Der Weg durch die Gassen führte sie nicht zum Burgberg. Sie bogen schon bei der nächsten großen Kreuzung in Richtung Westen ab. Durch die vielen Leute und Karren auf der Straße kamen sie mit dem Pferdewagen nicht so schnell voran. Fara hatte zu tun, nicht mit anderen Karren zusammenzustoßen. Manchmal musste sie warten, bis es weiter ging. So hatte sie nebenbei Zeit, die Häuser, die Läden, die Menschen und das Leben auf der Straße zu betrachten.
Nach kurzer Zeit erreichten sie wieder die Stadtmauer. Durch ein Tor mit Türmen links und rechts verließen sie die Stadt und standen direkt am Ufer eines Flusses. Eine Holzbrücke führte darüber. Die Brücke war nur für ein Pferdefuhrwerk breit genug. Markus wartete, bis seine Gruppe an der Reihe war. Hier setzte sich Vitus wieder neben Fara auf die Wagenbank, nachdem er die Zügel seines Pferdes einem Soldaten von Flavius gegeben hatte.
Unter lautem Poltern durch das Hufgetrappel der Pferde, überquerten sie den Fluss. Das erinnerte Fara daran, dass sie im letzten halben Jahr zweimal hier vorbeigekommen war. Der Sklavenhalter hatte sie mit einem Pferdewagen nach Aquileia und zurück transportiert. Die Regenplanen der Wagen waren meist geschlossen. Außerdem hatte es Fara in dieser winterlich kalten Zeit nicht gekümmert, wo sie entlangfuhren.
„Das ist der Fluss Dravus“, sagte Vitus zu Fara. „Wir transportieren auf ihm das Salz in wasserdichten Fässern mit Booten hierher nach Villa Patria.“
„Wo liegt denn Villa Patria? Ist es schon zu sehen?“, fragte Fara.
Vitus wies nach vorn. „Dort hinter dem Wald auf der rechten Seite der Straße kommt eine Taberna. Sie hat den Namen Taberna Salinum. Der Vater von Octavius hatte die Taberna übernommen und nebenbei Salz verkauft. Weil der so dick wie ein Fass war, wurde mit der Zeit die Taberna meist Salinum, Salzfass, genannt.“
Nach der Holzbrücke folgte die Römerstraße weiter nach Westen. Es war später Nachmittag und Fara blinzelte angestrengt gegen die Sonne, damit sie sah, wohin die Reise ging. Voraus, in der Ferne, sah man nach der Ebene waldbedeckte Hügel aufsteigen. Weit dahinter waren Umrisse von höheren Bergen zu sehen.
Vitus erzählte. „Das Geschäft mit dem Salz war so erfolgreich, dass Octavius und vorher sein Vater zu Händlern wurden. Sie kauften ein Salzbergwerk in den Bergen und übernahmen den Transport und die Verteilung von Salz. Wir beliefern heute fast die gesamte Provinz Pannonien mit unserem Salz. Sogar über den Limes hinaus mit den Quaden und den Jazygen treiben wir Handel.“
Sie überquerten einen Bach über eine steinerne Bogenbrücke.
„Auf dem gleichen Weg wie das Salz bringen wir norisches Eisen mit hierher. Nicht das Erz. Das wird in Noricum in den Bergen geschmolzen. Nein, wir bringen es in Stücken hierher und schmieden für das Militär Waffen und andere benötigte Ausrüstungen, wie Sandalennägel. Die vier Legionen am Donaulimes sind unsere größten Kunden. Die Waren, die wir dafür eintauschen und auf dem Rückweg aus Pannonien mitbringen, verkaufen wir in Aquileia am Meer. So ist das Handelshaus Mercatoria Salinum bis heute gewachsen.“
Vitus zeigte hinter sich auf die Ladefläche. „Markus hat in Carnuntum Electrum gekauft und auf dem Rückweg haben wir von Clarissa Wein für die Taberna Salinum mitgebracht.“
„Was habt ihr mit dem Electrum vor? Weiterverkaufen?“, fragt Fara.
„Nein. Markus hat die Idee, Schmuck herstellen zu lassen. Das ist in Mode und verspricht, ein günstiges Geschäft zu werden. Er hat Goldschmiede und Handwerker bei den Barbaren angeworben, um deren Traditionen zu nutzen. Wenn der Schmuck etwas anders aussieht, als es sonst üblich ist, verkauft er sich besser.“ Vitus war da nicht so bewandert. Aber Markus hatte ihm einiges über sein Vorhaben erzählt.
Fara war zwar immer für Schmuck zu begeistern, aber sie hatte jetzt andere Sorgen, als an Ketten, Fibeln und Ringe zu denken.
Da erschien hinter dem Waldstück eine Taberna. Vor den Mauern der Taberna zur Straße hin war ein großer Platz für die Wagen und Pferde der Gäste. Wie auf dem Lande üblich, war die Taberna mit einer hohen Mauer umgeben oder die Mauern der Häuser hatten nach außen keine Öffnungen. Ein offenes großes Holztor lud die Gäste ein, in den Hof zu kommen. An die Mauer zur Straße hin waren rechts ein riesiges Fass gemalt mit der Überschrift Taberna Salinum und links ein ebenso großes Fass mit der Überschrift Mercatoria Salinum. Ein schwarzer Pfeil zeigte nach links.
Kapitel 10, Villa Patria, 13. April 373
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Nach etwa sechzig Schritten zweigte rechts eine befestigte Straße ab, die auf beiden Seiten von Bäumen umsäumt war. Markus schwenkte dort ein und Fara folgte ihm mit dem Pferdewagen. Nach mehr als einhundertfünfzig Schritten Entfernung waren zwischen den Bäumen Häuser und Mauern zu sehen. Die Allee führte direkt auf ein großes Tor zu, das bequem Platz für zwei Pferdefuhrwerke nebeneinander bot.
„Das ist Villa Patria“, sagte Vitus und reckte sich genüsslich.
Fara schaute sich um. Links und rechts von der Straße zum Tor waren Pferdekoppeln. Zwei der darauf weidenden Pferde kamen an den Zaun getrabt und begrüßten wiehernd die ankommenden Pferde. Die Mauer mit dem Tor in der Mitte war über einhundert Schritte breit und links von der Mauer lag ein See. Über die Mauer ragten größere Häuser und Bäume. Vor dem Tor überquerte Fara eine kleine Holzbrücke und entdeckte, dass die Mauer von einem Bach wie ein Wassergraben umgeben war. Schon durchfuhr sie das Tor und staunte. Der Hof war mindestens dreimal so lang, wie die Frontseite mit dem Tor zuvor breit war. Villa Patria war so groß wie ein Dorf. Die Mauern, so stellte sie fest, waren meistens die Rückseiten von Häusern, Werkstätten oder Ställen. Dabei fiel ihr wieder ein, dass Villa entweder Landhaus oder Dorf bedeutete. Sie fuhr wie in ein Dorf ein und das hohe Haus links in der Mitte war wohl das Haus von Markus. Es war doppelt so groß wie das von Clarissa.
Markus schwenkte nach links zu den Ställen und Fara hielt den Wagen an. Vitus sprang sofort vom Wagen und ließ sie allein zurück. Sie blieb sitzen und beobachtete das Treiben auf dem Hof. Leere Pferdewagen standen in Reihen auf dem Hof, die Deichsel nach oben geklappt. Aus den Pferdeställen links kamen Pferdeknechte. Einer davon erteilte sofort Befehle und ging auf Markus zu. Alle Männer saßen ab und klopften zum Dank den Pferden die Hälse oder Hinterbacken.
Hinter Fara tummelten sich Wachen oder Soldaten. Einer ging eilfertig auf Flavius zu. Das war scheinbar der Wachhabende. Andere Soldaten banden die hinten angehängten Pferde der Räuber los.
Weiter hinten im Hof sah Fara Frauen und Kinder auf Bänken vor den Häusern sitzen. Es war Abend und das Tagewerk geschafft. Männer schauten neugierig aus Türen oder offenen Fenstern der Werkstätten, wer da angekommen war.
Rechts von den Pferdeställen war ein längeres Gebäude mit vielen Toren. Dort kam ein älterer Mann heraus, dessen Halbglatze in der Abendsonne glänzte. Mitten im Schritt blieb er stehen und wurde bleich. Das Kinn klappte einen Moment nach unten, ehe er sich wieder fing und langsam auf Markus zuging. Fara konnte aus ihrer höheren Position diesen Mann genau beobachten. Als er Markus erreichte, wischte er sich mit dem Ärmel seiner Tunika fahrig den Schweiß von der Stirn.
Vitus kam von Markus zurück. „Du sollst Ferox in den Stall bringen. Danach bringen wir die Kräuterkisten zu Swingard, unserer Heilerin.“
Fara kletterte vom Wagen und ging auf Markus zu, um die Zügel von Ferox zu übernehmen, der nervös die Erde stampfte. Der Hengst hatte sicher Hunger und Durst.
„Wieso weißt du nicht, ob ein oder zwei Tage vor meiner Abreise eine Ladung von drei Wagen in Richtung Aquincum abgeschickt wurde?“, fuhr Markus den Mann mit Glatze an. „Lucius, mache mir eine Aufstellung der Versendungen der letzten drei Wochen.“ Markus sann kurz nach. „Ach, und schreib die Namen der Unterhändler und Fuhrmänner