Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
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eben wie ein Frauenheld, der sich nur zu gut darüber im Klaren war, welche Wirkung er auf das andere Geschlecht hatte. Nur eben nicht auf jemanden wie sie, jemanden, der gelernt hatte, dass die Liebe einen in geistige Umnachtung stoßen konnte und obendrein keinerlei Interesse an einem Mann des Menschengeschlechts hatte. Viel eher würde einer wie er zu einer wie Chara passen. Es war allerdings im Bereich des Vorstellbaren, dass Chara noch unempfänglicher für die Liebe war als sie.

      „Der Große Abgrund?“, antwortete Tauron gerade auf Charas Frage, ob er denn auch dem Befehl Folge leisten würde, die bekannten Grenzen Amaleas zu überwinden. „Falls du denkst, ich würde einen Rückzieher machen, wenn’s mal gefährlich wird, vergiss es, Schätzchen. Ich werde mir aber genau überlegen, welchen Gefahren ich meine Flotte aussetzen kann und welchen nicht.“

      Gute Antwort. Das musste selbst Siralen zugeben. Sie hatte vielmehr erwartet, er würde demonstrativ die Hand auf den Tisch knallen und eine Ode an seine Tapferkeit zum Besten geben.

      „Womit hast du so deine Probleme?“, fragte Chara und zischte Nok zu: „Entspann dich, ja?“ Tauron hatte sich Charas Stuhl genähert, was ihre Leibwachen sichtlich nervös machte.

      „Mit Grünschnäbeln. Besonders, wenn sie denken, sie könnten mir sagen, wo’s langgeht.“ Er fuhr sich durch sein braunes Haar und warf Siralen einen knappen Blick zu, den sie nicht einordnen konnte.

      „Irgendwelche Schwächen?“

      Siralen rechnete mit einem klaren Nein, doch erneut musste sie sich eines Besseren belehren lassen.

      „Schwächen … na ja, ich will ziemlich viel. Mich reizt der Gedanke daran, eine ganze Flotte zu befehligen, wenn ihr wisst, was ich meine … und ich steh auf Frauen.“ Das ungenierte Grinsen kehrte in sein Gesicht zurück und bekam eine sichtbar schlüpfrige Note. Siralen schüttelte sachte den Kopf und notierte die Aussage Wort für Wort in ihrem Protokoll. „Dann solltet Ihr Euch mit Roella Kalladan zusammentun“, murmelte sie.

      „Hab ich“, kam es prompt von Tauron. „War gut. Aber die Frau ist gefährlich.“

      „Stärken?“, setzte Chara unbetroffen fort.

      „Ich entscheide schnell, wenn’s drauf ankommt, und meine Entscheidungen sind in der Regel richtig. Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Ich hatte da mal einen ziemlich handfesten Streit mit Schroeder … also, Admiral Herkul Polonius Schroeder. Davon abgesehen halte ich ihn für ein verdammtes Genie.“ Er zwinkerte Siralen zu. „Nur für’s Protokoll.“

      Mit einem entspannten Zug am Pfeifenholm lehnte sich Chara zurück und erklärte: „Das war’s erst mal, jedenfalls von meiner Seite.“

      Tauron drehte am Griff seines Säbels, als wäre das irgendein besonderes Ritual. „Ah, was ich noch sagen wollte … deine Rede auf der Allianzfeier, die war schon … ganz gut … irgendwie. Ist aber nicht bei jedem gut angekommen. Die meisten von uns stehen auf Titel und so. Ruhm und Ehre … na, du weißt schon. Hat nicht allen gefallen, dass du nichts von solchen Auszeichnungen hältst.“

      Damit präsentierte er ihnen ein letztes breites Lächeln, verabschiedete sich mit einem „War mir ein Vergnügen“, drehte sich um und stiefelte aus der Bibliothek.

      Chara lehnte sich zurück und streifte sich die Hosenbeine glatt. „Auf die Gefahr hin, dass ich mit dieser Meinung allein da stehe, ich halte Hagegard, mal abgesehen von seiner Aufschneiderei, für einen interessanten Kandidaten. Er sagt geradeheraus, was er denkt, fackelt nicht lange rum und wird dementsprechend schnell entscheiden, was, wie, wann getan werden muss. Außerdem lässt sich entspannt mit ihm reden.“

      „Das mag ja alles richtig sein, aber ich werde mich ganz bestimmt nicht mit diesem Rüpel auseinandersetzen“, gab Lucretia bekannt und es schien ihr damit bitterernst zu sein.

      Siralen legte ihre Feder weg. „Leider muss ich mich Lucretia anschließen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Tauron Hagegard weiß, was er tut und womöglich sogar als Admiral überzeugt, aber ich halte es für ausgeschlossen, dass ich mit ihm auch nur ein annähernd hinreichendes Auskommen finde. Was aber kein Grund sein muss, ihn nicht zum Admiral zu wählen.“

      „Sondern?“

      „Es hängt ganz davon ab, wem von uns die Admiralität unterstellt ist. Schlussendlich muss einer von uns das Flottenoberkommando übernehmen und der, der das Kommando über die Flotte hat, ist jener, der den Admiral im Griff haben muss.“

      Ein langer Blick folgte, dessen Botschaft Chara irgendwie nicht erreichen wollte.

      „Wenn du Flottenoberkommandantin wirst, Chara, kann Tauron Hagegard Admiral werden. So weit verständlich?“

      Charas Augen weiteten sich in plötzlicher Einsicht. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“, gab sie zurück. „Ich bin nicht einmal in meinen Zehenspitzen das, was man unter einem Seefahrer versteht.“

      „Wie auch sonst keiner an diesem Tisch“, sagte Siralen. „Aber wenn wir das Expeditionskommando nicht sinnlos ausbauen wollen, wird einer von uns diese Aufgabe übernehmen müssen.“

      Eine Weile war es still in der Bibliothek.

      „Also gut“, sagte Chara schließlich. „Ich übernehme das Kommando über die Flotte.“ Sie schlug ihr kleines schwarzes Buch zu und schob sich die Pfeife in den Mundwinkel. „Dann fällt das Kommando über die Landstreitkräfte in deine Verantwortung, Siralen.“

      Siralen nickte, und Chara schien zufrieden zu sein. „Ich muss mich jetzt darum kümmern, eine genaue Flottenformation zu erarbeiten.“

      „Vergiss nicht, dich diesbezüglich mit dem neuen Admiral abzusprechen“, lächelte Siralen, während sie die Feder wieder auf das Pergament senkte und in gestochener Schrift vermerkte:

      Chara Pasiphae-Opoulos – Flottenoberkommandantin, Kommandantin der Internen Sicherheit

      „Ich schlage vor, wir ordnen die Gelehrten der Flotte zu. Damit fallen auch sie in deinen Zuständigkeitsbereich, Chara.“

      „Von mir aus.“

      … Sprecherin der Gelehrten, vollendete Siralen die Zeile und setzte eine Zeile weiter unten neu an:

      Siralen Befendiku Issirimen Desin Suren Illju Kogena Senambra – Sprecherin der Elfen, Kommandantin der Landstreitkräfte.

      Dann rollte sie ihre Dokumente zusammen und sah auf.

      „Die Vizeadmiräle …“, kam sie zum letzten Punkt. „Stimmen wir ab.“

      Es dauerte eine Weile, doch schließlich wurden sich Chara, Siralen und Lucretia einig. Unter den Auserwählten befanden sich auch Alwin Hjellgard und Roella Kalladan, für die sich vorallem Chara stark gemacht hatte – für letztere sogar ganz vehement.

      Wenig später wanderte Siralen durch die vage beleuchteten Gänge in Richtung ihres Zimmers. Als sie sicher war, dass sich niemand mehr in ihrer Nähe aufhielt, blieb sie stehen, lehnte sich gegen die Felswand und schloss die Augen.

      Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich auf einen Auftrag wie diesen einzulassen? Wieso hatte sie Al’Jebal ihre Zustimmung gegeben, ohne zu wissen, was genau er von ihr wollte? Hatte sie sich etwas beweisen wollen? Sie war eine Kriegerin, gewiss eine gute Bogenschützin, aber als Kommandantin hatte sie bislang nur eine überschaubare Anzahl von Schützen und Nahkämpfern aus Albion befehligt. Wie sollte sie dann ein Regiment von viertausend Soldaten anführen, die noch dazu vom Blut der Menschen waren? Sie hatte keine Erfahrung mit Menschen, und sie hatte auch wenig Verständnis für diese kurzlebige Rasse. Davon abgesehen war sie auch noch die Sprecherin aller in den Flottenverband integrierten Elfen. Sie, Siralen, Tochter von Verrätern! Ausgerechnet sie sollte ihr Volk nun würdig vertreten. Wenn auch nur ein winziger Keim des Wesens ihres Vaters in ihr spross, war auch sie nicht weit davon entfernt, die Elfen zu verraten.

      Müde fuhr sie sich über das Gesicht und schlug die Augen auf. Der Gedanke an den weiten blauen Ozean pflanzte schon jetzt ein Gefühl der Fremde in ihre Brust. Sie war die Hüterin der Waldesstille, sie war Desin Suren Illju. Was suchte ein Geschöpf des Waldes