„Die Öllampe kannst du brennen lassen, damit es nicht stockfinster ist. Stell das Essen da auf den Tisch.“
Umständlich setzte sich Wisgard auf das Bett, klemmte sich den Stock zwischen die Beine und stützte ihr Kinn darauf ab. Ihr Blick verlor sich hinter der Zimmerwand. Fara stand weiterhin nur da. Die Arme hingen ihr kraftlos an den Seiten herunter.
Wisgard blickte zu ihr hinüber. „Hatte Vankor wirklich fünf Töchter?“
Lange Zeit rührte sich Fara nicht. Dann schüttelte sie leicht verneinend den Kopf. „Vier Töchter. Die älteste ist vor langer Zeit gestorben.“
„Ist Oda jünger als du?“
Dieses Mal nickte Fara zögerlich.
Wisgard klopfte leicht neben sich auf das Bett. „Komm, setz dich, Fara.“
Langsam, wie abwesend, setzte sie sich. Wisgard rückte an sie heran und umarmte Fara.
„Weißt du, die Frauen haben es immer schwer bei den Männern. Zuerst herrscht der Vater im Hause. Er befiehlt über die Familie und darf alle prügeln, wie es ihm beliebt. Dann entscheidet er, wen wir heiraten und der Ehemann ist wieder der Herr. Es ist, als ob du eine Gefangene bist oder als eine Geisel an einem anderen Hof lebst. Du hast immer zu gehorchen und kannst nie tun, was du willst. Wenn du Glück hast, ist man gerecht, wenn nicht, gibt es Prügel und Schlimmeres. Somit liegt es an dir, ob man zufrieden ist mit dir und dich schätzt oder man auf dir herum trampelt. Diesen Faden musst du mit jedem Mann selbst spinnen und immer wieder neu knüpfen. Ob eine Tochter, Ehefrau, Geisel oder Sklavin, du musst dir täglich deinen Teppich selbst knüpfen, um deine Würde zu behaupten. Ganz egal, wo du auch bist.“
Wisgard schwieg. Für lange Zeit sagte niemand etwas. Jede hing ihren Gedanken nach und Erinnerungen wurden lebendig.
Wisgard wechselte das Thema. „Markus hat schon früh seine Mutter verloren. Darum wurde Clarissa eine enge Vertraute von seinem Vater. Clarissa war schon lange Witwe. Deshalb waren Octavius und Markus öfter bei uns. In Villa Patria hatte Patricia, die Küchenmeisterin, Markus unter ihre Fittiche genommen, wenn Octavius geschäftlich auf Reisen war. So ein Bengel hat ja immer Hunger. Patricia führt dort den Haushalt, alles, was nicht zum Handel oder zur Herstellung von Handelsgütern gehört. Villa Patria ist fast so groß wie ein Fürstenhof. Es wird dir manches bekannt vorkommen.“ Sie drückte Fara leicht an sich. „Morgen früh werden wir beide Kräuterpflanzen aus meinem Kräutergarten ausgraben. Die gebe ich dir für Swingard mit. Sie ist dort die Heilerin und wie ich eine Markomannin. Sie hat es mit dem Rücken und ihr Kräutergarten verkümmert immer mehr. Deshalb schicke ich ihr ab und zu ein paar Pflanzen. Vielleicht kannst du ihr etwas helfen. Es ist zu selten, dass wir uns besuchen und austauschen dürfen.“
Wisgard erhob sich umständlich und nahm die Fackel.
„So, leg dich schlafen. Der Tag war sicher belastend für dich. Ich gehe mich auch ausruhen. Das Alter zwickt immer mehr.“ Damit schlurfte Wisgard zur Tür und schloss sie von außen.
Fara blieb allein zurück. Lange saß sie so da, wie Wisgard sie verlassen hatte. Die Neuigkeiten veränderten ihr ganzes Leben und Ängste kamen auf. Wie würde es ihr in Zukunft ergehen? Sie stimmte zwar Wisgard zu, mit dem Leben unter der Männerherrschaft. Aber die Rechte und die Stellung, die sie jetzt als Sklavin hatte, waren doch anders als die einer Ehefrau oder einer Geisel-Prinzessin. Sie hatte überhaupt keine Rechte mehr.
Mit den Ängsten kamen die Tränen. Fara rollte sich auf dem Bett zusammen und verkroch sich unter der Bettdecke.
Kapitel 3, Vinea Clarissa, 11. April 373
♦
Am Morgen blinzelte Wisgard eine Weile, ehe sich ihre Augen an die Dunkelheit der kleinen Öllampe in Faras Schlafkammer gewöhnten. Erst dann erkannte sie, dass unter dem Deckenknäuel doch die Prinzessin lag.
„Aufstehen, Fara, die Sonne taucht schon über den Häusern auf. Wir haben nach dem Essen noch im Kräutergarten zu tun.“
Beim kleinsten Antippen schoss Fara aus dem Bett und hielt ein abgewetztes Messer ausgestreckt in der Hand. Erst da erkannte sie Wisgard, die vor Schreck zurückgezuckt war.
„Verzeih‘ mir“, sagte Fara. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Langsam nahm Fara die Messerklinge in die andere Hand und hielt Wisgard das Messer mit dem Griff zuerst hin.
„Ich habe dein Messer gestern Abend in der Badestube gestohlen. Entschuldige. Ich wusste nicht, was mich in der Nacht hier erwartet.“
Wisgard nahm ihr Messer an sich. „Das habe ich gar nicht gemerkt. Was hast du dir dabei nur gedacht.“
Fara schaute finster vor sich hin. „Ich werde nie eine Sklavenhure sein.“
„Und was hättest du gemacht, wenn Markus dich geweckt hätte?“, fragte Wisgard vorwurfsvoll.
„Entweder er oder ich“, sagte Fara entschlossen.
Wisgard schüttelte den Kopf. „Denkst du, Markus hätte dich vergewaltigt?“
„Ich bin seine Sklavin. Er hat das Recht dazu, in seiner Wut jede Nacht in mein Bett zu steigen. Du hast von Würde gesprochen.“
Nachdenklich schaute Wisgard Fara an. Sie wollte ihr doch nur ein wenig Mut zusprechen. Mit dieser tödlichen Konsequenz hatte sie nicht gerechnet. Diese Prinzessin hörte genau hin.
„Und? Ist er in dein Bett gestiegen? Da habe ich wohl eben seine Leiche frühstücken gesehen, Fara. Dumm ist der nicht und lebensmüde auch nicht. Gewalt war noch nie seine Wahl. Außer er muss sich verteidigen.“ Wisgard schüttelte den Kopf. „Komm, der Kräutergarten wartet.“
Als beide in den Gang zur Schlafkammer traten, stand da ein Stuhl, der am Abend nicht dagestanden hatte.
Fara staunte nach dem Essen über den großen Kräutergarten. Sie sah, mit wie viel Liebe dieser gepflegt wurde.
„Was ist eine Heilerin ohne Kräuter?“, fragte Wisgard und stellte eine zweite Kiste bereit, damit die ausgegrabenen Pflanzenklumpen hineingeschichtet werden konnten.
„Viele der Kräuter könnte man zum Würzen der Speisen nutzen“, sagte Fara. „Da lohnt es sich, einige auf einem Feld anzubauen.“
„Das Feld solltest du aber vor den Ziegen retten. Denen schmeckt das noch besser. Deshalb ist mein Kräutergarten hinter einer Mauer versteckt.“ Wisgard hatte so ihre Erfahrungen. „Komm, Hände waschen. Da kann ich dir mein Reich zeigen. Aber wir haben nur wenig Zeit. Wenn die Pferde angeschirrt sind, will Markus aufbrechen.“
In Wisgards Kammer standen einige Regale mit vielen Tontöpfchen. An manchen sollte Fara riechen und raten, was drin war und wofür man den Inhalt verwendete. Wisgard nickte zufrieden.
„So, beeilen wir uns. Fara, nimmst du die andere Kiste mit den Kräutern?“ Damit legte Wisgard ihren Stock auf eine Kiste, hob diese hoch und marschierte forschen Schrittes in Richtung Hof.
Fara nahm die zweite Kiste und hob die Augenbrauen. Von wegen alt. Der Stock ist wohl eher ein Statussymbol.
Als sie auf dem Hof ankamen, war der Stallmeister dabei, den großen Hengst vor den Pferdewagen zu stellen, um ihn anzuschirren. Aber das Pferd wollte nicht. Es sah wie ein Tauziehen am Zügel aus. Der Hengst schnaubte und tänzelte hin und her. Dabei stellte er einen Hinterhuf ab und zu auf die vordere Spitze. Sein hellbraunes Fell leuchtete in der Sonne. Den Kopf hatte er hoch erhoben. Man merkte ihm an, dass er sich nicht gern vor den Wagen spannen ließ. Er strotzte vor Kraft und wäre am liebsten davongestürmt. Währenddessen beschimpfte der Stallmeister den Hengst mit rauen Worten. Zum Schluss band er den Zügel an dem Wagen fest, weil er den Hengst nicht zum Anschirren brachte.
Fara und Wisgard schoben die Kräuterkisten