Der Polizist schlenderte heran und spielte dabei mit seinem Schlagstock.
Elsa registrierte mit Genugtuung, dass das den Abgang ihres Verfolgers noch ein wenig beschleunigte. Er machte ein paar rasche Schritte, warf noch einen unsicheren Blick zurück und war bald darauf hinter einer Straßenecke verschwunden.
Elsa atmete auf. Denken die eigentlich von jedem blassgesichtigen Europäer oder Nordamerikaner, dass er Drogen konsumiert? fragte sie sich, während sie innerlich den Kopf schüttelte.
Später ging sie noch ins MARCO POLO, um etwas zu essen. An einem der Nachbartische saßen drei Marokkanerinnen, allesamt europäisch gekleidet, vornehmlich in Leder. Eine von ihnen trug sogar einen Minirock.
Elsa musste unwillkürlich an die bis zu den Augen verschleierten Frauen denken, die man ebenfalls in Tanger antreffen konnte.
Die drei Frauen schienen viel Spaß miteinander zu haben. Sie kicherten unentwegt. Elsa verstand kein Wort von dem, was sie sagten, aber dennoch hörte sie ihnen fasziniert zu.
Als sie später wieder in dem Landrover saß und zurück zu Roberts Haus fuhr, erfüllte sie ein zwiespältiges Gefühl, von dem sie nicht so recht wusste, was sie davon zu halten hatte.
Sie hatte sich etwas beruhigt, was sie für ein gutes Zeichen hielt. Aber die düsteren Schatten, die ihr Inneres schon den ganzen Tag mehr oder weniger im Griff gehabt hatten, waren noch da. Sie lauerten im Hintergrund, wie Schauspieler, die nur auf ihr Stichwort warteten, um sich auf der Bühne zu zeigen.
Elsa fuhr sehr schnell. Der Motor des Landrovers heulte laut auf, während sich ihre Gedanken wieder in atemberaubendem Tempo zu drehen begonnen hatten.
Elsa stand vor einem Abgrund aus Depressionen, und sie wusste das. Schließlich war es nicht das erste Mal, aber früher waren die Anlässe geringfügiger gewesen.
Die Stadt, die Menschen, selbst der Haschischhändler, das alles hatte sie für kurze Zeit etwas abzulenken vermocht. Aber nun war sie wieder allein mit sich und ihren Gedanken.
Es war schon später Nachmittag, als sie den Wagen vor Roberts Haus parkte. Sie schloss die Haustür auf, und mit ein paar Schritten war sie im Wohnzimmer. Die Zeitungen, die sie mitgebracht hatte, flogen auf den niedrigen Tisch.
Aus den oberen Räumen hörte sie Stimmen. Frauenstimmen. Sie schwatzten schier ohne Unterlass auf Arabisch und lachten zwischendurch hell.
Aziz' Frau und seine Töchter, dachte Elsa. Wenig später kam eine der Frauen die Treppe herunter und dann Wohnzimmer. Sie grüßte sehr höflich.
Elsa nickte ihr zu. Es gab keine Möglichkeit für sie, sich mit ihr zu verständigen. Die Frau sprach nur ihren eigenen arabischen Dialekt, sonst nichts.
Die beiden anderen Frauen kamen auch die Treppe herunter. Als auch sie das Wohnzimmer betraten und ihr Blick auf Elsa fiel, schwiegen sie augenblicklich. Am nächsten Tag hatte Elsa das Gefühl, dass Aziz ihr auszuweichen versuchte.
Er erledigte seine Pflichten so gewissenhaft wie immer, aber er schien deutlich darauf bedacht zu sein, sich nicht zu lange in Elsas Nähe aufzuhalten. Manchmal, wenn sie in seine Richtung sah, wich er ihrem Blick aus.
Elsa ließ das gestrige Gespräch noch einmal Revue passieren. Sie hatte Aziz nach Strich und Faden ausgefragt, und vielleicht gefiel ihm das nicht. Aber Elsa wollte noch mehr wissen.
Schließlich erwischte sie ihn, als er sich in der Küche eine Tasse Kaffee aufbrühte.
„Ich möchte Sie gerne noch etwas fragen, Aziz... Vorausgesetzt, Sie haben nichts dagegen...“
Er murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Dann meinte er mit gespielter Gleichgültigkeit: „Was sollte ich dagegen haben?“
Elsa zuckte mit den Schultern. „Hätte ja sein können!“
Er sah sie jetzt offen an und forderte: „Also, was wollen Sie wissen?“
„Haben in diesem Haus schon andere Frauen gelebt - mit Robert zusammen?“
Aziz war deutlich anzumerken, wie unangenehm ihm die Frage war. Wahrscheinlich bereute er seine Bereitwilligkeit schon wieder.
„Ich weiß nicht...“
„Ich möchte, dass Sie offen zu mir sind, Aziz!“
„Wollen Sie das wirklich wissen?“
„Ja!“ In ihrer Stimme klang ein hohes Maß an Entschlossenheit mit, dass ihr Gegenüber ein wenig zu überraschen schien.
„Ich verstehe, dass Sie das interessieren muss...“ Aziz versuchte sich zu drehen und zu wenden, aber Elsa ließ nicht locker.
„Es hat Vorgängerinnen gegeben, nicht wahr?“
„Ja.“
Als er das sagte, sah er sie nicht an. Es schien ihm peinlich zu sein. Vielleicht hatte er auch ein wenig das Gefühl, den Mann, für den er arbeitete zu verraten.
„Sie kennen Mister Jensen doch jetzt eine ganze Weile“, meinte er dann. „Warum fragen Sie ihn nicht all die Dinge, die Sie mich fragen?“
Elsa ging nicht darauf ein. „Was waren das für Frauen?“, erkundigte sie sich.
„Meistens Europäerinnen, die wie Sie hierher kamen, um sich das Land anzusehen und sich zu amüsieren. Es hat nie lange gedauert.“
„Aber sie haben hier gewohnt.“
„Manche. Und auch höchstens für ein paar Tage, maximal eine Woche. Solange wie Sie ist keine geblieben. Ich weiß nicht warum. Es geht mich auch nichts an.“
Elsa überlegte.
Sie hatte realistischerweise nicht erwarten können, die erste oder gar einzige Frau in Roberts Leben gewesen zu sein. Er war schließlich 38, wenn man seinem Pass glauben konnte. Wenn...
Plötzlich fragte sie sich, ob in dem britischen Pass wohl dasselbe Geburtsdatum eingetragen war, wie in dem dänischen, in den sie hineingeschaut hatte.
Es war nur ein Gedanke, aber das, was eigentlich dahintersteckte, war die Frage, was an diesem Mann tatsächlich so war, wie es zu sein schien.
Elsa sah, wie Aziz die Kaffeetasse abstellte. Er würde die nächste Gelegenheit nutzen, um ihr wieder zu entwischen, soviel war ihr klar.
„Seit wann geht das so?“, wandte sie sich an ihn, bevor Gelegenheit dazu bekam, die Küche zu verlassen.
Er schien nicht recht zu verstehen.
„Was?“
„Dass Robert – Mister Jensen - mit keiner Frau länger als eine Woche zusammengelebt hat!“
„Solange ich für ihn arbeite. Also seit annähernd drei Jahren. Vielleicht hat er irgendwo anders noch eine Beziehung unterhalten, die länger andauerte.“
„Warum nehmen Sie das an?“
„Ich nehme es nicht an, ich sage nur, dass es vielleicht möglich wäre.“
„Weshalb?“
„Weil ihr Ausländer im allgemeinen eine lockere Moral in diesen Dingen habt. Lockerer jedenfalls, als es hierzulande üblich ist.“
„Verachten Sie Robert deswegen nicht?“
„Nein. Jeder muss selbst wissen, was er tut.“ Er zuckte mit den Schultern. Elsa glaubte nicht, dass er diese Weisheit dem Koran entliehen hatte. Dann meinte er: „Mister Jensen bezahlt mich gut für meine Arbeit. Wie könnte ich ihn da verachten?“
Das war ein deutlicher Hinweis darauf, wem im Zweifelsfall seine Loyalität gehörte.
„Hat Robert eigentlich irgendwelche Freunde?