Aevum. Werner Karl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Karl
Издательство: Bookwire
Серия: Black Ice
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748587880
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war. Na schön, dachte sie, dann eben Schluss mit Schlafen. Ich …

      Sie brachte den Gedanken nicht mehr zu Ende, denn ihr Hirn glaubte nicht, was ihre nun offenen Augen ihm zutrugen. Sie lag  oder besser: kauerte  auf einem schmalen Felsvorsprung und kalter Wind fuhr ihr durch das Haar. Sie blickte an sich herab und registrierte mit dem nüchternen Teil ihres Verstandes die Thermo-Variante eines Trainingskampfanzuges. Der andere, heißblütigere Teil in ihr, spülte Wut aus ihrem Inneren herauf.

       Was soll denn das für eine Übung werden?

      Die Trooperin zog den Reißverschluss des Anzuges bis ganz nach oben und erhob sich. Mit einem einzigen Schritt nach hinten wich sie von der Kante des Simses ab, auf dem sie wohl geschlafen hatte. Sie hatte damit bereits die Wand erreicht, die hinter ihr fast senkrecht in die Höhe stieg. Und vor ihr in einen scheinbar unendlichen Abgrund führte.

       Es ist nur eine Simulation, Mädchen. Die Kerle der Planungsgruppe sollen schon die skurrilsten Einfälle gehabt haben.

      Sie sah förmlich Major Tyler Palmwood vor dem Auditorium der Rekruten stehen und glaubte, seine Worte in ihrem Kopf nachhallen zu hören: »Die Trainingssequenzen, die Sie erleben werden, werden Ihnen völlig authentisch vorkommen. Sie werden Hitze, Kälte, schneidenden Wind … und Schmerzen fühlen. Alles, was Sie in der Realität auch spüren würden.« Sein Blick hatte eine Härte angenommen, die sie alle als Warnung empfunden hatten und die von ihm auch garantiert so gedacht worden war. Er hatte begonnen, wie ein Tiger im Käfig vor ihnen auf und ab zu marschieren. Vielleicht hatte er es getan, um möglichst vielen von ihnen in die Augen schauen zu können. »All Ihre Sinne werden Ihrem Gehirn signalisieren: Das ist echt!« Er hatte eine winzige Pause gemacht, möglicherweise nur, um ein noch finstereres Gesicht aufsetzen zu können. »Die Wunden, die Sie sich möglicherweise einhandeln, sind natürlich nicht wirklich. Wir wollen schließlich keine Krüppel aus Ihnen machen. Aber die Schmerzen werden Sie sehr wohl als wahr empfinden. Es hat immer Kandidaten gegeben – und wird es wohl auch in Zukunft geben , die diese Qualen nicht ertragen können. Und solche, die den Korrekturbutton nie oder zu spät erreicht und gedrückt haben. Sie sind gestorben. Die meisten gottlob nur virtuell … manche aber absolut real.« Er hatte seine Wanderung am Rand der ersten Reihe des Auditoriums beendet und sich kerzengerade aufgerichtet, als gelte es, eine Medaille entgegenzunehmen.

      »Das Terranische Spacetrooper-Korps ist stolz darauf, durch dieses Auswahlverfahren die Verlustquote im Einsatz deutlich niedriger halten zu können, als alle Armeen der Erde zu früheren Zeiten. Lieber verlieren wir pro Jahr eine Handvoll Rekruten durch Schock, als eine Vielzahl in einem echten Gefecht durch mangelnde Eignung. Aber vergessen Sie nicht: Das Ziel ist immer die Erfüllung der Mission! Im Idealfall auf eine Art und Weise, die Sie eine weitere Mission übernehmen lässt. Und noch eine … und noch eine.«

      Bérénice hatte nach seinen Ausführungen beobachtet, wie einige der Kandidaten betroffene Gesichter gezeigt hatten. Ihr war noch am gleichen Tag in der Garnison zu Ohren gekommen, dass 18 % der Spacetrooper-Anwärter das Handtuch geschmissen und ihre Ausbildung beendet hatten.

      Sie schüttelte die Erinnerung ab und betrachtete den Verlauf des Felssimses nach beiden Seiten. Er endete in jeder Richtung nach wenigen Metern. Na super, Jungs. Das bedeutet wohl ein Free Solo. Dann schwor sie sich: Du wirst diesen ersten Test … und alle weiteren überstehen, Mädchen!

      Letzte Blicke nach unten und zu den Seiten der Felswand bestätigten ihr, dass es nur einen Weg gab: nach oben. Bérénice seufzte und tastete mit beiden Händen nach einem sicheren Halt … und stutzte.

       Was ist das denn für ein komisches Zeug? Das ist doch kein normaler Fels.

      Sie nahm ihre Hände wieder von der Wand zurück und drückte mit einem Finger auf das, was von der Farbe her wie ganz gewöhnlicher Granit aussah. Doch ihr Finger drang in das Material ein. Nicht viel, aber spür- und sichtbar. Bérénice drückte unterschiedlich stark und mal kürzer, mal länger. Sie schaffte nicht mehr als einige Millimeter. Und wenige Augenblicke nach ihren Vorstößen glätteten sich die Druckstellen wieder und zeigten die Oberfläche wie zuvor. Mehr oder weniger unbewusst zog sie das Messer aus dem Beinfutteral und wollte es schon an dem Zeug ausprobieren, als sie plötzlich innehielt. Die Klinge schwebte nur einen Fingerbreit über der gummiartigen Oberfläche. Aus einem inneren Impuls heraus verzichtete sie jedoch auf den Einsatz des Messers und tastete wieder nach brauchbaren Lücken in dem seltsamen Massiv.

      Irgendwie putzig, bei dem Zeug an massiv zu denken, schmunzelte sie und fand endlich, wonach sie gesucht hatte. Mit beiden Händen zog sie abwechselnd an den Griffstellen und beurteilte sie als brauchbar. Dann steckte sie die Spitze ihres linken Fußes in einen Tritt auf Höhe ihrer Knie und zog sich nach oben.

      Die Trooperin hatte sehr vorsichtig und kräfteschonend ein ansehnliches Stück der Kletterpartie hinter sich gebracht. Trotz des anhaltend frischen Windes traten ihr die ersten Schweißtropfen auf die Stirn.

      Und ich dachte immer, eine Spacetrooperin zu sein, hätte etwas mit dem Weltraum zu tun. Stattdessen jagen die mich über die verrückteste Gebirgswand, die ich je gesehen habe. Bin nur gespannt, wo sie diesen Scheiß-Button versteckt haben. Dann stoppte sie ihre Kletterei, um zu verschnaufen und die Bereiche über und seitlich von sich nach irgendwelchen Hinweisen absuchen zu können. Dass sie jetzt schon den leuchtenden Button finden könnte, glaubte sie indes nicht wirklich. Das wäre euch sicher zu einfach, was Jungs? Mittlerweile hatte sie eine Stelle des Berges erreicht, wo er nicht mehr senkrecht nach oben ragte, sondern sich in einem Winkel von circa 70° neigte. Besser als anders herum … ich habe keine Lust auf Überhänge.

      Bérénice wollte gerade ihren Aufstieg fortsetzen, als von ihrer Stirn ein Schweißtropfen auf den Fels unmittelbar vor ihr fiel. Sie hatte sich längst so auf das Bergsteigen konzentriert, dass die ungewöhnliche Beschaffenheit der Oberfläche ein wenig ihrer Aufmerksamkeit entglitten war. Jetzt drängte sie sich allerdings mit Macht zurück. Denn nur wenige Zentimeter neben der Stelle, wo ihr Schweißtropfen aufgeschlagen war, stülpte sich ein tentakelähnliches Ding aus der Wand und saugte den Tropfen – so schien es ihr zumindest – gierig ein.

       Was zur Hölle?

      Bevor sie es verhindern konnte, fielen zwei weitere Tropfen herab und sofort bildete sich der Rüssel erneut aus. Fasziniert beobachtete Bérénice, wie er zielsicher den Schweiß einsammelte und wieder verschwand. Die Trooperin war so verblüfft, dass sie vergaß, weiter zu klettern.

      Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig.

      Mitten im Fels erschien ein Auge und blinzelte sie an. Dazu knirschte es weit über ihr und eine Ahnung nahenden Unheils nistete sich in der Haitianerin ein. Ihr Kopf ruckte nach oben. Aber noch stürzten ihr weder Splitter noch Steinbrocken entgegen. Dann fiel ihr Blick erneut auf das suchende Auge. Es glich dem einer irdischen Flunder und rollte ein wenig hin und her, so als wolle es nach weiteren Tropfen der begehrten Flüssigkeit Ausschau halten. Bérénice mochte es gar nicht, wenn ihr ein unbekanntes Tier – denn nichts anderes konnte es sein – so nahe war und machte daher einige rasche, dennoch überlegte Klimmzüge nach oben. Die Anstrengung trieb neue Schweißtropfen aus ihren Poren und diese fielen prompt auf Stellen des Felsens, an denen weitere dieser hervorragend getarnten Tiere hafteten, denn neue Augen glotzen ihr nach.

      Aus dem Knirschen über ihr wurde ein Grummeln, das sich auch in einem leichten Erbeben in der Wand vor ihr äußerte.

       Scheiße, wenn jetzt eine Steinlawine abgeht, dann wars das.

      Sie schüttelte stumm den Kopf und schleuderte damit mehrere salzige Tropfen von sich. Die Reaktion war, dass sich fünf oder sechs Pseudopodien ausbildeten, welche die offensichtlich hochwillkommene Spende aufsaugten. Fasziniert beobachtete die Trooperin die Haut der Auswölbungen. Sie glich, wie der Rest der immer noch fast unsichtbaren Tiere, dem Felsen, hatte jedoch Hunderte kleiner Spitzen, die wie Reibeisen oder sehr grobes Sandpapier aussahen.

      Spontan griff Bérénice mit einer Hand nach einem der Saugrüssel, packte ihn fest und zog mit aller Kraft daran. Das dazugehörige Auge glotzte sie zwar vorwurfsvoll