Aevum. Werner Karl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Karl
Издательство: Bookwire
Серия: Black Ice
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748587880
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und die Trooperin glaubte zu sehen, wie sich das Tier noch fester an den Felsen saugte.

       Das wären bessere Klettergriffe als die Risse und Spalten im Fels, die ich erst suchen muss …

      Wie eine Aufforderung krachte es über ihr, gefolgt von einem deutlichen Zittern der Felswand.

       Na, gut. Dann schwitz mal schön, Mädchen!

      Dachte es, pustete ein wenig Schweiß von ihrer Oberlippe und Nase und verfolgte das Spiel von auftauchenden Saugern und Augen knapp über und seitlich von ihr. Mit zunehmendem Unbehagen vernahm Bérénice weiteres Knirschen und Krachen von oben.

      Soll das die Prüfung darstellen?, dachte sie und unterbrach kurz ihre Anstrengungen. Soll ich mich diesen Wesen anvertrauen?

      Sie warf einen Blick über sich und sah erste Partikel herabstürzen. Gottlob gehörte zu ihrem Trainingskampfanzug ein Helm, der sie wenigstens vor kleineren Geschossen schützen würde.

      Aber nicht vor Brocken über Faustgröße! Ergo macht der Weg nach oben keinen Sinn. Wieder schätzte sie ihre Chancen ab. Links oder rechts? Wie kann ich wissen, ob sich auf beiden Seiten … Steinsauger befinden?

      Sie löste ihre Linke aus dem sicheren Griff, wischte sich damit ein wenig Schweiß von der Stirn und schnippte ihn auf die Felswand der gleichen Seite. Nur zwei Podien bildeten sich aus und verschwanden wieder, kaum dass sie die Spende aufgenommen hatten. Bérénice wiederholte den Test auf der rechten Seite und sah, wie sich über ein halbes Dutzend der Tiere enttarnten. Zwei wandten sich ihr sogar neugierig zu und glotzten sie scheinbar auffordernd an.

      Na schön, dachte sie wieder und zog die Hand zurück, um neuen Schweiß aufnehmen zu können. Gerade rechtzeitig. Denn ein kopfgroßer Brocken stürzte lautlos so dicht an ihr vorbei, dass er ihr die Hand zerschlagen hätte, hätte sie diese nicht bewegt gehabt. Ein wahrer Regen kleinerer Steinchen folgte dem Brocken, genauso lautlos wie dieser. Plötzlich knackte es markerschütternd über ihr und Rauschen und Poltern kündigten ihren Tod in Form ungezählter steinerner Mörder an.

      Bérénice zögerte nun nicht mehr, sondern packte einen der Auswüchse der neugierigen Lebewesen und rüttelte daran. Bombenfest. Mit geübten Bewegungen fanden ihre Füße Halt und ihre Hände einen Saugrüssel nach dem anderen. Mittlerweile prasselten ständig Sand und Steinchen auf sie nieder, immer wieder ergänzt durch größer werdende Geschosse. Mehrmals schlugen Bruchstücke auf ihren Helm und ihre leidlich geschützten Schultern. Jeder Schlag trieb ihr neuen Schweiß aus den Poren.

       Nur zu, Berg. Wenn du mich töten willst, dann musst du dich wirklich anstrengen.

      Bérénice war mehr zufällig dazu übergegangen, mit einem Finger nur wenige Schweißtropfen von ihrem Gesicht oder ihrer Stirn aufzunehmen, und sie leicht auf eine Stelle zu tippen, die in ihrer Greifweite lag. Jedes Mal stülpte sich ein Rüssel empor, dem sie nun keine Zeit mehr ließ, die Tropfen aufzunehmen, sondern packte, sobald er seine volle Länge erreicht hatte. Das Tempo, das sie dabei erzielte, ließ sie innerlich erschaudern und unterstützte ihre Schweißproduktion.

      Ich bewege mich an der Wand entlang, wie ein Affe im Urwald mit Lianen. Eine uralte Legende über einen nur mit Lendenschurz bekleideten Waisen in einem Dschungel der Erde fiel ihr ein, der sich angeblich mit einem grellen Schrei und Schwüngen von Liane zu Liane fortbewegt haben soll. Und als wolle sie das Schicksal verspotten, schrie sie schmerzerfüllt auf, als ihr ein messerscharfer Splitter den rechten Unterarm zur Hälfte, aber nicht tief, aufschlitzte und ihr Blut auf den Felsen spritzte. Bérénice keuchte, besah sich die Wunde und registrierte nüchtern, dass diese zwar unangenehm war, sie aber erfreulicherweise nicht merklich behinderte oder gar gefährdete. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie ihren Weg seitwärts fort und vermerkte mit stiller Genugtuung, dass sie sich vom Strom der herabstürzenden Steine entfernte. Sie vernahm immer noch Krachen und Rumpeln, das sogar noch zunahm. Doch alles geschah hinter ihr.

      Sie gönnte sich ein paar Sekunden Pause, in denen sie Atem holte und sich die Wunde nah vor die Augen hielt. Der Schnitt entließ beständig Blut, und wieder war sie der Meinung, dass sie schon ganz andere Verletzungen erlitten und weggesteckt hatte. Sie wollte schon weiterklettern, als ihr Blick nach unten fiel. Doch das, was sie jetzt sah, hätte sie beinahe ihren Halt verlieren lassen.

      Drei, nein, vier Steinsauger hatten ihre Pseudopodien ausgebildet und auf sie gerichtet. Dazu stierten sie deren Augen mit einem Ausdruck an, wie ein Gourmet ein köstliches Mittagsmahl. Als wäre das noch nicht genug, krochen die Viecher mit wellenartigen Bewegungen auf sie zu! Augenblicklich erkannte Bérénice, was dafür verantwortlich war.

      Mein Blut! Und nur eine Sekunde danach: Blut enthält Salz. Ihre Gedanken überschlugen sich. Vielleicht ist ihnen das Blut sogar wichtiger. Denn allein das Salz meines Schweißes hat sie nicht dazu bewegt, sich vom Felsen zu lösen. Selbst der Steinschlag hindert sie jetzt nicht daran, sich mir zu nähern.

      Sie hatte keine Lust, sich auszumalen, was die Steinsauger – sie war versucht, sie nun Blutsauger zu nennen – mit ihr anstellen würden, hätten diese sie erst einmal erreicht.

      Den Gefallen tue ich euch nicht, beschloss sie lautlos, schnappte sich einen salzgierigen Rüssel und schwang sich ein Stück weiter. Erneut fand sie in ihren Rhythmus aus tippen, greifen und fortbewegen. Mit einem kurzen Blick registrierte sie, dass die Blutsauger unter ihr sie hartnäckig verfolgten, aber mit jedem ihrer Schwünge weiter zurückblieben.

       Wäre ja noch schöner gewesen, wenn ihr mich hättet einholen können.

      Doch dann fand ihr Optimismus ein rapides Ende. Ihr gerade abgegebener Fingertipp samt Schweißtropfen förderte keinen Saugrüssel zutage. Sie versuchte es an einer anderen Stelle … ohne Erfolg. Offensichtlich hatte sie einen Abschnitt des Berges erreicht, an dem es keine Steinsauger gab.

       Scheiße!

      Ein rascher Blick zeigte ihr, dass sich von unten mittlerweile nicht weniger als ein Dutzend Steinsauger näherten, sie jedoch erst in zehn Minuten erreichen würde, bliebe sie an dieser Stelle.

       Aber das werde ich nicht tun, meine lieben Tierchen. Dann klettere ich halt auf die klassische Weise weiter …

      Das beängstigend auf- und abschwellende Knirschen weit hinter ihr entlud sich plötzlich mit einem gewaltigen Schlag und der Fels vor ihr zersprang mit einem ohrenbetäubenden Bersten. Mehr im Reflex krallte sie sich mit aller Macht fest an die Wand. Gerade rechtzeitig. Ein meterdicker Spalt öffnete sich und Staubwolken wogten daraus hervor. Bérénice hustete und spuckte. Ihre Augen füllten sich mit Staub und brannten wie Feuer. Wenn sie ihre Hände von dem zitternden Felsen hätte lösen können, hätte sie sich die Augenhöhlen wund gerieben. So blieb ihr nur, die Augen zusammenzukneifen und ihnen mit den Gott sei Dank heftig austretenden Tränen leidlich Linderung zu verschaffen. Als sie erschreckend große Steine und Felsbrocken an sich vorbeizischen hörte, war sie gezwungen, die Lider wieder zu öffnen. Zwischen Schleiern aus Staub und Tränen glaubte sie, in dem Spalt vor ihr einen farbigen Fleck wahrzunehmen.

       Das bilde ich mir nur ein. Die können doch nicht …

      Und doch war es so. Der Kontrollbutton schälte sich orange und verheißend aus dem anhaltenden Schauer herabstürzender Steine und Staub hervor, als könne ihn nichts erschüttern.

       Wie soll ich da hinüberkommen? Genau dort geht die Lawine nieder …

      Und unter ihr rückten die Steinsauger immer näher. So flach, wie sie sich auf der Felswand bewegten, schienen sie vor den herabstürzenden Felsen keine Angst haben zu müssen.

       Eineinhalb, vielleicht zwei Meter … ich habe keine Wahl. Ich muss einen Halt finden!

      Ihr Gesicht war längst mit einer Schicht aus Schweiß und Staub verklebt. Sie bezweifelte, dass sie damit einen Steinsauger zu einem Rüssel würde verleiten können. Eine Suche im Trommelfeuer aus Gestein und Splittern erschien ihr ebenfalls ein zu gefährliches – weil zu langsames – Wagnis.