon welche gemeine Wendung oder welcher Abgrund als nächstes kam?

      „Kann ich noch einen Kaffee haben, bitte?“, fragte sie stattdessen.

      „Wenn du meinst, dass du noch einen vertragen kannst“, gab Sebastian zurück, erhob sich aber noch im gleichen Augenblick und griff nach ihrer Tasse.

      „Natürlich kann ich das! Ich bin ja noch keine 70!“, rief sie ihm nach, als er in der Küche verschwand.

      „Meinetwegen. Du kannst dich später vor Elias rechtfertigen, wenn du die halbe Nacht wachliegst und ihn davon abhältst seine Lieblingsserie anzusehen.“ Sebastian reichte ihr ihre Tasse, die bis zum Rand mit dem heißen, schwarzen Getränk aufgefüllt war. Er setzte sich neben sie auf die Couch, einen Fuß untergeschlagen und beobachtete sie aufmerksam. Wie so oft war er nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet. Er war barfuß und unter den Ärmelsäumen seines Shirts krochen dichte, verschlungene grünlich schwarze Tätowierungen hervor, die bis zum Handrücken reichten. Maya konnte Flammen erkennen und verschlungene Symbole.

      „Elias kommt noch vorbei?“, fragte sie. „Musst du denn weg?“

      „Mein