„Oho! Voll der chaotische Partnertausch, ähm, Tropfenwechsel, wie?“, rutschte Birne diese spitzfindige und zudem gänzlich unpassende Bemerkung von der Zunge. Sie errötete leicht, fand aber gleich wieder zum Thema zurück.
„Also, nun mal im Ernst, lieber Hoo. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das so 'ne Art gemeinschaftliches Überlebenstraining, oder? Ich meine, für euch Regentropfen besteht doch die einzige Bestimmung darin, irgendwann einmal auf die Erde zu regnen. Seid ihr dann hier eingetrudelt, erhöhen diese olympisch anmutenden Vorbereitungsspiele – wohlweislich zur Stärkung eurer Widerstandskraft gedacht – somit eure Chancen zu überleben, da ihr ja gar nicht wissen könnt, wo auf der Erde ihr landen werdet? Das kann doch überall sein! Im Trockenen, wie im Nassen! Kurzum: Ihr müsst also schleunigst zusehen, möglichst rasch wieder mit eurem Element, dem Wasser, in Kontakt zu kommen. Sehe ich das so richtig?“
„Voll korrekt, liebe Birne, meine Hochachtung!“, bestätigte Hoo ihre hervorragende Denkarbeit. Humorvoll fügte er noch hinzu: „Hey, Mucks, dein süßes Weibchen ist echt 'ne Superbirne!“
„Ähem, das will ich meinen!“, räusperte sich Mucks mit funkelnden Augen. Verliebt und stolz schaute er sein Birnchen an. Die grinste läusisch, blinzelte kurz und klapperte kaum hörbar mit ihren winzigen, blend-a-med-weißen Beißerchen.
Hoo lachte kurz auf. Daraufhin jedoch wirkten seine Gesichtszüge für einen Moment wie erstarrt. Er schlug einen ernsthafteren Ton an und setzte seine Aufklärungsarbeit zu dem heiklen Thema fort. „Leider, liebe Freunde, gibt es eine drastische Kehrseite der Medaille. Die Realität, hier auf der schon ziemlich dicht von der Spezies Mensch bevölkerten Erde, sieht für uns Wasserwesen oft und in vielerlei Hinsicht wenig erfreulich aus. Erinnert ihr euch noch an meine Geschichte, als ich euch von den kranken und kraftlosen Regentropfen erzählte, mit denen ich vor dem eckigen, weißen Schleusenportal zusammenstand und darauf wartete, in die Eiskammer eingelassen zu werden?“
„Oh ja, wir erinnern uns, natürlich!“, piepste Birne mit trinkfeuchten Lippen. Beide nickten. „Du, ähm, musstest ein voll krasses Missverständnis einfach so hinnehmen, Hoo!“
„Dem Hagelflieger sei Dank wurdest du gerettet!“, fügte Mucks wissend hinzu.
Hoo schnaufte tief durch. „Zum Glück! – Und Dank dem Globalen Wettermeister, der meine Bittgebete erhört hat! Doch das, ihr lieben Läuse, habe ich damit nicht gemeint.“
Nun brachte er das Thema ‚Ertrinken‘ auf den Punkt. „Geraten also gesunde Wasser- oder Regentropfen, wie es eben jenen vor dem Eiskammerportal wartenden passiert war, in irdische, gestörte Wasserkreisläufe, in Gewässer mit einer überproportionalen Anzahl schon erkrankter Regentropfen, oder schlimmer noch, kommen sie in Berührung mit Giftstoffen, Industriemüll, Pestiziden, Chemikalien, Mikroverunreinigungsrückständen und dergleichen mehr, besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass die Selbstreinigungskräfte immer weiter versiegen. Dieser mehr oder weniger lange Prozess der Schwächung würden folglich, über vielerlei Krankheiten hinweg, fatale Folgen nach sich ziehen – auch global! Wasserwesen können sich nur in Bewegung entfalten. Unaufhörlich verlören ehemals gesunde Regentropfen ihre Beweglichkeit und allerletzten Endes sogar ihr Leben – und das, meine lieben Freunde, verstehen wir unter Ertrinken!“ Hoo ließ das schreckliche Wort in der Luft hängen und legte eine Sprechpause ein.
Birne und Mucks blieb erstmal die Spucke weg. Gechtur hockte ruhig da. Ab und zu nahm er einen tüchtigen Schluck des köstlichen Wassers aus der Tränke auf. Er wunderte sich allmählich immer mehr über den bedeutungsvollen Smalltalk, der sich da auf seinem fluffigen Käppi topkurz entsponnen hatte und sich nun merklich in die Länge zog. Doch er blieb gelassen und mischte sich nicht ein. Noch nicht! Der Dauerplausch seiner drei Gäste amüsierte ihn. Zudem fand er Hoos Aufklärungsarbeit, seine Ansichten und Einsichten über die Substanz ‚Wasser‘ hochinteressant und sehr lehrreich.
„So gesehen“, erklärte Hoo weiter, „wäre es natürlich besser, schnurstracks in ein intaktes Flusswasser oder ohne Umwege gleich in ein Meer zu platschen. Die Regentropfen, denen solches widerfährt, dürfen sich wahrhaft glücklich schätzen. Hingegen müssen sich die unzähligen anderen Tropfen mit dem Gedanken anfreunden, dass ihnen in mancherlei Situation das Wasser sprichwörtlich bis zum Halse stehen könnte! Jeder einzelne Tropfen kann in so einen einzigartigen, oft unendlichen Strudel von unvorhersehbaren, ja geradezu abenteuerlichen und lebensbedrohlichen Ereignissen, oder in ein Wasserschädigendes Umfeld geraten. Bis diejenigen Tropfen dann auf unterirdischen, verschlungenen Transportpfaden oder wie auch immer in den kurzfristigen Wasserkreislauf zurückgelangt sind, da kann schon allerhand passieren.“
„Kurzfristiger Wasserkreislauf?“, grübelte Mucks und kratzte sich am Köpfchen. „Willst du da nicht auch hin, Hoo?“
„Na, klar will ich da hin!“, antwortete Hoo erregt. Seine himmelblauen Augen leuchteten. „Wenn wir mal meinen Fall betrachten, so gehöre ich ja zu den zahlreichen Tropfen, die nicht dem Schnorchel nach in ein fließendes Gewässer oder – ach, wie wunderbar wäre es gewesen – direkt ins Meer gefallen sind. Stattdessen bin ich ja, samt meinen hochfliegenden Wunschträumen, erstmal ordentlich baden gegangen!“
Hoo lachte hellauf los. Seine letzte Äußerung fand er ausgesprochen ulkig! Birne und Mucks, die ja immer noch auf seinem Bauch hockten, wurden während seines überraschenden Lachanfalls regelrecht durchgerüttelt.
Waren es Tränen der Freude? Oder waren es Tränen der Betrübnis, die dabei aus seinen Augen kullerten? Große Gefühle, die nur er zu empfinden vermochte, bewegten seine zartsinnige Seele. Es dauerte eine ganze Weile, bis sein verrücktes Lachen letztendlich mit leichtem Schluchzen abebbte und er seine Selbstbeherrschung wiederfand.
„Hast du dich wieder eingekriegt, lieber Hoo? Bist du okay?“, wagten Birne und Mucks sich vorsichtshalber nach seinem werten Befinden zu erkundigen.
Hoo nickte ruhig und wischte über seine feuchten Augen. „Alles bestens, liebe Läuse. Danke für euer Verständnis und der Nachfrage – und entschuldigt bitte, aber ich denke, das musste einfach mal raus!“
„Gut so!“, piepsten die Blattläuse erleichtert. Gechtur kixte.
Hoo erzählte weiter.
„Also, wie ihr es ja selbst mitbekommen habt, bin ich mit Ach und Krach voll daneben geplumpst und auf eurem Apfelbaum gelandet. Doch, wenn ich's mir im Nachhinein genauer überlege, bin ich sogar froh darüber. Ja! Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Wie hätte ich euch lieben Tierchen sonst kennenlernen können? Ein bisschen mehr zu erleben als so manch andere Regentropfen, hat gewiss auch seinen Reiz. Vielleicht erfüllt das Ganze doch einen tieferen Sinn?“
Hoo geriet ins Grübeln. Urplötzlich zog sich eine starke Falte senkrecht über seine Stirn. Er musste wieder an diesen anscheinend mysteriösen Blackout, den verronnenen Traum und die rätselhafte Gedächtnislücke in seinem Kopfe denken, die ihm seit jenem Tag des Aufweckens aus dem Tiefschlaf auf seinem Wolkenkissen keine Ruhe mehr ließ. Dadurch lief sein junges Tropfenleben Knall auf Fall in eine andere Richtung, ja, bekam eine völlig neue, ungeahnte Dimension! Blitzartig verdrängte er das aufkommende Trübsal und sagte: „Jedenfalls fühle ich mich nach diesem erfrischenden, heilsamen Wellnessbad in der Tränke so ultrafit regeneriert wie noch nie zuvor in meinem Leben!“
„Spitzenklasse, Hoo!“, piepste Birne. „Du hast die richtige Einstellung. Ähm, mit deiner Power, und einer gehörigen Portion Glück, schaffst du es ganz sicher, ans Meer zu kommen. Davon bin ich fest überzeugt!“
„Alles eine Sache des Standpunkts!“, bemerkte Mucks trocken. „Ehrlich gesagt, wäre mir das alles viel zu gefährlich! Na ja“, seufzte er mit gesenktem Köpfchen und sichtlich bedrückt, „ich bin halt kein Supertropfen, so wie du einer bist, Hoo. Ich bin halt nur eine kleine, einfältige, ängstliche, armselige, spießige, nörgelnde, saugende und verfressene grüne Blattlaus!“
„Mucks, aber nein, nein, nein! Ich hör' wohl nicht recht? Was redest du denn für dummes