Der Cyber-Mönch. Yahya Wrede. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yahya Wrede
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039108
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geistigen Fingern, blöder autofokussierter Forscherdrang. Ah ja, die Frage nach der Selbstbestimmung: Hat der Mensch eine gewisse Entscheidungsfreiheit oder ist bereits alles vorherbestimmt? Also vom Extrem 1, daß jeder konditionsfrei machen kann, was er will, bis hin zum Extrem 2, daß jedes einzelne gesprochene Wort, jeder Gedanke bereits in einem großen Buch steht, kann man ja alles vertreten. Gegen These 1 spricht, daß wir nun einmal nicht vollkommen frei sind, sondern von Vielerlei abhängen, angefangen mit den äußeren Umständen, das sogenannte Schicksal, dann Erziehung, die eigene Psyche, die wiederum auf anderen, in der Vergangenheit liegenden Erfahrungen beruht, unter anderem auch derjenigen der Vorfahren, somit wäre ich eben nicht frei, sondern bereits in einer mehr oder weniger geräumigen Zwangsjacke geboren und aufgewachsen. Nicht umsonst sprechen die Adepten bei der angestrebten Erleuchtung von der Großen Befreiung. Freiheit kann jedoch nur heißen, frei zu sein von etwas - bis hin zu allem: wenn mich nichts anficht, bin ich innerlich frei, also kann ich wählen. Freiheit zu interpretieren als Freibrief, alles zu tun, wonach einem der Sinn steht, ist somit nicht Freiheit: denn dann besteht ja offenbar noch der Zwang, dieses oder jenes machen zu müssen: also gerade das Gegenteil von Freiheit. Letztlich ist diese Art von sogenannter Freiheit eher Größenwahn, und wie die Herren Mächtigen der Geschichte uns zeigen, löst sich dieser automatisch von jeder Verantwortung. Wahres Handeln muß doch unter einer Maxime stehen, ließ Plato schon den Sokrates disputieren im Gorgias, schön daherfaseln reicht nicht, wenn man nicht weiß, zu welchem Zweck. Daher das Leitbild Ethik oder Religion: an das Gemeinwohl denken und volens an Gott. Freiheit als absolute Handlungsfreiheit zu verstehen ist somit nichts anderes als ein großer Irrtum derjenigen, die so gerne von Freiheit reden. Es sei denn, sie meinen Frieden: in Ruhe gelassen zu werden ist schließlich auch ein äußerst wertvolles Gut – das heißt sogar ein Naturrecht des Menschen. Andererseits hat jeder das Gefühl, doch frei handeln zu können. Ist schon paradox. Gegen These 2 spricht, daß eine totale Schauspielschule erstens unserer täglichen Erfahrung zuwiderläuft und zweitens dann jegliche Ermahnung und jeglicher Aufruf zur Besserung völlig überflüssig wären, deren sich unsere Religionslehrer immer befleißigt haben, denn wenn ich nur eine Marionette bin, braucht Er mich auch nicht zu eigenständigen Handlungen aufzufordern, das wäre dann allenfalls göttlicher Zynismus, wenn Er mir nur vorgaukeln würde, ich könnte irgendetwas selbst tun, wohl wissend, daß es gar nicht geht. Oder Synthese 3, eine Mischform: einiges ist festgeschrieben, anderes entscheidbar. Wie ne Partitur oder ein Theaterstück: Der Verlauf steht einerseits fest, andererseits kommts ganz drauf an, was der einzelne persönlich aus seiner Rolle macht, wie sehr er sich mit ihr identifiziert und sie mit Leben füllt. Wobei der Regisseur seine Truppe wohl kennt und durchaus schon genau ausgewählt hat, wer welchen Part übernimmt. Also wäre nur der Weg unser Ziel. Naja, nil sine numine; offenbar eine der Grundfragen der Menschheit, die man wohl nie endgültig wird erforschen können, ergo wir sie unserem Dichterfürsten zufolge ruhig zu verehren haben.

      „Moin, moin, bin schon da, wasn los mit dem Schätzchen? Oh danke, Kaffee, gern, um diese Uhrzeit immer, danke. Schwarz bitte, reicht schon, soso, blackout sozusagen, was ham wer denn hier, na, das kriegen wir schon wieder hin.“

      Eigentlich is mir Tee ja lieber, ist irgendwie leichter, himmlischer, Kaffee hat so was Schweres, Erdiges. Sind nur beide nie richtig zu temperieren: entweder brühendheiß oder schon zu lau. Tee - das Getränk des geistig tätigen Menschen, Kaffee - das des körperlich arbeitenden? Nee, wenn ich mir meine Kollegen so anschaue, die trinken einfach alles. Wahrscheinlich sogar mehr Kaffee. Wirkt vielleicht schneller? Wäre ja mal wieder typisch, keine Zeit zum Genießen, nur zum Arbeiten. Wie soll man da in Ruhe und Würde alt werden? Also mir scheint alles normal zu laufen, was wolln die denn? Tja, die Telepathie des Technikers. Manchmal reicht ein Blick und es geht! Werd mal vorsichtshalber ne Rundmail absenden, irgendwer arbeitet ja immer am Wochenende.

       Test. Nicht ausdrucken - rettet den Regenwald. Technik.

      Oh, wuppdich, nu ist Sendepause. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Ging doch eben noch? Keine Fehleranzeige, alles dran, warum ist denn jetzt das ganze Netz flachgelegt – wie bei mir zu Hause gestern, wie hatt ichs dann wieder hingekriegt? Ging irgendwie von selbst irgendwann. Vielleicht ist irgendnen Virus drin, werd mal das System scannen. Wann ham die denn das letzte Update runtergeladen? Oder ist der so neu, daß ihn noch keiner kennt, die Bösewichte sind der Polizei ja immer einen Schritt voraus. So, wird ne Weile dauern ... nix, muß wohl resetten. Ahh, da sind wir wieder. Merkwürden sehr merkwürden. Erst mal meine Mails checken, vielleicht hats die anderen auch erwischt und sie haben schon ne Lösung parat ... Spam ... Werbung ... uninteressant; na wenigstens werden die ganzen größer, weiter, höher schön rausgefiltert, wer hat diesen Quatsch überhaupt je angeklickt? Delete. So, wieder sauber. Ah, gleich ne neue Mail. Von OFUNJOE? Kenn ich den? He, war das nich der von gestern?

      „Beware!“

      Beware? Aufpassen? Ich? Auf was denn? Weg mit dir innen Papierkorb. So. Neue Mail. Schon wieder vom Joe.

      „Beware! No malware!“

      Haha, nen richtiger Witzbold, na wenigstens isser ironisch. Weg damit. Und tschüß. Neue Mail. Von Joe.

      „Don’t delete. Read!“

      Häh? Das ist neu. Woher weiß der so schnell, daß die alte Mail weg is? Nee, ich trau dem Braten nich. Delete. Wasndes? Neue Mail. Von ... Joe.

      „Read!“

      Na gut, wird immerhin als ungefährlich eingestuft, schaun mer mal.

      „Click on the chat room link.“

      Nee, mein Lieber, dein link klick ich jetzt nich an, raus da, delete! Uii, geht nich?! Nochmal: d-e-l-e-t-e! Hallooo!? D-E-L-... Neue Mail. Von Joe:

      „Nice try!“

      Häh? Hat wohl ein Programm laufen, das dumme Sprüche klopft!? Aber warum löscht sich die Mail nich? Wie macht der das? Wasn das fürn übergeschnappter Kerl, da will mich doch wohl ein Kollege auf den Arm nehmen? Versteckte Kamera oder was? Neue Mail - von Joe:

      „Go to the chat room, please.“

      OK, der PC wird ja eh grad durchleuchtet, und der Scan hat nichts gefunden. Gut, gehn wir mal drauf ein, entweder es ist nen Schwachpinsel oder nen Genie, schlimmstenfalls würg ich ihn wieder ab, hab eh noch Zeit.

      Klick!

      „Good Morning. Finally you made it.“

      „You’re welcome.“

      „I wanted to ask you something.“

      „Why me?“

      „I am reputing you a sympathetic person.“

      „Do we know each other?“

      „We do know a little of each other, yes, if I may say so.“

      „So what?“

      „What is the use of it all?“

      Was soll das denn nu wieder heißen. Inglischis Chaos halt, wußt ichs doch. Alter Schwede. Na warte.

      „You are sending spam around. That does not make any sense, indeed. Just stop it and let me do my work.“

      „I am serious. So tell me: Isn’t there a preeminent purpose to follow in all what you do or leave to do?“

      „Maybe there is such a thing. Some say yes, some say no. Who knows? Not me. We never lost control.“

      „... so David knows?“

      „Cool, good guess.“

      „I am not guessing. I knew.“

      „If you know, why do you ask me, du armer Tor?“

      „Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewußt.“

      „Kompliment, ne gute Allgemeinbildung, aber keinen Zugang zu Philosophie und Religion?“

      „Zugang ja, aber die Fülle sich widersprechender Informationen ist sogar für mich erdrückend. Mir fehlen noch einige Konstanten für meinen ultimativen