Kerrim sah aus, als würde er sich langweilen. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er an der Säule, rauchte ein Hatschmana-Pfeifchen und spähte lustlos in die Menschenmenge. Andererseits wusste man nie so genau, was sich tatsächlich in ihm abspielte. Möglicherweise amüsierte er sich gerade köstlich oder war darin vertieft, irgendjemanden auszuspionieren.
Kurz entschlossen drückte sich Chara von der Wand ab und schlenderte, Nok und Iti im Schlepptau, auf ihren Kollegen zu.
„Alles klar?“, fragte sie.
„Eh Chara.“ Er schenkte ihr ein abgerissenes Lächeln. „Fertig mit Essen?“
Aha. Er hatte sie längst gesehen. Wieso war er nicht zu ihr gekommen?
„Werdet Ihr uns auf die Expedition begleiten?“, fragte sie geradeheraus.
Kerrim nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „Bittet Ihr mich etwa gerade żu kommen mit?“
„Ich bitte nicht.“
„Dachte ich mir.“ Er kniff ein Auge zusammen. „Um żu sain ehrlich, ich ħabe gepackt längst maine Sachen. Ohne mich wärt Ihr ja ganż und gar geschmissen auf.“
„Wahrscheinlich bereue ich schon morgen, dass ich Euch gefragt habe.“ Chara lehnte sich neben ihn, und ein kleiner Rauchkringel aus seiner Pfeife sprang ihr ins Gesicht.
„Wahrschainelich.“
„Tut mir leid, Kerrim …“ Sie holte tief Luft. „Ich meine, das in Isahara.“
Eine Weile musterte er sie nur. Dann machte er eine wegwerfende Geste, wobei er den halben Pfeifenkopfinhalt über den Boden verstreute. „Vergessen wir das.“
„Wirklich?“, bohrte sie nach. „Ihr habt Euch von mir ferngehalten … seit dieser Sache.“
„Ihr ħabt gesagt, Ihr würdet mir nicht vertrauen. Darum ħab ich mir gedacht, besser, ich gehe Euch aus dem Weg.“
Es ging also um Vertrauen … „Ich traue Euch mehr als jedem anderen. Mal abgesehen von Al’Jebal.“ Das war nichts als die Wahrheit.
„Das freuhet mich.“
Es klang ehrlich und Chara sprach aus, was sie längst dachte: „Ich bin Chara. Nenn mich bei meinem Namen, Kerrim. Wir kennen uns lange genug.“
Ein schiefes Grinsen schob sich zwischen seine Lippen. „Ist mir aine Ehre. Ich ħaisse Kħerrim. Schätze, das hast du schon gewusst.“
Chara lächelte. Sie war froh, die Angelegenheit geklärt zu haben. Gerade wollte sie sich zu einem kleinen Drogenpfeifchen verhelfen, da richtete sich Kerrim unerwartet auf.
„Äh … glaube, ich lasse dich besser allaine jetżt.“
Chara folgte seinem Blick. Verdammt.
Durch die Menge hielt ein dunkelhaariger Mann in grauen weiten Hosen und enger, ärmelloser Tunika auf sie zu. Und noch während sie das bleiche Gesicht unter den ungezähmten Haarsträhnen suchte, legte das sanfte Pochen ihres Herzschlags ein leises Trommelwirbelsolo hin. Ein Lufthauch streifte ihren Arm, als der Mann Kerrims Platz an der Säule einnahm.
„Ich möchte mit dir tanzen“, glitt die Stimme über ihre Wange, die ihr vor Kurzem noch anzügliche Worte zugeflüstert hatte.
„Ich kann nicht tanzen“, warf sie lieblos zurück und suchte in der Menge nach Al’Jebal. Er war verschwunden.
„Da habe ich etwas anderes gehört. Man erzählt sich, du hättest mit deinem Namai getanzt.“ Er stützte sich mit der Hand an der Säule ab, blickte ihren Körper entlang und hob eine Braue. „Allerdings hast du damals ein Kleid getragen.“
„Gerüchte …“, schlug sie einen lockeren Plauderton an und ignorierte die Tatsache, dass sie zwischen dem MacDragul und der Säule in ihrem Rücken festsaß.
Lomonds Blick schnellte zu ihren Augen zurück. „Ach ja?“ Sein Gesicht rückte ein Stück näher. Kein Kuss von seinen Lippen … Es war sein Atem, der sie küsste.
„Deine Rede war … interessant“, wechselte er das Thema. „Ich könnte mir vorstellen, dass die kommende Expedition alles Mögliche für dich bereithält, nur nicht das, was du dir erwartest. Du solltest ein wenig Spaß haben, solange du noch kannst.“
„Tanzen ist für mich kein Genuss“, erklärte sie frostig.
„Du hast noch nie mit mir getanzt.“
Wahr. Und um ehrlich zu sein, war sie drauf und dran, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Hier stand Lomond – gestaltgewordene Versuchung. Der Schatten des Todes in seinem Gesicht, das Feuer des Lebens in seinen Augen. Lomond war der lebendigste Tote, der ihr je begegnet war. Und in ihr begehrte alles auf, das leben wollte. Sie wollte ihre eiserne Selbstkontrolle gegen die Wand schmettern und ihr dabei zusehen, wie sie in tausend Splitter zerbarst.
Die schwarze Rose drängte sich vor ihr inneres Auge und schottete das charismatische Gesicht des MacDragul ab. Doch da fasste Lomond sie an der Hand, zog sie auf die Tanzfläche und das Bild der Rose verpuffte.
„Loslassen!“, zischte sie ihn an.
„Das wollte ich dir auch gerade empfehlen.“
Als sie die Tanzfläche erreicht hatten, drehte er sie zu sich herum, packte ihre Hüften und zog sie an sich. Sein Herz klopfte gegen ihres. Langsam schob er seine Hände auf ihre Lendenwirbel und presste ihren Unterleib gegen seine Mitte.
„Spürst du das, Chara?“, flüsterte er. „So fühlt es sich an, wenn ich loslasse. Wenn du loslässt, ist es einfach … köstlich. Weißt du, wie du riechst?“
„Will ich nicht wissen“, presste sie hervor und wich seinem Blick aus.
„Ich sag’s dir trotzdem. Du riechst nach Feuer, nach Geburt und Leben … Du riechst so heiß, dass ich allein bei deinem Geruch in Ekstase gerate. Ich will dich noch immer, Chara. Noch mal. Bevor es für eine sehr lange Zeit zwischen uns vorbei sein wird …“
„Ich kann nicht.“
„Du hast es bereits getan. Tu es noch einmal. Tu es für dich.“
Hätte sie nicht gewusst, dass es keine Selbstgefälligkeit war, die ihn solche Dinge sagen ließ, sie hätte ihm eine übergezogen und wäre abgehauen. Stattdessen ließ sie es zu, dass Lomond ihren Mundwinkel küsste. Seine Hände auf ihrem Rücken glitten nach unten, wanderten über ihren Hintern, bis sie sich fest um ihre Schenkel schlossen. Sie spürte seine Finger zwischen ihren Beinen.
„Lomond …“
„Ich bin hier“, flüsterte er. Ungeniert schob er seine Hände unter ihr langes schwarzes Seidenhemd und strich über ihren Bauch nach oben. Seine Linke schloss sich um ihre Brust. Die andere Hand glitt zurück auf ihren Rücken, presste sie fester an sich … entlockte ihm ein leises Stöhnen.
„Wie kann es sein, dass du etwas fühlst, wenn du doch eigentlich tot bist?“, flüsterte sie an seinen Lippen.
„Ich bin nicht tot, Chara. Ich bin untot.“ Er nahm ihre Hand und schob sie unter sein Hemd bis hinauf zu seinem Herzen. „Spürst du das?“
Na sicher.
„Mein Herz schlägt. Nicht so laut wie deines natürlich.“ Er lächelte. „Aber es schlägt. Meine Haut ist warm, nicht kalt wie gefühlloser Stein. Mein Atem wird schneller … Du weißt, dass er schneller werden kann. Es spielt keine Rolle, wie tot ich bin, wenn es das Leben ist, das über mich bestimmt. Die Frage ist, was muss passieren, dass ich zum Leben erwache?“
Sein Lächeln verschwand, als hätte es ein Windstoß fortgetragen. „Viel“, zischte er. „Es muss verdammt viel passieren, dass mein Herz schlägt wie deines und meine Haut so warm wie deine wird, dass ich atme oder schneller atme als ein Schlafender.“
Seine