Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
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was sich die Allianz bis jetzt aufgebaut hat, wird null und nichtig sein, wenn diese Mission scheitert. Alles, was sich die Allianz bis jetzt aufgebaut hat, wird Sinn ergeben, wenn sie erfolgreich ist. Diejenigen unter uns, die leben und für den Sieg der Allianz kämpfen, werden fortleben, wenn wir erfolgreich sind. Diejenigen unter uns, die leben und für den Sieg der Allianz kämpfen, werden sterben, wenn wir scheitern. Ist die Mission erfolgreich, gibt es eine Zukunft für die Allianz. Scheitern wir, stirbt unser Gestern, unser Heute und unser Morgen.“

      Sie verstummte und steckte ihre Hände zurück in ihre Manteltaschen. Niemand regte sich.

      „Im Namen des hier anwesenden Expeditionskommandos fordere ich euch dazu auf, euch für die kommende Mission freiwillig zu melden!“

      Damit kam Chara abrupt zum Ende. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und kehrte an ihren Platz in der Reihe zurück.

      Siralen runzelte die Stirn. Die Assassinin hatte in ihrer Rede so ziemlich jeden diplomatischen Missgriff begangen, der ihr einfiel. Doch eines konnte man nicht abstreiten – ihre Rede zeigte Wirkung. Sie wurde auf zweierlei Art honoriert: Mit einem tiefen, unangenehm berührten und zum Teil zornigen Schweigen auf der einen und jeder Menge neugieriger Blicke auf der anderen Seite. Schwer zu sagen, wer welcher Seite angehörte.

      Schließlich übernahm erneut Al’Jebal das Wort und änderte damit binnen eines Herzschlags die Stimmung im Saal. „Die Feier ist eröffnet!“

      Ein Tanz

      „Seid Ihr Euch gewiss, dass Ihr die richtige Wahl getroffen habt?“

      Der Elfenkönig stand an einem stillen Platz hinter zwei Säulen und griff nach einem Glas, das ihm auf einem Tablett dargeboten wurde. Kein Wein, nur Wasser …

      „Ja“, erwiderte Al’Jebal.

      „Es ist gefährlich, auf dem Fundament menschlichen Makels sein Haus zu bauen, Al’Jebal. Ihr nutzt ihre Schwäche, um daraus Stärke zu beziehen. Ihr wisst, dass sie schwach ist, dass sie ihrer selbst nicht Herr ist und mehr als wir es hier und jetzt berechnen könnten, die Ordnung aus dem Gleichgewicht bringen kann. Man benutzt kein Schwert dafür, um ein Schwert zu zerschlagen. Dafür braucht es einen Hammer.“

      In einfachen Worten, man kann dem Chaos nicht mit dem Chaos zu Leibe rücken. Al’Jebal blickte über das Meer aus Gästen und erspähte die schwarze Silhouette unweit des Haupteinganges. „Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Feuer zu löschen. Entweder erstickt man es, oder man lässt seine Flammen lodern, bis da nichts mehr ist, das noch brennen könnte. Der Vorteil an Letzterem ist, dass danach keine Glut mehr Funken schlagen wird.“

      „Eine gefährliche Strategie. Feuer mit Feuer bekämpfen …“

      „Ihr habt Eure Wege, ich meine. Und was die kommende Mission angeht, haben wir eine Übereinkunft getroffen. Ich spiele meine Figur aus, Ihr die Eure. Niemand von uns hat etwas zu verlieren.“

      Das leere Glas des Elfenkönigs landete auf einem vorbeischwebenden Tablett. „Wir werden sie im Auge behalten.“

      „Das ist mir bewusst.“

      „Und Lucretia L’Incarto, Telos Malakin?“

      „Werden ihren Dienst an der Sache tun.“ Al’Jebal sah in die mandelförmigen Augen, die ihn aufmerksam musterten. „So wie Siralen.“

      Der Elfenkönig nickte. „Der Oberste der Lichtjäger hat sich freiwillig gemeldet, um an der Expedition teilzunehmen.“

      „Gut.“

      „Dann lasst uns die Geschäfte vergessen und das Leben zelebrieren.“

      Über Al’Jebals Lippen ging ein flüchtiges Lächeln. Wir feiern das Leben gerne dann, wenn der Tod vor der Tür steht.

      Es herrschte ein stimmungsvolles Treiben auf dem Platz zwischen den Säulengängen. Gemurmelte Gerüchte, energische Diskussionen, freundliche Zugeständnisse, düstere Zukunftsvisionen und oberflächliches Geplänkel zersprengten den Saal in kleine Inseln der Eintracht. Darüber hingen kleine Aroma-Wölkchen der Gerüche aller dargebotenen Speisen, dezent durchwirkt von zarten Parfum-Fäden, die den Duft nach Rosen, Lavendel, Orange, Zedernholz oder anderen ätherischen Ölen verströmten.

      Chara hatte sich einen Weg durch die Menge an die lange Tafel gebahnt. Dort, nahe der Doppelflügeltür, bediente sie sich an den in verschwenderischer Vielfalt und Menge aufgetragenen Speisen. Mit einer gegrillten Lammkeule in Honigkruste und einem Brotfladen verschwand sie schließlich im Schatten eines Winkels. Sie zog sich den Mantel von ihren Schultern und warf ihn über eine Brüstung. Während sie, eingekeilt zwischen den Dad Siki Na, den Knochen abnagte, beobachtete sie das Treiben im Saal.

      Die Elfen waren überraschend zugänglich und hatten sich weitestgehend unter die Menschen gemischt, ebenso wie die Zwerge, von denen sich eine Gruppe Krieger um den Kommandanten der KEZS, Jagan Kerme, drängten. Der schwule Elite-Zwergen-Söldner trug ein schmuckes Wams, über dem in auffallender Prägnanz die Kette mit den getrockneten Elfenohren baumelte. So gesehen war es das reinste Wunder, dass das unsterbliche dem kleinen Volk mit einem derartigen Gleichmut begegnete. Manche von ihnen hatten sich wohl an Kermes Aufmachung gewöhnt, die anderen waren wahrscheinlich von ihren Vertretern in der Allianz dazu aufgerufen, jeglichen Konflikt zu vermeiden. Einer dieser Vertreter unterhielt sich gerade mit dem Mann, dem Chara bis jetzt aus dem Weg gegangen war.

      Ihr war sofort aufgefallen, dass Al’Jebal auf seine Magierrobe verzichtet und sich stattdessen einmal mehr in Schwarz gekleidet hatte. In die Kragenspitzen seines knielangen Mantels war sein Emblem, der Silberstern, genäht. Zum zigsten Mal an diesem Abend dachte Chara an den gestrigen Morgen, als sie nach schicksalsschwerer Nacht mit Lomond ihr Zimmer betreten hatte und ihr Augenlicht in einem Meer aus weißen Rosen ertrunken war. Erneut sah sie den aus dem nahtlosen Weiß blitzenden schwarzen Punkt, spürte den Stich in ihrem Herzen, als sie sah, was Al’Jebal auf ihrem Tisch hinterlassen hatte und alle weißen Rosen dieser Welt null und nichtig machte.

      Die schwarze Rose – eine Erinnerung daran, wer sie wirklich war und wohin sie gehörte.

      Chara schielte auf die Dornenranken, die sie sich in Erainn auf ihre Unterarme hatte tätowieren lassen. Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass sich die weiße Blüte öffnete, hätte verhindern müssen, dass ihr Verlangen sich Bahn schlug. Stattdessen hatte sie Lomond an sich herangelassen, hatte ihm ihr Herz und ihren Kopf geöffnet. Damit war sie nicht länger eine Unberührte, nicht länger die Ibaħie, die sie für immer hätte bleiben müssen, nicht länger samit und damit stumm.

      Aus dem an und für sich nihilistischen Grundsatz der Hatschmaschin gebar sich die alles umfassende Erkenntnis, dass nichts, abgesehen von dem Willen des Meisters, in dieser Welt bewahrt, geschützt oder erreicht werden musste. Dies war das Fundament der Mulħad, der gottlosen Krieger, wie auch sie einer war. Wenn ein Mulħad damit begann, einem anderen als dem Namai irgendeine Bedeutung beizumessen, was zwangsläufig passierte, sobald man etwas oder jemanden begehrte, brach er mit der Inneren Lehre, dem Bathir, dessen Bedeutung den meisten schon bei ihrer Geburt eingebläut wurde. Genau das war mit ihr geschehen. Und Lomond hatte sie auf diesen Weg geführt. Dabei konnte sie ihm kaum einen Vorwurf machen. Er war nur seinem tierischen Instinkt gefolgt, hatte sich geholt, wonach es ihm, einem lebendigen Toten, verlangte.

      Selbst jetzt spürte Chara seine Berührungen noch, fühlte sie ihn noch in sich. Beim Gedanken an das, was er mit ihr gemacht hatte, zog sich eine Gänsehaut über ihre Arme und verlieh den Dornenranken eine anschauliche Plastizität.

      Chara stellte den Teller mit den abgenagten Knochen auf der Tafel ab, ließ sich ein Tuch reichen, säuberte ihre fettigen Finger und lehnte sich erneut an die Wand. Al’Jebal unterhielt sich noch immer mit dem Elfen. Der Fremde kehrte ihr den Rücken zu und war in feines Tuch gekleidet – hellgrau, mit silbernen Borten und Stickereien verziert. Sein braunes Haar fiel ihm wie ein zahmer Wasserfall über die Schultern. Alles an ihm schrie nach einem Mann von hohem Amt oder Status.

      Als sich Chara gerade dazu entschloss, die Feier besser früher als später zu verlassen, erspähte sie einen Schatten neben einer der Säulen. Kerrim. Es