Auf der anderen Seite waren die Vorteile für den freien Mitarbeiter vor allem seine völlig freie Zeitverfügung und damit auch in gewisser Weise seine Lebensgestaltung. Er konnte jetzt beispielsweise – wenn er mit seinem Einkommen entsprechend gut auskam – ein halbes oder ganzes Jahr Urlaub machen. Er konnte auch Aufträge von anderen Firmen annehmen oder Weiterbildungsveranstaltungen besuchen. Er konnte sich freier entfalten und seine ‚Unternehmer-Qualitäten‘ entwickeln, indem er vielleicht Teile seines Auftrags an einen Unterauftragnehmer vergab. Er mußte nicht täglich zur Arbeitsstätte und zurück fahren. Er konnte sein Familien- oder generell sein Privatleben freier organisieren. Das war insbesondere für junge Familien mit Kleinkindern ein unschätzbarer Vorteil, den sie gerne für sich in Anspruch nahmen.
Es gab allerdings auch unerwünschte Nebeneffekte: So kam es verschiedentlich zur „Vereinsamung“ von Menschen, weil die Betroffenen zum größten Teil ihrer Zeit – allein – zu Hause an ihren Computern saßen und zu wenig Kontakt zu ihren Arbeitskollegen, die für manche überhaupt die einzigen Kontakte zu anderen Menschen schlechthin waren, bekamen. Sie wohnten durchaus nicht alle am selben Ort, weil das heimarbeit-bedingt auch gar nicht notwendig war, und sie trafen sich ja nur noch gelegentlich, zu bestimmten dienstlichen Anlässen. Dem versuchten allerdings die Auftraggeber häufig durch Förderung von Zusammenkünften und Gemeinschaftsveranstaltungen entgegenzuwirken, denn es lag auch in ihrem ureigenen Interesse, die Zusammenarbeit in ihren Projekten zu fördern, weil der Erfolg der Arbeit letztlich davon abhing.
Eine andere Begleiterscheinung war der gegenüber früheren Zeiten viel höhere Leistungsdruck, dem die Leute jetzt zwangsläufig ausgesetzt waren, denn sie mußten sich praktisch täglich neu bewähren, wurden ständig und unmittelbar an ihrem Erfolg gemessen. Von diesem Erfolg hing schließlich auch ihre weitere Beschäftigung beziehungsweise Beauftragung sehr wesentlich ab, denn die vertragliche Bindung der Auftragnehmer zu ihrem Auftraggeber war jetzt deutlich geringer als bei den früher üblichen Festanstellungen. Das war gewissermaßen der Preis, den sie für den größeren Freiheitsgrad in ihrer Selbstbestimmung und persönlichen Zeiteinteilung zahlen mußten.
Auf der anderen Seite waren die Chancen, einen Auftrag zu erhalten, jetzt deutlich größer als in früheren Zeiten. Das hatte verschiedene Gründe: Zum einen waren die Firmen aufgrund der viel geringeren Zahl von Festanstellungen in ihren Betrieben auf die vermehrte Vergabe von Aufträgen an Externe angewiesen. Zum anderen gab es jetzt eine für alle Firmen in der EU einheitliche, nämlich am vereinbarten Auftragswert ausgerichtete Entlohnungsstruktur. Die früher speziell in Deutschland sehr hohen Lohnnebenkosten pro Mitarbeiter sind entfallen, und das führte in der Tat zu einem größeren Beschäftigungseffekt. Denn damals beschäftigten die Firmen wegen der hohen Lohnnebenkosten lieber wenig Leute mit vielen Wochenarbeitsstunden, anstatt mehr Leute mit weniger Wochenarbeitsstunden. Nachdem diese „Schieflage“ beseitigt worden war und die Entlohnung nicht mehr auf Stundenbasis, sondern auf der Basis eines gut vorauskalkulierbaren Leistungswertes erfolgte, funktionierte der Arbeitsmarkt wesentlich entspannter. Dem Auftraggeber konnte es jetzt egal sein, ob sein Auftrag von einem oder von mehreren Auftragnehmern gemeinsam bearbeitet wurde, ob also der Leistungswert – die Bezahlung – an einen Auftragnehmer ging oder unter mehreren aufgeteilt wurde. Hauptsache für ihn war, daß die vereinbarte Leistung in der vereinbarten Zeit und Qualität erbracht wurde. Zum Ausgleich für die entfallenen Lohnnebenkosten mußten die Auftraggeber jetzt allerdings zwangsläufig ein inflationsbereinigt höheres Lohnniveau als in früheren Zeiten akzeptieren, um die Auftragnehmer in die Lage zu versetzen, ihre Sozialversicherungs- und Vorsorgeaufwendungen bezahlen zu können.
Mit der Vereinfachung und europaweiten Vereinheitlichung der Vergütungsstruktur sowie dem automatischen Einzug der Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge bei jedem Kapitaltransfer wurden innereuropäische „Verzerrungen“ aufgehoben und Verwaltungsaufwände auf allen Ebenen drastisch reduziert, was letztlich allen zugute kam: Das System war gerechter, und es war besser für die Bürger und besser für die Gesellschaft.
Die in früheren Jahren in weiten Teilen vorherrschende Versorgungsmentalität existierte praktisch nicht mehr. Das sogenannte „Soziale Netz“, vielfach auch als „Hängematte“ bezeichnet und als Ruhekissen ausgenutzt, stand in dieser Form nicht mehr zur Verfügung. Jetzt gab es die Allgemeine Grundversorgung, und damit mußte zufrieden sein, wer nicht arbeiten wollte. Zusätzliche Hilfe bekamen jetzt nur noch nachgewiesenermaßen wirklich kranke und notleidende, unterstützungsbedürftige Menschen, die unverschuldet in diese Situation geraten waren und nicht mehr allein herauskommen konnten. Das wurde streng kontrolliert. Wer arbeitsfähig war, hatte keinen Anspruch auf diese Unterstützung. So mußte sich jeder nolens volens selbst um eine Arbeit bemühen, sich selber kümmern, wenn er seinen Lebensstandard verbessern wollte. Und Arbeit gab es genug, obwohl sehr viele Arbeitsplätze, insbesondere in der Produktion durch den Robotereinsatz und in der Verwaltung durch automatisierte Verarbeitungsprozesse, verlorengegangen waren. Dafür gab es aber beispielsweise auch keine ehrenamtlichen Tätigkeiten mehr, auch keine unentgeltliche Nachbarschaftshilfe. Jede Tätigkeit mußte bezahlt werden. Besonders im Dienstleistungsbereich boomte der Arbeitsmarkt regelrecht, selbst in dem ehemals als „Service-Wüste“ verschrienen Deutschland. Angebot und Nachfrage waren gleichermaßen sehr groß, ob es sich nun um Kinder- oder Krankenbetreuung, Altenpflege, „Wellness“-Anwendungen im weitesten Sinne, Aus- und Weiterbildung, Garten- und Landschaftspflege, Reparatur- oder Reinigungsdienste, Transportdienste, Unterhaltung jedweder Art, oder was auch immer handelte. Jeder Erwachsene hatte eine Ausbildung, einen Beruf und – wenn er wollte – einen oder mehrere Jobs. Man hatte nicht keine Arbeit, weil es keine gab, sondern nur, wenn man nicht zu arbeiten brauchte, weil man auch so vermögend genug war, oder wenn man nicht arbeiten wollte, weil man Urlaub machte oder eine Weiterbildungsmaßnahme wahrnahm. Wie man überhaupt seine Zeit nach eigenem Gutdünken frei einteilen konnte. So gab es nicht Wenige, die etliche Monate am Stück hart arbeiteten, um sich dann mit dem verdienten Geld eine längere Weltreise leisten zu können. Diese neu gewonnene Freiheit, sein Leben, seinen Alltag selbst bestimmen und gestalten zu können, nicht jeden Tag von neuem in die gleiche, zeitlich vorgegebene „Tretmühle“ gehen und seine Stunden „absitzen“ zu müssen, diese neue Freiheit war es vor allem, die – nach quälend langen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen – die Mehrheit der Bevölkerung schließlich doch für diesen gravierenden gesellschaftlichen Wandel vereinnahmte. Und nicht nur das – sie förderte die Kreativität der Menschen in einem Ausmaß, wie es vorher niemand sich auszumalen vermochte. Das gesellschaftliche Leben pulsierte in allen Bereichen. Im Kunsthandwerk,