In der Zwischenzeit trat Markus mit finsterer Miene an die Prinzessin heran, fasste sie am Kinn und hob ihren Kopf hoch. Durch einen Vorhang von wirren, dunkelbraunen Haaren starrten ihn fast schwarze Augen an. Als ihr Blick auf Markus fiel, huschte für einen kurzen Augenblick ein erfreuter, erkennender Ausdruck über ihr Gesicht. Aber sofort erstarb ihr Gesicht wieder und zeigte keine Regung mehr. Sie schien nicht zu wenig gegessen zu haben, denn ihre Wangenknochen traten nur undeutlich hervor.
Nach kurzer Zeit kam der Sklavenhändler mit den Sachen der Prinzessin und der Jagdausrüstung aus dem Zelt zurück. Markus erkannte sofort an der reichen Verzierung des Pfeilköchers eine Arbeit der Quaden. So viel hatte er auf seinen Handelsreisen kennengelernt. Überrascht war er von den Hosen, die zuunterst lagen. Das war eine typische Männerkleidung der Reitervölker der Sarmaten, zu denen die Jazygen gehörten. Die römische Mode kannte keine Hosen. Aber dass eine Frau so etwas trug, war ihm neu.
Markus nickte. „Dann schaue ich mir die Prinzessin mal an.“
Mit beiden Händen ergriff er ihren Kopf. „Zeig mal deine Zähne!“
Prompt spürte er den Widerstand der Prinzessin. Wer wollte sich schon wie ein Pferd begutachten lassen. Es war aber normal, dass es bei Sklaven der erste Blick war, ob alle Zähne vorhanden und in welchem Zustand sie waren.
Die Gegenwehr hatte er erwartet. Er rang förmlich mit der Prinzessin, um ihren Mund aufzudrücken. Keiner sah, wie er seine kleinen Finger, verdeckt durch deren Haare, weit nach unten spreizte und ihr auf die Halsadern drückte.
Das Schauspiel kannte Vitus von seinem Freund. Deshalb wandte er sich an den Sklavenhändler, um ihn abzulenken. „Ist die A-Ausrüstung der anderen P-Prinzessin noch da oder h-hat sie die mitbekommen nach R-Rom? Dort kann ja k-keiner etwas mit diesem Z-zeug anfangen.“
„Ach, je barbarischer das Aussehen, umso höher ist das Interesse bei den Römern. Ich hätte selbst diese Klamotten hier sofort in Aquileia verkaufen können. Aber ich wollte sie für diese Prinzessin hier aufheben.“ Der Sklavenhändler legte inzwischen die Sachen auf den Erdboden und drehte sich zu Markus um.
„Du störrisches Biest. Mach endlich dein Maul auf und wage nicht, mich zu beißen.“ Dabei schüttelte Markus den Kopf der Prinzessin hin und her. Die konnte sich nur durch Drehungen mit dem Kopf wehren. Aber Markus hielt ihn fest umklammert. Doch der Mund blieb zu. Plötzlich sackte die Prinzessin zusammen. Markus ließ den Kopf los. Die Prinzessin rutschte an dem Pfahl nach unten und hing verdreht in ihren Fesseln.
„Was wollt Ihr mir da verkaufen? Wenn die schon beim Zähnezeigen stirbt, da hat sie wohl seit Aquileia nichts mehr zu fressen bekommen!“, brüllte Markus den Sklavenhändler an.
„Herr, was habt Ihr getan. Das ist noch nie passiert.“ Damit stupste der Sklavenhändler die Bewusstlose mit den Füßen an. Sie zeigte keine Reaktion, sosehr er auch weiter stupste. „Die ist bloß etwas entkräftet durch das lange Stehen heute. Ein Eimer kaltes Wasser macht sie sicher wieder munter.“
„Wie lange habt Ihr denn diese Prinzessin schon?“, fragte Markus.
„Ich habe sie seit dem letzten Spätherbst. Ich hoffte, dass jetzt im Frühjahr das Interesse größer ist“. Der Sklavenhändler zuckte mit den Schultern.
„So wie die aussieht und beim ersten Anfassen zusammenklappt, müsst Ihr froh sein, dass ich Euch nicht wegen Betruges anzeige. So etwas darf man doch nicht in Savaria als Sklavin anbieten!“ Markus baute sich drohend vor dem Sklavenhändler auf. Sofort erschien der einzige Aufseher, den der hatte.
„Soll ich Euch mal was sagen. Ich bin Salz- und Waffenhändler und habe eben in Carnuntum im Legionslager meine Waren abgeliefert. Von der Legion weiß ich, dass Vankor seit einem halben Jahr tot ist und die wissen, was auf der anderen Seite des Donaulimes los ist. Sein Sohn Gordian hat jetzt dort das Sagen. Der wird die Prinzessin hier bestimmt nicht zurückkaufen.“
Der Sklavenhändler erschrak. Er kam aus Aquileia und wusste davon nichts.
Markus legte nach. „Ich bin die letzte Möglichkeit, dem Ihr diesen Haufen Dreck verkaufen könnt. Prinzessin hin oder her. Lange macht die es nicht mehr. Keiner kauft einen Sklaven zum Beerdigen. Ich sollte meinen Freund Brutentius, den Praefectus vigilum der Stadt, informieren, dass Ihr hier solchen Betrug anbietet.“ Mit hochrotem Kopf, eine Hand auf dem Messergriff an seiner Seite abgelegt, starrte er den Sklavenhändler an.
Markus wusste, was beim Aufkauf von Sklaven bei den Barbaren gezahlt wurde. „Ich mache Euch einen Vorschlag. Ihr verkauft mir die Sachen und die Jagdausrüstung für den Preis von einem kleinen Sklavenjungen und legt diesen Haufen Elend von Prinzessin obendrauf. Mehr ist das alles nicht wert.“
Der Sklavenhändler wollte sich nach bewährter Händlermanier in den Dreck werfen und heulend die Hände ringen, dass er bald verhungern müsste. Aber Markus drehte sich voll Abscheu um und ging. Vitus blieb einen Moment stehen, um den sicheren Abgang zu gewährleisten, und folgte ihm.
Markus hatte keine fünf Schritte durch die Sklavenpfähle gemacht, da rief der Sklavenhändler hinterher. „Den Preis von zwei Sklavenjungen.“
„Maximal ein Sklavenjunge und hundert Sesterzen dazu oder Ärger mit dem Praefectus.“ Hochaufgerichtet blickte Markus den Sklavenhändler von oben herab herrisch an.
Der Sklavenhändler tat, als überlege er. Er wollte keinen Ärger mit den Beamten. „Also gut. So sei es. Aber nimm diesen Haufen Ärger sofort mit.“
Mit einem Kopfnicken in Richtung Vitus signalisierte Markus, sich um die Prinzessin zu kümmern.
„Ich nehme die Sachen und die Jagdausrüstung,“ sagte er zu ihm.
Dann folgte er dem Sklavenhändler in sein Zelt, um die Bezahlung zu leisten.
Vitus zog sein Messer und schnitt die Prinzessin vom Pfahl los. Haltlos fiel diese auf die Erde. Die Stricke steckte sich Vitus in den Gürtel und hievte die Bewusstlose wie einen nassen Sack auf seine Schulter. Ausgehungert schien sie nicht zu sein. Sie hatte reichlich Gewicht. Mit gemächlichen Schritten marschierte er los in Richtung Pferdewagen. Dabei baumelten die Arme, Kopf und Beine der Prinzessin im Takt seiner Schritte.
Kapitel 2, Vinea Clarissa, 10. April 373
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Als Markus seinen Pferdewagen erreichte, hatte Vitus die Prinzessin bereits hinten auf die Wagenfläche gelegt. Dort stand nur eine längliche, größere Kiste, die durch die halb hohen Seitenwände des Wagens verdeckt war. Auf einem Stangengestell spannte sich eine dichte Dachleinwand zum Schutz vor Sonne und Regen. Die Seiten waren offen und gewährleisteten einen freien Blick in alle Richtungen. Erst auf Vinea Clarissa, Tante Clarissas Weingut, kamen einige Fässer Wein hinzu. Dieser Pferdewagen war ein kleiner Transportwagen, den Markus gern für schnelles Fortkommen nutzte, wenn er in Geschäften unterwegs war. Solche Reisewagen, deren Kasten gefedert über Lederriemen aufgehängt wurden, waren nur für ein paar Personen geeignet und nicht für schwerere Lasten. Irgendetwas hatte Markus immer zu transportieren. Deshalb bevorzugte er robuste Pferdewagen. Auf den gepflasterten Römerstraßen war ein schnelles Fahren ohne viele Hindernisse, wie Schlamm oder Steine, möglich. Den Krach, den die Hufeisen der Pferde und die stahlbereiften Räder auf den Steinen erzeugten, war er gewohnt.
„D-Du hast den Sklaventreiber g-ganz schön reingelegt. F-F-Freund Brutentius und so. D-Du kannst doch d-den nicht ausstehen?“ Vitus grinste von einem Ohr zum anderen.
Markus kletterte auf die Wagenfläche, zog den geheimen Riegel und schaute in die Holzkiste hinein. Es schien alles in Ordnung zu sein. Er winkte dem Wachsoldaten mit der Hand als Dank und zum Abschied zu. Dann warf er die Sachen und die Jagdausrüstung der Prinzessin hinein, verschloss die Kiste wieder und stieg auf die Fuhrmannsbank zu Vitus, ohne die Prinzessin eines Blickes zu würdigen. Die lag auf der harten Ladefläche, wie sie von Vitus hingelegt wurde. Der Wagen würde sie schon munter rütteln.
„Hast Du gesehen, wie verprügelt die anderen Sklaven