Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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erinnern, wann ich das letzte Mal so richtig gut und fest geschlafen habe.“

      „Oh, dafür hast du dich aber erstaunlich gut gehalten!“

      „Man tut, was man kann. Aber du hast natürlich recht: Im Grunde wundere ich mich auch immer wieder, mit wie wenig Schlaf ich offenbar doch auszukommen scheine. Mit zuneh­men­dem Alter spüre ich zwar schon das ständige Schlafdefizit, aber trotzdem stehe ich täglich meinen Mann.“

      „Hast du denn niemals versucht, etwas dagegen zu unternehmen? Autogenes Training zum Beispiel? Oder Meditation?“

      „Doch, ich habe es mal mit Autogenem Training probiert. Und ich habe dabei sogar gewisse Anfangserfolge gespürt. Aber dann fing irgendwann so ein fürchterliches Kribbeln in den Armgelenken und Kniekehlen an, so daß ich nicht mehr ruhig liegen konnte. Das hat mich fast verrückt gemacht. Da mußte ich schließlich damit aufhören.“

      „Ein Kribbeln?“

      „Ja! Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Aber es war einfach nicht auszuhalten.“

      „Hm! Und jetzt schläfst du schon seit vielen Jahren nicht mehr richtig? Wie hältst du das bloß durch?“

      „Das frage ich mich auch des öfteren. Aber bitte: Das bleibt unter uns!“

      „Selbstverständlich! Du kennst mich doch: Vertrauen ist Ehrensache!“

      „Ja, ich weiß, auf dich kann man sich verlassen. Das schätze ich so an dir.“

      „Was hältst du davon, mal in ein Schlaflabor zu gehen? Da könnte man vielleicht den Ur­sachen deiner Schlaflosigkeit auf den Grund gehen.“

      „Ach, weißt du, das ist so ziemlich das Letzte, was ich probieren würde. Allein schon der Gedanke daran, daß ich die ganze Nacht unter Beobachtung schlafen soll, und daß ich dabei an allerlei Geräte angeschlossen bin, die meine Bewegungsfreiheit einschränken – und ich wälze mich sehr viel herum –, läßt mich schon gar nicht erst einschlafen. Na ja, und außer­dem würde sich das wahrscheinlich wie ein Lauffeuer herumsprechen, wenn ich das täte. Nein, nein! Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage.“

      „Verstehe! Aber dann käme vielleicht ein Wellness-Urlaub in landschaftlich schöner Umge­bung in Betracht. Das wäre doch eher unverfänglich. Und da läßt du dich dann mal so richtig verwöhnen, genießt die Ruhe und Entspannung, die Natur und die therapeutischen Anwen­dungen, läßt einfach die Seele baumeln und denkst mal ´ne Weile nicht ans Geschäft. Was hältst du davon?“

      „Ja, natürlich! Gute Idee. Habe ich ja auch schon verschiedentlich gemacht. Und mache ich auch gerne immer wieder. Aber in punkto Schlaf hat es mir dennoch nie wirklich geholfen.“

      „Nicht?“

      „Nein. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ich bei Oberstaufen in einem kleinen Ort war. Wie hieß der doch gleich noch? . . . Hmm . . . Ich komme im Moment nicht drauf. Vielleicht fällt es mir nachher noch ein. . . . Ach, ich bin aber auch so furchtbar vergeßlich geworden. Na ja, jedenfalls hat es uns dort sehr gut gefallen. Das Haus war sehr gepflegt, bot so ziemlich alle Annehmlichkeiten, die man sich nur wünschen kann. Es wird von den Besitzern persönlich geführt, und die sind sehr freundlich und aufmerksam. Wir waren dort zehn Tage und haben uns sehr gut erholt – bloß mit dem Schlafen hat es auch dort nicht geklappt. Im Gegenteil, da habe ich eher noch weniger geschlafen, denn da hat meine schnarchende Frau neben mir ge­le­gen. Hier, zu Hause, haben wir ja getrennte Schlafzimmer. Das müssen wir für den nächsten Urlaub unbedingt auch buchen.“

      „Ja, natürlich! Warum hast du es nicht schon dieses Mal getan? Es gibt doch sehr schöne Seniorensuiten mit getrennten Schlafkabinen.“

      „Richtig! Die gibt es. Und die gibt es sogar in dem Haus, in dem wir waren. Nur hatten wir uns leider etwas zu kurzfristig dort angemeldet, und da waren die bereits alle ausgebucht. Es gibt halt einfach zu viele alte Leute; und im Verhältnis dazu immer noch zu wenig Senio­ren­suiten. So haben wir notgedrungen eine normale Suite mit Doppelbett genommen. Aber – wie gesagt – davon abgesehen hat es uns dort sehr gut gefallen.“

      „Hattest du diese Adresse aus dem WorldNet?“

      „Nein. Im WorldNet gibt es ja so viele Wellness-Angebote, daß man Tage brauchte, um sie alle zu studieren. Und dann weißt du im Grunde immer noch nicht, ob es wirklich das ist, was du suchst. Die lobpreisen sich doch alle, daß sich die Balken biegen.“

      „Wie? Was für Balken?“

      „Ach, das ist auch wieder so eine Redensart. Die heißt eigentlich: Die lügen, daß sich die Balken biegen.“

      „Ich verstehe immer noch nicht: Was hat Lügen mit Balkenbiegen zu tun?“

      „Ja, du mußt dir das jetzt nicht bildlich vorstellen. Nimm’s einfach als eine Redensart.“

      „Okay! Wieder was dazu gelernt.“

      „Hm . . . Wo war ich jetzt eigentlich stehengeblieben?“

      „Beim Balkenbiegen.“

      „Nee. . . . Ach so, beim Lobpreisen. Nee, also das tue ich mir nicht an, da ewig lange im World­Net herumzusurfen. Da vertraue ich lieber auf eine Aussage von Freunden oder Bekannten. Und diese Adresse verdanke ich einem Tipp von . . . äh . . . einem Tipp von . . . äh . . . Ja Kruzifix nochemal! Ich sehe ihn genau vor mir und komme nicht auf seinen Namen! Dabei liegt er mir förmlich auf der Zunge, aber ich bring’ ihn nicht raus. Das kann mich fuchsteufelswild machen, so was.“

      „Na, laß mal. Das wird dir schon wieder einfallen.“

      „Ja, irgendwann vielleicht, später. Aber ich brauche es jetzt! . . . Weißt du, es passiert mir leider öfter, daß ich einen Bekannten treffe, und just in diesem Moment fällt mir dessen Name nicht ein. Dann kann ich ihn bei der Begrüßung nicht mal mit seinem Namen an­sprechen, was ich eigentlich als unhöflich empfinde. Aber was soll ich machen. Früher war mir das regelrecht peinlich, und ich hab’ dann immer irgendwie rumgeeiert, um meine Ver­geß­lichkeit zu kaschie­ren. Heute ist es mir zwar immer noch unangenehm, aber inzwischen stehe ich dazu – jeden­falls immer häufiger. Tut mir leid, sage ich dann, aber ich komme im Moment nicht auf Ihren Namen. Kann ja schließlich jedem mal passieren, oder?“

      „Ja, natürlich! Jeder vergißt mal was. Unser Gehirn ist ja schließlich kein Computer. Und wenn man mal was vergißt, dann ist das ja auch kein Beinbruch. Ein Problem wird es erst, wenn man dauernd etwas vergißt.“

      „Du sagst es. Und unter uns: Ich fürchte, ich habe da ein Problem.“

      „Meinst du?“

      „Fürchte ich.“

      „Also, wenn du den Eindruck hast, daß dein Erinnerungsvermögen gelitten hat, dann kann das in der Tat damit zusammenhängen, daß du zu wenig Schlaf hast.“

      „Meinst du?“

      „Ich denke, schon. Nicht umsonst verbringt der Mensch rund ein Drittel seines Lebens mit Schlaf. Denn das Gehirn braucht diese Zeit, um sämtliche über den Tag gesammelten und im Hippocampus zunächst zwischen­gespeicherten Informationen sowie Erlebnisse bezie­hungs­­weise Ereignisse in den Neokortex zu übertragen. Wir sprechen hier auch vom Kurzzeit- und vom Langzeitgedächtnis. Das ist in etwa vergleichbar mit dem aus der Computertechnologie bekannten Volatile Memory, früher Hauptspeicher genannt, der nur eine ver­gleichs­weise kleine Speicherkapazität hat und seinen Inhalt bei Spannungsverlust ver­liert, und dem Non-volatile Memory, einem Perma­nent­speicher mit enorm großer Spei­cher­­kapazität. Beim Menschen speichert der Hippo­campus alles persönlich erfahrene Ge­sche­hen des Tages. Damit ist seine Aufnahme­kapazität erschöpft. Am nächsten Tag werden alle vorherigen Speicherinhalte durch die neuen Eindrücke überschrieben. Sie wären somit für immer verloren, wenn sie zwischen­zeitlich nicht in das Langzeitgedächtnis transferiert würden. Und genau dazu dient die Schlaf­phase, in der alle Erinnerungen in das Langzeit­gedächtnis übernommen und dort mit den schon vorher vorhandenen Inhalten assoziativ verknüpft werden. Man spricht hier auch vom Prozeß der