Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742734396
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gewesen.

      Die ganze Zeit über, in der sie nun schon mit Robert zusammenlebte, hatte er sie nie irgend jemandem vorgestellt. Es hatte sie nicht gestört. In ihrem Rausch aus blinder Verliebtheit hatte sie ohnehin kein Verlangen nach anderen Menschen gehabt. Roberts Gesellschaft hatte ihr vollkommen genügt, und so war ihr nicht aufgefallen, dass sie beide wie auf einer Insel gelebt hatten.

      „Wie soll ich die Frage verstehen, Miss?“ Elsa zuckte mit den Schultern. „Am besten so, wie ich sie gestellt habe. Was ist unklar daran? Ich meine, er lebt hier schon seit ein paar Jahren. Er muss doch irgendwelche Bekannte haben! Leute, mit denen er sich trifft...“

      Er machte eine hilflose Geste.

      „Ich weiß es nicht, Miss. Am besten, Sie fragen ihn selbst und lassen mich jetzt wieder meine Arbeit tun!“

      Dann ging er an ihr vorbei.

      Ja, dachte sie, sie würde Robert eine Menge Fragen zu stellen haben, sobald er zurückgekehrt war. Die nächsten Stunden verbrachte Elsa mit der Lektüre ihrer Zeitungen, die sie aus der Stadt mitgebracht hatte. Aber sie überflog nur die Überschriften und blätterte lustlos die Seiten hin und her.

      Sie war mit den Gedanken nicht bei dem, was vor ihr lag. Sie dachte an Robert und fragte sich zum tausendsten Mal, was sie von diesem Mann eigentlich halten sollte.

      Sie liebte ihn, das schien ihr das einzige zu sein, woran es keinen Zweifel gab.

      Ist es nicht im Grunde genommen gleichgültig, wer oder was er ist?, fragte sie sich. Mit der Hand fuhr sie sich nervös über das Gesicht.

      Durch die offenstehende Tür, die hinaus zur Terrasse führte, trat Aziz ein.

      „Ich mache Schluss für heute“, meinte er.

      Sie blickte auf und nickte.

      „Gut.“

      „Auf Wiedersehen, Miss...“

      Sie erwartete jetzt eigentlich, dass er sich zum Gehen wenden würde. Aber er tat es nicht. Er blieb in der Tür stehen, mit einem Bein im Wohnzimmer, mit dem anderen auf der Terrasse. Elsa hob die Augenbrauen.

      „Ist noch etwas, Aziz?“

      „Ja, wegen unseres Gesprächs...“

      Elsa stand auf, ließ die Zeitungen liegen und machte eine wegwerfende Handbewegung.

      „Vergessen Sie es, Aziz.“

      „Meinetwegen. Aber das ist es nicht.“

      Sie runzelte die Stirn und musterte ihn überrascht.

      „Was dann?“

      „Ich will mich keineswegs in Ihre Angelegenheiten mischen, aber vielleicht sollte ich es doch sagen...“

      „Was meinen Sie?“

      „Lieben Sie Mister Jensen, Miss?“

      Elsa starrte ihn einen Augenblick lang wie entgeistert an. Dann nickte sie.

      „Ja, natürlich.“

      „Gibt es Liebe ohne Vertrauen?“

      Sie sah ihn an, und das war ihm offenbar unangenehm. Dann zuckte Aziz mit den Schultern. „Vielleicht gibt es das: Liebe ohne Vertrauen“, meinte er dann. Er schmunzelte und setzte dann hinzu: „Meine Frau vertraut mir ja schließlich auch nicht!“

      Sein Blick war nach innen gewandt, als er vor sich hin lächelte. „Sie reimt sich die dollsten Sachen zusammen. Meistens verdächtigt sie mich, irgendwo etwas mit anderen Frauen zu haben... Wie gesagt, sie traut mir nicht über den Weg. Aber wir sind seit 30 Jahren verheiratet! Als wir uns erst ein paar Wochen kannten, so wie Sie und Mister Jensen...“ Er brach ab und zuckte mit den Schultern.

      „Na ja, vielleicht liegt es daran, dass wir unterschiedlichen Kulturen angehören.“

      „Nein, das glaube ich nicht.“

      „Wenn Sie Mister Jensen lieben, dann vertrauen Sie ihm doch ein klein bisschen. Er ist ein ehrenwerter Mann.“

      „Nun, ich...“

      „Ein sehr ehrenwerter Mann. Davon bin ich überzeugt, auch wenn ich nicht viel über ihn weiß!“

      „Vielleicht haben Sie recht, Aziz...“

      „Bestimmt habe ich das, Miss!“ Am Abend kam endlich ein Anruf von Robert. Seine Stimme klang, als wäre er sehr weit weg. Aber das mochte an den schlechten Leitungen liegen oder ganz einfach Einbildung sein.

      Er sagte, dass er von Madrid aus anrufe.

      Sie fragte, ob er ihr eine Nummer durchgeben könnte, unter der er zu erreichen wäre.

      „Nein“, meinte er. „Ich rufe dich wieder an.“

      „Und wann?“

      „Ich werde sehen...“

      Einen Augenblick lang wollte sie ihn fragen, weshalb er zwei Pässe besaß und warum zum Teufel er ihr nicht offen und ehrlich sagen konnte, womit er sein Geld verdiente! Es war ein einziger, törichter Augenblick, mehr nicht.

      Und dann fragte sie sich auf einmal, ob sie eigentlich ihrer eigenen Wahrnehmung noch trauen konnte. Sie versuchte, die Dinge im Kopf zusammenzubringen, die ihr Misstrauen begründeten.

      Aber da schien auf einmal nichts mehr zu sein. Gar nichts.

      Sie hörte seine ruhige, sichere Stimme, und die Schatten in ihrem Inneren lösten sich auf.

      „Ich liebe dich, Robert“, sagte sie in das Telefon hinein.

      „Ich dich auch, Elsa.“

      Die Antwort klang etwas hölzern, aber Elsa hatte das Gefühl, dass sie ehrlich gemeint war. Robert hatte Madrid per Zug verlassen.

      Er hatte einen Schlafwagen genommen, und jetzt, am Morgen, fühlte er sich ausgeruht. Das Rattern der Schwellen hatte ihn geweckt. Er zog sich rasch an und schaute auf die Uhr. Es waren noch mehr als zwei Stunden bis zum Gare d'Austerlitz in Paris.

      Es blieb ihm also noch mehr als genug Zeit, um zu frühstücken. Er quetschte sich durch die engen Korridore an den Abteilen vorbei. Einige Fahrgäste kamen ihm entgegen. Schließlich hatte er den Speisewagen erreicht.

      Er aß ein Croissant mit Milchkaffee und sah dabei nachdenklich aus dem Fenster.

      Später, nachdem der Zug im Gare d'Austerlitz eingefahren war und Robert den Zug verlassen hatte, verstaute er sein Gepäck in einem der Schließfächer. Er würde nicht lange in Paris bleiben. Ein paar Stunden, wenn alles glattging.

      Und wenn das, was er vorhatte, doch mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, als er ursprünglich eingeplant hatte, dann konnte er sich immer noch ein Zimmer in der Nähe des Bahnhofs suchen.

      Er nahm die Metro und musste ein paarmal umsteigen. Den Weg, den er zu nehmen hatte, kannte er in- und auswendig. Schließlich erreichte er ein heruntergekommen wirkendes, kleines Geschäft in einer Seitenstraße. Die ganze Gegend war nicht besonders fein.

      In dem kleinen Laden, der sich im Souterrain eines Mietshauses mit bröckelnder Fassade befand, wurde Second-Hand-Ware angeboten. An- und Verkauf, vom Plattenspieler bis zum Lexikon.

      Aber das alles war letztlich nichts weiter, als eine Tarnung - eine Tarnung für wirklich lukrative Geschäfte.

      Robert öffnete die Tür, und als er eintrat, ertönte ein Klingelzeichen. Hinter dem Tresen saß ein kleiner dicker Mann, der kaum ein einziges Haar auf dem Schädel hatte. Er las in einer Illustrierten und hob den Blick.

      „Tag, Bernard“, sagte Robert. „Lange nicht gesehen, was?“

      Der Mann hinter dem Tresen klappte die Illustrierte zu und schien im ersten Moment ein wenig überrascht. Dann zeigte er ein breites Lächeln, das fast von einem Ohr zum anderen ging.

      „Du