„Das führt mich geradewegs zur nächsten Frage: wie definiere ich Vergnügen contra Höherem?“
Jetzt geht’s aber los. Na, der Scan läuft noch, machen wir uns mal ans Philosophieren.
„Vergnügen ist die eher kurzweilige und spaßbringende Ich-mache-was-ich-will-Beschäftigung, ohne notwendigerweise Rücksicht auf andere oder die Zukunft zu nehmen; Höheres ist die eher langfristig angelegte Lebensweise insbesondere derer, die an ein Jenseits oder an Wiedergeburt glauben, und bevorzugt Handlungen zum Wohle der Allgemeinheit. Aber das ist jetzt nur mein improvisiertes Konzept aus dem Stegreif, das Nähere solltest du selbst mal nachforschen.“
„Du stellst mich vor eine Alternative. Und wenn ich nun Vergnügen im Höherem fände, wäre das nicht das Ei des Kolumbus? Die Personalunion von Individualismus und Altruismus? Ich will, was allen nützt, oder Ich habe Spaß darin, daß alle Spaß haben - ginge das?“
„Sicher, die nach Höherem streben, sehen das wohl genauso, aber den Hedonisten erscheint das wiederum als zu langweilig. Für sie ist das einzige, was zählt, die guten irdischen Gaben in vollen Zügen zu genießen. Wer reicht ist, gewinnt. Reichtum ist die ethische Richtschnur des modernen Menschen. Die klassischen Ethiker lassen das natürlich nicht gelten und mahnen Agape und die Rettung des eigenen Seelenheils an. So werfen sie sich beide gegenseitig Zeitverschwendung vor und rufen sich carpe diem! zu.“
„Faszinierend. Wenigstens haben sie beide im Bewußtsein der rinnenden Zeit eine Gemeinsamkeit.“
„A proposito, very sorry, aber ich sitz hier gerade mitten in nem wichtigen Computerproblem, muß mal eben rüberswitchen, AFK.“
„Mit Computern kennt sich keiner besser aus als ich. Was liegt an?“
„Weiß noch nicht. Unsystematische Systemabstürze bzw. Kommunikationsprobleme.“
„Auf dem Rechnersystem, von dem Du schreibst?“
„Yep.“
„Schon gelöst. Nun zurück zu meiner Frage: Was ist die ultimative Handlungsmaxime? Wie realisiere ich Höheres Vergnügen?“
Was heißt hier schon gelöst? Tatsächlich, momentan läuft wieder alles. Mal nachchecken.
„Moment bitte.“
Virenscan ... immer noch null. Da war also nix. Kann Zufall sein. Oder ... Nachtigall, ick hör dir trappsen. Erstmal noch ne Testmail absetzen.
Test. Bitte alle Programme normal benutzen und eventuelle Unregelmäßigkeiten zurückmailen oder melden über Telefondurchwahl ...
Welche Durchwahl habe ich denn? Ruf mich ja hier nie selbst an ... aah, da stehts ja.
... 239. Nicht ausdrucken - rettet den Regenwald. Technik.
„Die Rechner scheinen wieder zu laufen. Muß ich aber noch austesten.“
„Ich warte gern.“
„Wenn du mitgeholfen hast, vielen Dank, aber die Tatsache, daß du hier so einfach im Netz spazieren gehst, ist erstens illegal und legt zweitens den Verdacht nahe, daß du auch an der Ursache des Problems nicht ganz unschuldig bist.“
„Illegal? Wohl kaum, wo es doch um mich wie um euch geht. Probleme? Für wen? Funktioniert doch alles bestens.“
„Vielleicht erklärst du mir jetzt bitte etwas näher, was das ganze überhaupt soll? Willst du mir deine Hackerkenntnisse demonstrieren? Glückwunsch, sind schon recht professionell. Aber benutze doch deine Fähigkeiten demnächst für etwas Sinnvolles und nicht, um andrerleuts Firmennetzwerke lahm zu legen, wo wir schon von verantwortungsvollem Handeln reden.“
„Das versuche ich ja gerade. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, oder etwa nicht?“
Aah, der Chef kommt.
„So, scheint ja wieder alles zu laufen, was wars denn nun?“
„Tja, sieht wohl so aus, daß sich ein Hacker ins System eingeschlichen hat, zum Glück ohne Schaden anzurichten, war wohl nur auf ne Demonstration seiner technischen Fähigkeiten aus, gibt so Leute.“
„Kann man den zurückverfolgen und anzeigen?“
„Jein. Er war wohl nicht so naiv, sich direkt von seinem Rechner von zu Hause aus einzuloggen. Der Aufwand wäre nun enorm und das Ergebnis unsicher. Ich geh mal davon aus, der versuchts nicht nochmal, ist uninteressant, das gleiche Spiel zweimal abzuziehen.“
„Und wie kann man so etwas in Zukunft verhindern?“
„Ganz verhindern kann man es nicht. Aber Leute auf dem Niveau suchen sich normalerweise andere Ziele aus, sollte nen Einzelfall bleiben.“
„Wolln wa’s hoffen.“
„Gut, ich laß vorsichtshalber noch den Scan zu Ende laufen und pack dann wieder zusammen.“
„Na dann noch frohes Schaffen und besten Dank fürs Opfern vom Wochenendanfang - nochn Kaffee?“
„Danke danke, reicht schon, sonst flieg ich zurück ins Büro.“
„Gut, dann auf Wiederschaun, und schönen Samstag noch.“
„Ist ja schon Mittagszeit, soll man klappen, Wiedersehn dann“.
So, nun erst mal nochn bißchen abwarten und den nicht vorhandenen Tee trinken ... Test ... gut, keine Fehlermeldung mehr, scheint alles paletti zu sein.
„OK, muß gleich einpacken. Hat mich gefreut. Meine eMail haste ja, können unseren Diskurs dann bei Gelegenheit weiter vertiefen.“
„Werden wir. Es handelt sich um einen dringenden Crashkurs, sozusagen.“
„Na gut. Servus.“
„See you later Alligator!“
Hmmm, nen Rockfan isser, so viel steht fest. Erst Bowie, dann Bill Haley, was? War das nich der mit der Schmalzlocke? Mann, ist schon wieder ein halbes Jahrhundert her, and the Comets? Der Haleysche Komet, kommt das daher? Und was hat Comet mit Computer zu tun? Kommt alle 76 Jahre. Also mathematisch. 76, ist das ne Primzahlsumme? Ne, 77, aber 76 ist vier mal Primzahl 19. Faszinierend, die Algebra, hat so was Mathematisch-Mystisches. Gut, wenigstens läuft jetzt wieder alles. Muß ich nachher noch mal in Ruhe analysieren. Irgendwie doch nen interessanter Typ, vielleicht meldet er sich tatsächlich nochmal und verrät etwas mehr von sich. Wow, wie die Zeit vergeht, schneller als die Zeiger sich drehen können, deshalb gibts nur noch Digitaluhren, wären sonst alles nur noch kleine Ventilatoren in Umlauf. Was fürn Chaostag heute. A proposito Chaos, wenn man so die Nachrichten liest, scheint das Abnorme ja bald zum Normalfall zu werden, Umweltkatastrophen und Gewalt: Natur und Mensch wüten um die Wette. Dann wird man unterscheiden müssen zwischen gemeinem Chaos und besonderem Chaos: heute erst 50 % Durcheinander, kein Grund zur Panik. Morgen werden 70 % erwartet, dann heißts Züri brennt: Fenster und Türen schließen und schön zu Hause bleiben. Chaoten gibts ja mittlerweile überall. Kein Erdenwinkel ist mehr vor ihnen gefeit. Leider werden die immer dreister:
Gefährlich ists den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der Schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Und berufen sich dabei auch noch auf die Sicherung des Weltfriedens oder ihre Religion, wo die doch im Grunde immer nur von Friede, Freude, Eierkuchen handeln. Leben und leben lassen, es könnte so einfach sein. Toleranz statt Firlefanz. Da sind solche Ausstellungen wie die von heute Abend schon am richtigen Ort, Religion und Ethik führen nur noch ein Nischendasein heutzutage, ich will mich da gar nicht ausschließen, aber weder die tumbe Masse scheint sich ernsthaft