Sie runzelte die Stirn. Für einen Mann in Roberts Alter war es nichts Außergewöhnliches, ein paar graue Strähnen im Haar zu haben. Und es war auch nichts dagegen einzuwenden, mit entsprechenden Mitteln etwas dagegen zu tun. Das galt für Männer ebenso wie für Frauen. Aber was Elsa hier vorfand, ging genau in die entgegengesetzte Richtung: eine graue Haartönung!
Ihr Interesse war jetzt erwacht, und trotz der Kopfschmerzen untersuchte sie sorgfältig, was sich da in Roberts Schrank befand.
Im ersten Moment hatte Elsa an eine Frau gedacht. Eine Frau, die vielleicht - ebenso wie sie selbst - Roberts Geliebte gewesen war und diese Sachen hier zurückgelassen hatte.
Aber bei näherem Hinsehen sah es dann wie etwas ganz anderes aus. Es schienen die Utensilien eines Clowns oder besser: eines Schauspielers zu sein, der sich mit Schminke maskierte.
In ihr begann es zu arbeiten. Wozu konnte Robert solche Schminkutensilien benötigen? Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der in seiner Freizeit in einer Laienspielgruppe mitarbeitete...
Ein Mann, der mehrere Pässe besaß, brauchte möglicherweise auch mehrere Gesichter!
Bestimmt gibt es für alles harmlose Erklärungen!, hämmerte es verzweifelt in Elsas Kopf. Aber sie glaubte nicht daran. Ihr Instinkt sagte etwas anderes. Mit Robert war etwas nicht in Ordnung.
Und wenn er am Ende gar nur an einem Kostümfest teilgenommen hatte?
Es hat keinen Sinn, dachte sie.
Bis jetzt bestand alles nur aus Spekulationen. Ein Kartenhaus, das sich auf einen britischen Pass stützte, den sie flüchtig gesehen hatte und von dem sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, dass er Robert gehörte.
Vielleicht hatte ihn irgend jemand verloren, vielleicht hatte Robert ihn gefunden und eingesteckt, um ihn bei irgendeiner Stelle abzugeben. Und vielleicht war das Dokument dann einfach in seiner Tasche geblieben, weil er es vergessen hatte... Vielleicht, vielleicht...
Sie fasste sich an den Kopf. Ihr Daumen presste gegen die Schläfe. Mein Gott!, dachte sie. Wie schnell wird aus einem Traum ein Alptraum!
Du redest dir etwas ein, durchfuhr es sie dann. Sie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte und was nicht. Sie ging schleppend nach nebenan, ins Schlafzimmer und ließ sich ins Bett sinken. Ihren Kopf vergrub sie im Kissen.
Sie fühlte sich müde und zerschlagen, obwohl sie doch gerade erst aufgestanden war. Elsa wartete, bis das Mittel, das sie genommen hatte, endlich anfing zu wirken. Aber besonders gut fühlte sie sich trotz dem nicht. Später, als sie dann hinunter ins Wohnzimmer ging, stand die Tür zur Terrasse auf. Zunächst war sie etwas verwundert, aber dann sah sie Aziz durch das Fenster.
Er beugte sich hinunter zum Swimmingpool und hantierte mit einer kleinen Apparatur aus winzigen Glasröhrchen herum. Elsa blinzelte, aber sie konnte nicht erkennen, worum es sich handelte.
Sie trat hinaus.
„Guten Morgen“, sagte sie.
Aziz blickte auf. Ohne darüber nachzudenken, hatte Elsa ihn auf Deutsch begrüßt. Aziz antwortete ihr auf Englisch.
„Guten Morgen, Miss.“ Sein Englisch war akzentbeladen, aber dennoch gut verständlich.
„Was machen Sie da?“, fragte sie - nun ebenfalls auf Englisch. Sie hörte sich in der fremden Sprache reden, und ihre eigene Stimme klang fremd für sie.
„Ich überprüfe den pH-Wert“, erklärte Aziz. „So ein Pool braucht regelmäßige Wartung. Vielleicht muss ich etwas Chlor zusetzen...“
Aziz hantierte noch etwas herum, dann erhob er sich ächzend. Er schien fertig zu sein.
„Und?“, fragte sie.
„Und was?“
„Müssen Sie Chlor zusetzen?“
„Ja. Sonst ist bald alles grün, und der Pool wird zu einer einzigen, stinkenden Kloake!“
„Na, aber das dauert doch eine Weile, bis es so weit kommt, oder?“
„Das geht viel schneller, als viele Leute glauben. Zumal wenn die Sonne so scheint.“ Er deutete zum Himmel. „Wird heute wieder ein heißer Tag!“
„Ja“, murmelte Elsa nachdenklich. „Scheint so...“
Der Marokkaner wollte sich zum Gehen wenden, aber Elsa hielt ihn zurück.
„Aziz...?“
„Ja, Miss?“
„Ich darf Sie doch so nennen, ich meine...“
Er lachte. „Aziz ist mein Name. Warum sollten Sie mich nicht so nennen dürfen?“
„Wie lange arbeiten Sie schon für Robert?“
„Für Mister Jensen? Schon sehr lange...“
„Wie lange?“
„Es werden jetzt bald drei Jahre, schätze ich.“
„Und seit wann ist Robert hier in Tanger?“
„Ich weiß es nicht, aber als ich hier angefangen habe, hatte er das Haus wohl noch nicht lange.“
Elsa machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand. „Er ist ein reicher Mann“, murmelte sie.
Und Aziz nickte. „Ja, sehr reich.“
„Was denken Sie über Robert?“
Aziz machte auf einmal einen ziemlich hilflosen Eindruck. In den Händen hielt er noch die Apparatur, die er zur pH-Wert-Bestimmung des Wassers gebraucht hatte. Er zuckte leicht mit den Schultern und lächelte etwas verlegen.
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...“
Elsa kam in den Sinn, dass sie Aziz mit dieser Frage vielleicht überforderte. Schließlich lebte er von Robert... Aber sie bohrte dennoch weiter. Sie musste einfach mehr über den Mann erfahren, den sie liebte und in dessen Haus sie lebte.
„Sie werden doch sicher eine Meinung über einen Mann haben, für den Sie schon seit fast drei Jahren arbeiten!“
„Ich bin sehr zufrieden hier und kann mich nicht beklagen. Ich habe einen guten Job - und nicht nur ich, sondern auch meine Frau und meine Töchter. Sie kommen hierher zum Putzen. Wir alle verdanken Mister Jensen viel.“
„Das meine ich nicht.“
„Dann verstehe ich Sie nicht.“
„Was ist er für ein Mensch?“
„Er ist sehr verschlossen, Miss.“
„Was heißt das?“
„Dass er nicht gerne mit anderen über seine Angelegenheiten redet! Aber ist das nicht auch sein gutes Recht? Alles in allem weiß ich nicht viel über ihn, obwohl ich schon seit drei Jahren fast täglich sein Haus betrete. Etwas merkwürdig ist das schon.“ Er zuckte mit den Schultern. „Er vertraut mir immerhin so weit, dass er mir seinen Haustürschlüssel überlässt.“
„Ich meine...“
„Hören Sie, vielleicht können wir uns ein anderes Mal ein wenig unterhalten, aber im Augenblick habe ich eigentlich alle Hände voll zu tun...“
Er wandte sich bereits halb um.
„Nur noch eins!“
„Was?“
„Womit verdient Robert sein Geld?“
„Das geht mich nichts an. Hat er es Ihnen nicht gesagt?“
„Nein.“
„Haben Sie ihn gefragt?“
„Schon, aber... Ich werde