hinauf, der sich über das Hauptgebäude erhob und an dessen Spitze das
Signalfeuer von Eternas vorbereitet war. Die Silhouette einer Wache mit dem
wehenden Rosshaarschweif der Schwertmänner hob sich gegen das grelle
Licht ab. »Und es sind die Orks, die ihnen diese Schwierigkeiten bereiten. Es
müssen viele von ihnen sein, sonst würden die Zwerge nicht um Hilfe bitten.«
»Ja. Sie scheinen ein ebenso stolzes Volk zu sein wie wir«, stimmte
Larwyn zu, während sie unter der mittleren Wehrmauer hindurchschritten.
»Es wird ihnen nicht leichtgefallen sein, andere um Hilfe zu ersuchen. Ich
wollte, Garodem wäre hier, dann wäre mir leichter.« Sie seufzte leise. »Ich
kann die Pferdelords nicht einfach nach Norden ins Ungewisse schicken. In
den Jahren nach dem Ansturm der Orks haben wir uns von vielem erholt, und
unsere Bevölkerung ist angewachsen, aber wir bringen kaum drei volle
Beritte auf die Pferde, nicht wahr, guter Herr Tasmund?«
Der Erste Schwertmann kratzte sich im Nacken und überlegte kurz. »Drei
Beritte, nun, Hohe Dame, eigentlich sind es eher zwei. Viele der Männer sind
jung und noch nicht voll ausgebildet, es fehlt ihnen an Erfahrung. Zudem ist
gerade Erntezeit, und die Wolltierschur hat begonnen.«
Larwyn blickte zum Haupttor hinüber. Durch die offen stehenden
Doppelflügel hindurch konnte sie die Stadt erkennen. Es stimmte, es war die
Zeit, in der die Ernte eingebracht und die Wolltiere geschoren werden mussten.
Viel Arbeit für die Menschen der Hochmark. Jeder Mann, dem sie die Losung
der Pferdelords gaben und der dem Treueid folgte, würde dabei fehlen.
»Ihr habt recht, guter Herr Tasmund. Ich will auch nicht zu viel Unruhe in
die Mark bringen, solange wir nicht wissen, was wirklich geschieht. Garodem
wird bald aus der Stadt des Königs zurückkehren, und dann mag er
entscheiden, was zu tun ist. Sollte die Bedrohung durch die Orks zu groß sein,
wird die Zahl unserer Pferdelords nicht ausreichen, ihr zu begegnen. Wenn
wir Hilfe aus den anderen Marken benötigen, müssen wir Boten entsenden
oder das Signalfeuer entzünden. Doch das kann nur mein Gemahl
entscheiden. Bis es so weit ist, müssen wir in Erfahrung bringen, was im
Reich der Zwerge vor sich geht.«
»Kormund und Dorkemunt wären dazu wohl geeignet. Sie sind erfahren
und haben ein Gespür für den Feind.« Tasmund setzte sich auf den Rand des
Brunnens vor dem Haupthaus. Die niedrige Einfassung in achteckiger
Grundform war mit den Wildblumen der Hochmark bepflanzt. In der Mitte
der Wasserfläche spie ein springendes Pferd aus weißem Stein seinen
Wasserstrahl in das Becken. Der Schatten, den die große Steinstatue des
ersten Königs der Pferdelords warf, berührte gerade erst den Rand des
Brunnenbeckens. Es würde also noch dauern, bis die Sonne unterging und der
Abend Abkühlung verschaffte. »Ich möchte sie nur ungern sofort wieder
hinausschicken, aber wir haben nicht sehr viele Männer mit ihrer Erfahrung.«
Larwyn setzte sich neben ihn, schöpfte eine Handvoll Wasser und betupfte
damit ihren Nacken. »Dorkemunt ist nicht nur ein sehr erfahrener
Pferdelord«, sagte sie leise und lächelte Tasmund an. »Er ist auch ein sehr
kleiner Pferdelord.«
Tasmund verstand, worauf sie hinauswollte. »Er würde sich recht
unauffällig im Reich der Zwerge bewegen können.«
»Richtig.« Larwyn lachte auf. »Er mag nicht so breite Schultern haben wie
ein Zwerg, und ihm fehlt wohl auch der üppige Bartwuchs, doch dem könnte
man abhelfen.«
Tasmund straffte sich. »Hohe Dame Larwyn, ich schlage vor, dass
Kormund und Dorkemunt aus den beiden großen Weilern einen Beritt
zusammenstellen, mit dem sie nach Norden reiten, um die Lage zu erkunden.
Hin zu diesem, äh, Sprung, den der Zwerg Balruk erwähnte.«
»Hin zum Sprung des Flusses«, bekräftigte Larwyn, »und, wenn nötig,
auch weiter. Wohl denn, guter Tasmund, geht und bringt mir Dorkemunt und
Kormund. Und schickt noch einen verlässlichen Mann zu mir. Ich will, dass
über all dies Schweigen herrscht. Eilen wir uns, denn wir wissen nicht, wie
viel Zeit uns noch bleibt.«
Kapitel 9
Das kleine Tal zog sich in einem sanften Bogen durch das Gebirge. Seine
Hänge waren nicht besonders steil, doch immer wieder lösten sich Steine und
polterten hinab, wobei sie manchmal kleine Steinlawinen auslösten. Jedes
Mal hob Nedeam misstrauisch den Kopf und spähte um sich, ob das Geräusch
auf eine Gefahr hinwies. Er hatte seinen Bogen locker über den Sattelknauf
gelegt und hielt einen Pfeil bereit, so wie jeder gute Herdenhüter seine Waffe
bereithielt, wenn er seine Schutzbefohlenen bewachte. Der Fünfzehnjährige
hatte an diesem Tag schon einige Male über seine Herde geflucht, denn sie
verteilte sich über das gesamte Tal und suchte zwischen den Felsgruppen und
am Rand des Wasserlochs nach dem zähen, aber nahrhaften Gras der
Hochmark.
Fast hundert Wolltiere hatte Nedeam zu beaufsichtigen. Gestern waren es
noch genau einhundert gewesen, aber am Morgen hatte er ein gerissenes
Lamm gefunden. Der kleine Tierkadaver hatte am Rand des Tals in der Nähe
einiger größerer Felsen gelegen, und Nedeam hatte ihn nur flüchtig
untersuchen müssen, um die Todesursache bestimmen zu können. Es war
einer Raubkralle zum Opfer gefallen.
Eigentlich waren Raubkrallen typische Räuber der großen Ebenen, wo sie
in ihren kleinen Rudeln jagten. Doch hin und wieder zogen sie auch in die
Gebirge der Hochmark hinauf, obwohl das Nahrungsangebot hier nicht so
reichhaltig war. Meist waren es denn auch ältere und schwache Tiere oder
Einzelgänger, die ihr Rudel verloren hatten oder von ihm verstoßen worden
waren.