Aevum. Werner Karl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Karl
Издательство: Bookwire
Серия: Black Ice
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748587880
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bewegte anschließend die Lider und Wangenmuskeln, um die Tränen bestmöglich auszunutzen und klarere Sicht zu erlangen. Dann atmete sie tief ein, spannte kontrolliert ihre Muskeln, visierte ihr Ziel an …

      … und sprang.

      Ihre Finger krallten sich in erschreckend schmale Ritzen, rutschten ab, rissen sich die Kuppen blutig und fanden erneut unsicheren Halt. Mit ihren Beinen über dem Abgrund baumelnd, konzentrierte sich die Trooperin darauf, all ihre verbliebene Kraft in ihre Hände zu verlegen, während ihre Füße verzweifelt nach Nischen suchten, die dem Körper Stabilität bieten könnten. Als einer ihrer Füße endlich einen brauchbaren Tritt fand, stöhnte sie auf und lehnte sich eng an die kalte Felswand. Den Helm ebenfalls dicht an den Berg gepresst, ertrug sie die ständigen Schläge aufprallender Steine. Sicher würde ihr Körper dutzende Hämatome zeigen, würde sie jemals wieder die Chance haben, sich in einem Spiegel betrachten zu können.

       Wenn ich überlebe …

      Bérénice spuckte ein Gemisch aus Staub, Blut und Speichel aus. Sie hatte sich beim Aufprall die Lippen zerbissen, ohne es zu bemerken. Wieder holte sie tief Luft und öffnete die Augen. Der Button leuchtete einen halben Meter über ihr aus der Wand und wirkte dabei so fremd und fehl am Platz, wie man es sich nur vorstellen konnte. Bérénice zwang sich, ihren Kopf zu senken, und kletterte blind um sich tastend nach oben. Erst als ihr Helm an den Button stieß, hielt sie an und hob ihre Faust.

      Wehe, Jungs, wenn ich mal einen von euch in die Finger bekomme …, dachte sie und drosch den Button so fest in die Fassung, dass es knirschte.

      Februar 2317

      Mitten im All öffnete sich ein Loch und spie kurz hintereinander zwei Objekte aus dem Ultraraum wieder in das Universum, das die Menschheit den Einsteinraum nennt. Die von beiden Raumschiffen verursachten Schockwellen flauten rasch ab, ihre Nachwirkungen ließen jedoch beide Crews vor Schmerzen aufstöhnen. Und noch etwas hatten sie gemeinsam: Es waren kleine Spionageschiffe mit nur je einer Handvoll Besatzungsmitgliedern. Damit endeten aber auch schon die Ähnlichkeiten.

      Die Besatzung der MATA HARI ahnte nicht, dass sie verfolgt wurde. Schon gar nicht von einem Raumschiff, das völlig unsichtbar für ihre biologischen und elektronischen Augen war.

      An Bord der GHOST, dem getarnten zweiten Schiff, kneteten Mister Green, Miss Silver und die drei anderen Menschen ihre Nacken und Glieder wie eine sich auf einen Auftritt vorbereitende Balletttruppe. Die vorgeschriebenen Atem- und Körperübungen waren ihnen  wie den meisten Raumfahrern der Menschheit  längst so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie in der Lage waren, dabei die wichtigsten Daten der vielfältigen Sensoren abzulesen.

      »Das ist jetzt der siebte Sprung durch den Ultraraum«, begann Miss Silver und Green hörte in ihrer Stimme die mühsam unterdrückte Pein mitschwingen.

      »Bis zum Planeten Samboll sind es mindestens noch mal so viele, wenn sie die Sprünge weiterhin so kurz hält«, antwortete Green leise und beendete seine Übungen als Erster. Es war klar, wen er mit sie meinte. Und als er den Namen des Planeten nannte, flammte auch seine – gelinde ausgedrückt – Verstimmung über den Umstand auf, dass seine Vorgesetzten nur die Positionen der Planeten Samboll und Carbon freigegeben hatten. Aber in Savoys Bericht mussten auch die Koordinaten der deutlich interessanteren Himmelskörper gewesen sein: die von Eternity und Violetta III. Gerade Letzterer war für den Terranischen Geheimdienst und die Regierung der Föderation eminent wichtig. Ein bislang unbekannter Werftplanet der Mazzar schrie förmlich danach, von den Menschen untersucht zu werden. Egal, ob nun zaghafter Friede zwischen der Menschheit und dem Reich Mazzar bestand oder nicht. Dass selbst ihm diese Daten verweigert wurden, schürte zu einem guten Teil seinen Verdacht, dass innerhalb des Geheimdienstes, vielleicht sogar mit Teilen der Regierung, eine unbekannte Gruppierung eigene Pläne hatte.

      »Sir …« Die deutlich elend klingende Stimme eines kleinen Mannes an den Kontrollpulten vor Green brach ab. Ihr Besitzer nahm einen hastigen Schluck aus einer bereitstehenden Flasche, welche ein Vitamingetränk enthielt, das mit Aufputschmitteln versehen war. Green erkannte dies an der leicht bläulichen Färbung der Flüssigkeit. Der Mix wurde von vielen Raumfahrern verwendet, und die Ärzte hatten nichts gegen den Gebrauch einzuwenden. Green lehnte solche Dinge jedoch ab.

      »Ja, Mister Brown?«

      »Ich registriere mehrere hundert Raumschiffe in einem Sonnensystem ein halbes Lichtjahr über uns, Sir. Die Koordinaten …«

      »Was für Raumschiffe?«, unterbrach ihn Green, erhob sich aus seinem Andrucksessel und ging die wenigen Schritte zum Posten Browns. Mit raschem Blick überflog der Kommandant die Datenströme. »Sehen aus wie Mazzarschiffe …«

      Der kleine Mann brach seine Entspannungsübungen sofort ab, als er bemerkte, dass sein Vorgesetzter hinter ihn getreten war. »Sie scheinen in ein Gefecht verwickelt zu sein, Sir.« Dabei deutete er auf das Battle-Scene-Display. »Multiple Signale für Raumtorpedos … eindeutig mazzarisch.«

      »Gegen wen kämpfen sie? Unsere Leute oder gegen diese geheimnisvollen Hydren? Wäre interessant, eine Schlacht zu verfolgen, die …«

      Brown schüttelte den Kopf und wies auf detailliertere Daten, die nun über die Monitore scrollten. »Weder noch, Sir. Es sieht so aus, als kämpften dort ausschließlich Schiffe der Mazzar.«

      Green wollte gerade die Worte des Mannes als Blödsinn zurückweisen, als er selbst die Messwerte ablas und die Rückschlüsse seines Ortungsspezialisten nur bestätigen konnte. »Mazzar gegen Mazzar …«, begann er und warf einen eiligen Blick auf das bevorzugte Objekt ihrer Mission. Die MATA HARI trieb wie sie mit der Geschwindigkeit durch das All, die sie seit dem Austritt aus dem Ultraraum beibehalten hatte. Ganz offensichtlich hatte man dort die Schlacht ebenfalls bemerkt und stellte sich wohl ähnliche Fragen wie die Menschen an Bord der GHOST.

      »Was im Namen aller Götter des Alls soll das nun wieder bedeuten?«, sprudelte Miss Silver dazwischen. Sie atmete erleichtert aus, als ihre letzten Körperzuckungen verebbten und sie sich merklich entspannter in ihren Andrucksessel zurückfallen lassen konnte. »Wenn sich die Mazzar untereinander bekriegen – aus welchem Grund auch immer , wer sagt uns dann, dass sie den Frieden mit uns ernst meinen?« Die Frage war nur logisch.

      Green trat zu seinem Sitz zurück und ließ sich darauf nieder. Er hob eine Hand an sein Kinn und begann es mit den Fingern zu kneten. »Haben Sie schon vergessen, Miss Silver, dass die Kolonialkriege der Menschheit noch gar nicht so lange zurückliegen? Mich interessiert eher, ob dies ein schon vorhandener Konflikt ist … oder ein neuer.«

      Er starrte auf die Darstellung auf dem Frontbildschirm, auf den Mister Brown eine computeranimierte Szene projiziert hatte, welche die Daten in bewegte Objekte umgewandelt zeigte. Natürlich waren sie für eine direkte optische Erfassung der Schlacht noch zu weit entfernt. Doch auch dieses Bild genügte, um Green und die anderen Agenten an Bord Unbehagen empfinden zu lassen.

      »Menschen gegen Mazzar … Sambolli gegen Menschen … Mazzar gegen Hydren … Mazzar gegen Mazzar«, murmelte Mister Green und dunkle Wolken schienen sich plötzlich auf sein Gesicht herabzusenken.

      Jeder gegen jeden, dachte er finster und hoffte inbrünstig, dass es in Zukunft nicht wieder lauten könnte: Menschen gegen Menschen.

      »Wir bleiben an Trooperin Savoy dran, Mister Magenta«, erteilte er seinem Piloten den Befehl. »Wir können uns jetzt nicht um interne Fragen des Mazzar-Reiches kümmern. So spannend es auch wäre, den Grund für diese Schlacht herauszufinden.«

      »Aye, Sir«, bestätigte der etwas korpulente Mann im Sitz neben Brown. Green wusste, dass die beiden ein lang aufeinander eingespieltes Team bildeten. Genau deswegen hatte er sie seiner Mannschaft zugefügt. Ihre körperlichen Unterschiede hatten ihnen die Spitznamen Dick und Doof eingehandelt, was natürlich nicht der Realität entsprach. Beide waren durchaus intelligente und vor allem kompetente Agenten.

      Und gefährlich, rief sich Green ins Gedächtnis. Ich habe schon oft mit beiden gearbeitet. Trotzdem muss ich auch sie neu bewerten.