Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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ließ die Anspannung in ihrem Körper nach. Ihr Atem ging heftig und Scars Gesicht verschwamm vor ihren Augen.

      „Bitte. Maya, bitte.“ Seine Stimme war wacklig und leise, als er seinen Griff an ihrer Schulter versuchsweise lockerte. Als sie sich nicht weiter wehrte, zog er sich zurück. Auch sein Atem ging schwer.

      „Hab ich dir weh getan? Hast du Schmerzen?“, fragt er.

      „Nein“, antwortete sie automatisch. „Nicht sehr.“ Ihre Gedanken waren schon längst wieder bei Rocco. Wie konnte sie herausfinden, wo er war und wie es ihm ging?

      „Was war das?“ Scar hatte seine normale Sprechstimme wiedergefunden. Maya versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie nahm sich zusammen und fragte so neutral wie möglich.

      „Meine Sachen. Sind meine Sachen hier? Meine Tasche, meine Papiere, mein Handy?“ Ihr Ausweis war in ihrer Tasche gewesen. Sie mussten sie also gefunden oder mitgenommen haben.

      „Deine Tasche ist hier.“

      „Kann ich sie haben?“

      Scar sah sie prüfend an. Dann bewegte er sich langsam rückwärts, als könnte er nicht ausschließen, dass sie gleich wieder anfangen würde, zu toben. Von einer Kommode im Nebenraum fischte er ihre Tasche, ohne Maya aus den Augen zu lassen.

      „Die hier?“ Er legte ihr den braunen Lederbeutel aufs Bett, trat einen Schritt zurück und beobachtete sie.

      Maya wand sich unbehaglich. Sie brauchte keinesfalls Zuschauer, wenn sie Rocco eine Nachricht zukommen lassen wollte. Und Scar schon gar nicht.

      „Würdest du mich alleine lassen, bitte?“, versuchte sie es so höflich wie möglich.

      „Nein“, antwortete er schlicht.

      „Warum nicht?“

      Schweigen.

      Dann ein ärgerliches Schnauben. Es sah so aus, als wollte Scar tatsächlich das Zimmer verlassen.

      „Wenn du dein Handy suchst: Da drin ist es nicht“, murmelte er im Hinausgehen. Maya sank der Mut.

      „Wie bitte?“

      Er drehte sich um.

      „Ich sagte: Da drin ist es nicht.“

      Sie suchte trotzdem und musste feststellen, dass er Recht hatte. Maya hörte auf, in ihrer Tasche zu wühlen, und sah ihn an.

      „Wo ist es dann?“

      „Es liegt zerstört auf dem Boden deines Cafés.“

      Was?

      „Aber wieso? Wer hat…?“

      „Ich habe“, bestätigte er ruhig. Fassungslos und mit steigender Wut starrte sie Scar in die Augen.

      „Und wieso?“, zischte sie mühsam beherrscht.

      „So ist es sicherer.“ Vielleicht war es seine stoische Ruhe, die das Fass zum Überlaufen brachte.

      »Sicherer? Fragt sich nur für wen!«, ätzte sie, so laut es ihre Kopfschmerzen zuließen. »Seit Tagen liege ich hier – bewegungslos! Bewacht, rund um die Uhr von dir und deinen Freunden. Natürlich ist es sicherer für dich, wenn ich meinen Leuten nicht sagen kann, wo ich bin. Dann kannst du mich weiter wie eine Gefangene halten und schlussendlich tun, was immer du tun willst. Niemand wird es erfahren, oder?“

      Aus Scars Gesicht war alle Farbe gewichen. Er sah gefährlich aus. So, als wolle er jeden Moment auf sie losgehen.

      „Deine Leute. Ist das dieser Kerl, der bei dir wohnt?“

      Maya erschrak. Sie wussten von Rocco? Hatten sie ihn ebenfalls geschnappt? Oder war das eine Falle? Mayas Puls hämmerte durch ihre Adern.

      „Das geht dich nichts an!“, fauchte sie.

      „Und ob es mich was angeht! Es geht mich verdammt nochmal ziemlich viel an!“ Scar hatte die Hände zu Fäusten geballt. Die Knöchel traten weiß hervor. Er holte tief Luft und sprach mit vor Wut zitternder Stimme weiter.

      „Mein sadistischer kleiner Bruder hätte dich umgebracht. Er hätte dich als blutigen Haufen auf der Straße liegen lassen. Ich habe dich aufgesammelt, ich habe dich in mein Haus geholt und du denkst, ich halte dich als Gefangene?“

      „Du hast meinen Kontakt zu meinen Freunden gekappt!“

      „Kannst du dir nicht denken, warum?“ Scar rollte mit den Augen, gerade so, als wäre sie ein dummes Schulmädchen. Das machte sie nur umso wütender.

      „Na, ich denke, du wirst es mir gleich sagen“, gab sie spitz zurück.

      „Du hast vor meinem Bruder zugegeben, Widerstand anzuzetteln. Jeder, der deine Wohnung durchsucht, sieht, dass du da nicht alleine wohnst. Was denkst du, wäre passiert, wenn sie dein Handy gefunden hätten? Mit den ganzen gespeicherten Nummern oder einem Anruf auf der Mailbox? Einer SMS?“

      Maya schloss kurz die Augen. Er hatte Recht. Ihr Handy hätte ziemlich viel von ihr verraten. Trotzdem: Es zu zerstören wäre nicht die einzige Lösung gewesen.

      „Du hättest es mitnehmen können.“

      Scar lächelte ein freudloses Lächeln und deutete auf Mayas Tasche.

       „Damit du gleich bei der erstbesten Gelegenheit alle anrufen und nach Hilfe schreien kannst?“

      Maya schwieg ertappt.

      „Maya, es wissen außer dir und mir nur zwei Leute, dass du hier bist. Und meiner Meinung nach sind das bereits zwei zuviel. Ich kann nicht zulassen, dass du uns alle – deine Leute und meine Leute – in Gefahr bringst. Hast du mich verstanden?“

      Sie fühlte sich wie eine Vierzehnjährige. Heruntergeputzt von ihrem Vater für unüberlegtes, hysterisches Verhalten. Schmollend wandte sie den Blick ab. Was wusste er schon von ihrem Leben und ihrer Verantwortung. Für Rocco, für Lisa! Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Erschöpft sank sie tiefer in ihr Kissen. Sie bemerkte nicht, wie er näher kam. Einige Zeit stand er nur so da und sagte kein Wort. Maya konnte und wollte ihn jetzt nicht ansehen.

      „Ich verspreche dir…“ - er sprach leise und eindringlich - „Maya, ich schwöre dir: Sobald du wieder gesund genug bist, werde ich dich von hier wegbringen. In Sicherheit. Oder wo immer du auch hinwillst. Du bist nicht meine Gefangene…“ Maya hörte, wie er sich mit der Hand über den kahlen Schädel fuhr. In diesem Moment läutete es an Scars Wohnungstür. Elias, vermutete Maya und war erleichtert, als Scar den Raum verließ und die Schlafzimmertür hinter sich zuzog. Das verschaffte ihr Gelegenheit, sich zu sammeln. Konnte sie ihm glauben? Vielleicht hatte er ihr Handy gar nicht zerstört. Vielleicht wollte er sie gar nicht in Sicherheit bringen. Aber wenn es stimmte? Maya wollte nicht weiter daran denken. Er war ein Mocovic. Wahrscheinlich hatte er ihr einfach etwas vorgelogen. Auch wenn es in ihren Ohren nicht so geklungen hatte, wie sie sich eingestehen musste. Sie atmete tief durch und wischte sich über ihr tränennasses Gesicht. Der Duft italienischen Essens drang durch die Türritzen zu ihr herein. Doch Maya hatte keinen Appetit. Sie war zu aufgewühlt. Als sich die Tür öffnete verstärkte sich der Duft und Maya erkannte die Ursache. Scar stand am Eingang und hielt eine Aluschale in der einen Hand. Besteck in der anderen.

      „Sebastian?“, hörte sie Elias aus der Küche rufen „Ich hoffe, du magst auch Oliven auf der Pizza. Dieser dämliche Pizzafuzzi hat uns das falsche Zeug eingepackt.“

      Sebastian? Abrupt sah Maya zu Scar auf, der fragend die Augenbrauen hob und ihren Blick unverwandt erwiderte.

      „Sebastian? Meint er dich?“, rutschte ihr prompt heraus. Selbstverständlich wusste sie, dass Scar nur ein Spitzname war und sie war sich sicher, irgendwo schon einmal seinen tatsächlichen Vornamen gehört oder gelesen zu haben. Aber wo, war momentan nicht greifbar.

      „Entschuldigung“, sagte Maya „Natürlich meint er dich. Ich habe nur nie…“

      Dann fiel der Groschen.