„Mmmmhh, das tut sooo gut, mein Birnchen“, hauchte er ihr liebevoll ins Ohr. Ihm hatten nur ein paar Streicheleinheiten und das Geknuddelt werden gefehlt. „Ich hab dich auch zum Anbeißen lieb.“ Zärtlich knabberte er an ihrem ach so winzigen Ohrläppchen herum.
„Trrrrrrr!“ Mit einem leicht erschütternden Kurzwirbel, den Gechtur auf die steinerne Umrandung trommelte, erregte er jetzt volle Aufmerksamkeit. Er hatte der längst nicht mehr kurzen, sondern eher ausschweifenden ‚Wissen macht Ahhh!‘-Unterhaltung seiner witzigen Passagiere lange genug gelauscht. Ungeduldig mischte er sich ein und drängte darauf, dass das Blatt sich nun schnell wende.
„Fressen! Wohl hab das Stichwort ich vernommen, mein Magen drückt schon wie beklommen! Schnell müssen wir jetzt Fressen was, sonst macht der Weiterflug null Spaß. Die Party-Time rückt immer näher, von fern rätscht's schon Freund Eichelhäher. Nicht länger dürfen wir verweilen, die Dunkelheit wird sich beeilen. Nun sei's getrommelt und gekixt, fast hätt' die Zeit uns ausgetrickst.“
„Ja, ja! Fressen! Saugen! Fressen!“, piepste Birne zappelig. Sie legte ihre Händchen auf ihr sich leer anfühlendes Bäuchlein und klapperte mit ihren Beißerchen.
„Allerdings! Da wäre ich jetzt auch dafür!“ stimmte Mucks seiner Birne und Gechtur zu. Ihre Mägen knurrten. In Hoos blaue Augen guckend, fügte er an: „Ist ziemlich notwendig!“
„Verehrter guter Specht, meine lieben Läuse, ihr habt ja so Recht!“, antwortete Hoo einsichtig. Höflich bedeutete er Birne und Mucks, von seinem Bauch zu krabbeln. Sodann erhob er sich flink von seinem warmen, weich gefiederten Platz. Gehörig entschuldigte er sich bei allen für seinen drängenden, wahrlich nicht aufdringlich gemeinten Redefluss.
„Nun denn, so will ich euch nicht länger aufhalten, damit ihr euren übermächtigen Kohldampf endlich stillen könnt. Da oben in der ehrwürdigen Eiche“ – Hoo deutete beiläufig zu dem uralten, stattlichen Baumriesen hinauf – „erwarten euch bestimmt leckere Appetithäppchen.“
Er war schon im Begriff an den Rand des Käppis zu latschen, um ins wohlige Nass der Tränke zurückzuhüpfen, als ihm doch noch eine kleine, ihn persönlich betreffende Kuriosität einfiel.
„Halt!“, rief er, blieb abrupt stehen und drehte sich fragend zu den Blattläusen um. „Nur eins noch, liebe Freunde! Gestattet mir bitte noch eine letzte, persönliche Frage!“
„Ähm, ja? Was ist denn, Hoo?“, piepste Birne. Voll der Neugier schauten alle drei ihn an.
„Ach, ich wollte eigentlich nur wissen, ob euch die ganze Zeit über, die wir seit meinem Auftauchen aus der Tränke miteinander geplaudert haben, nichts Besonderes an mir aufgefallen ist?“
„Etwas Besonderes an dir aufgefallen?“, piepsten Birne und Mucks. Da ihnen im Moment nichts Erwähnenswertes dazu einfiel, zuckten sie nur still mit den Achseln. Gechturs Schnabel blieb diesbezüglich auch zugeklappt. Keiner von ihnen hatte eine Vorstellung davon, worauf Hoo hinauswollte. So ließ er des Rätsels Lösung aus dem Sack.
„Ich bin sprachlos, meine lieben Freunde! Habt ihr denn wirklich nicht bemerkt, dass die kurzen Sprechpausen, die ich sonst immer mit ‚äh‘ überbrücken musste, ganz und gar verschwunden sind?“
„Ahh ja, stimmt. Tatsächlich!“, stieß Birne verblüfft hervor. „Jetzt, wo du es sagst. Wow! – Das ist cool!“
„Aha. Gibt's nicht!“, sagte Mucks bass erstaunt. „Wie bist du das denn losgeworden?“
„Gigigig, vielleicht mit einem Zaubertrick?“ kixte Gechtur fraglustig hinterdrein.
„Ha, ha, ha, ha“, lachte Hoo aus vollem Hals. „Damit liegst du gar nicht mal so daneben, lieber Gechtur. Doch es ist viel besser als ein Zauberkunststück. Viel, viel besser. Wenn ihr wollt, erzähle ich es euch? Dauert auch gar nicht lange!“
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass allen Dreien daran gelegen war, dies sogleich zu erfahren, setzte er sich nochmal hin, um ihnen auch dieses sehr erfreuliche Wunder, das ihm widerfahren war, nicht vorzuenthalten.
„Na, ich will's mal als eine günstige Fügung des Schicksals betrachten. Ganz sicher habe ich das der besonderen Zusammensetzung des Wassers, da, in der Tränke, oder besser gesagt, der uralten Eiche zu verdanken.“
Erfüllt von tiefer Dankbarkeit, schaute er dabei zuerst auf das dunkle, heilkräftige Wasser, dann zur imposanten Eiche hinauf. Wie ein schützendes Geflecht verzweigte sie in einiger Höhe würdevoll ihre knorrigen, starken Äste über das weit aus dem Erdreich hervortretende Wurzelwerk.
Zwischen den ovalen, kurvig eingeschnittenen Blättern hingen, in Zweier- und Dreiergruppen vereint, viele Eichelfrüchte an ihren Stielen. Komisch aussehend, wie knapp zwei Zentimeter große, einheitlich braune, eiförmige Männchen oder Weibchen, mit becherförmigen, grünlichbraunen Hütchen auf ihrem Kopf, hatte es den Anschein, als würden sie sich alle untereinander verständigen können. Immer dann, wenn ein sanfter Windhauch die Blätter berührte, durchdrang ein geheimnisvolles Lispeln den gesamten Blätterschirm. Ab und an – insbesondere bei stärkeren Winden – geschah es dann, dass sich Eichelfrüchte lösten, wobei so manches dieser Früchtchen auch ins Bassin der unter dem altehrwürdigen Baum platzierten Viehtränke fiel.
„Es ist nämlich so“, fuhr Hoo ehrfürchtig fort, „wenn sich der Gehalt an speziellen Wirkstoffen, welche Eichenblätter und in höherer Konzentration auch Eichelfrüchte enthalten, mit reinem Regenwasser vermengt, ergibt diese Flüssigkeit ein höchst wirksames Heilgetränk. Und sogar noch mehr! Wem sich wie mir, der ich ein lebensbejahender und bewegungsfreudiger Regentropfen bin, in naturgegebener Weise die Möglichkeit bietet, darin zu baden, einzutauchen, spiralförmige Strudel zu bilden und auch reichlich davon zu trinken, dem werden besonders regenerierende Kräfte, schöpferische Energien, jugendliche Spannkraft und Redegewandtheit zuteil. So hat dieses Elixier auch meine kleine Sprachstörung auf wahrlich wundersame Weise bereinigt.“
Als Gechtur dies hörte, kixte er voller Entzücken in die Runde: „Oh, Wunder! Ach, wie ich mich freu, schon lange trink ich dies Gebräu. Oft, wenn ich mich dran erquicke, hält die Dichtkunst mich im Bann. Füllt so manch Gedächtnislücke – oh, wie bin ich angetan!“
„Hach, was für ein Genuss müsste es sein, darin ein Bad zu nehmen“, schwärmte Birne etwas entrückt. Wie berauscht wisperte sie: „Komm Mucks, wir rutschen auf Gechturs Schnabel hinein, ja?“ – und schon wollte sie sich spornstreichs auf den Weg machen.
„Birne, liebste Birne, bist du nicht ganz bei Sinnen?“, tadelte Mucks. Er umklammerte sie fest, um sie von dieser Torheit abzuhalten. Heftig rüttelte er sie aus ihrem unerklärlichen, tranceähnlichen Zustand. „Oh, lieber Schatz, entschuldige bitte, aber was ist denn plötzlich in dich gefahren? Wir zwei können doch gar nicht schwimmen!“
„Ach nein? Nicht schwimmen? Wirklich nicht?“, murmelte Birne. Sie taumelte kraftlos in Mucks' Armen, als hätte sie einen leichten Schwächeanfall. Traurig und sehr hungrig senkte sie ihr Köpfchen und schmollte. „Wie schade, das ist sehr sehr schade!“
„Dafür ist es uns aber vergönnt, gleich schmackhafte Eichenblätter zu knabbern“, flüsterte ihr Mucks Trost spendend zu. „Das hat uns der liebe Gechtur ganz fest versprochen, hörst du?“ Damit traf Mucks den Nagel auf den Kopf. Es war völlig klar, dass ihr eigenwilliges Benehmen darauf zurückzuführen war, dass sie schrecklichen Hunger verspürte.
„Aber ja, super! Fressen! Fressen, knabbern, saugen!“ Birne befreite sich aus Mucks' fürsorglichen Armen und hopste vor Freude in die Luft. Sie schüttelte sich, war gleich wieder versöhnt und bei der Sache. „Wie so ein Eichenblatt wohl schmeckt? Ich bin schon so gespannt!“ An Hoo stellte sie die Frage: “Vielleicht kriegen wir dann auch etwas von den himmlischen Wirkstoffen ab? Nur ein Bisselchen?“
„Schon möglich, liebe Birne. Ich wünsche es euch von Herzen“, antwortete Hoo zuversichtlich. „Auf alle Fälle ist die Flüssigkeit, von der ihr ja nun schon ein wenig gekostet