Mondblume. Nelia Gapke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nelia Gapke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000351
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wollten nun auch zusammen Medizin studieren. Vorausgesetzt, das Nasar es ihr erlauben würde. Bei dem Gedanken stieg in ihr wieder Ärger über die Ungleichstellung der Frauen in der Gesellschaft auf. Das Geräusch eines fahrenden Autos riss Aigul aus ihren unerfreulichen Gedanken. Der weiße Lada tauchte auf der Straße auf, bog in die Einfahrt ein und blieb vor dem Haus stehen. Nasar stieg aus dem Auto und ging zu der hinteren Wagentür. Als er diese öffnete, sprang ein großer Hund heraus. Es war ein deutscher Schäferhund. Der Hund sprang an Nasar hoch und wedelte eifrig mit dem Schwanz. Nasar sagte etwas zu dem Hund, lachte und tätschelte ihn hinterm Ohr. Nun ließ er den Hund los und ging in Richtung Haus.

      Aigul erhob sich von der Bank. Mit gemischten Gefühlen durchquerte sie langsam den Garten, unsicher, wie das Tier auf sie reagieren würde. Der Hund musste sie bemerkt haben, denn er reckte den Kopf und blickte mit gespitzten Ohren in ihre Richtung. Er bellte zwei Mal und lief ihr dann mit einem neugierigen Blick entgegen. Bei ihr angelangt, blieb er stehen, schnüffelte kurz an ihren Beinen und blickte dann schwanzwedelnd zu ihr hoch. Aigul streckte vorsichtig die Hand aus, um ihn zu streicheln, doch der Hund gab einen vergnügten Ton von sich und leckte ihre Hand ab. Aigul lachte fröhlich auf, ging in die Knie und umarmte den Hund. Dieser freute sich und nutzte die Gelegenheit, um ihre Wange ebenfalls abzulecken.

      Nasar, der die Szene beobachtete, traute seinen eigenen Augen nicht. Sein Hund, der jeden anknurrte, den er nicht kannte, begrüßte Aigul wie eine alte Freundin! Aber es war schön, Aigul lachen zu hören und sie so ausgelassen und fröhlich zu sehen. Nasar trat näher an die beiden heran und grinste. Sein Hund benahm sich wie ein Welpe und ließ sich von Aigul streicheln und kraulen.

      „Er heißt Muchtar.”

      Aiguls Gesichtsausdruck veränderte sich augenblicklich und sie versteifte sich.

      „Ein schöner Name”, erwiderte sie kühl.

      Es ärgerte Nasar, dass sie mit ihm umging, als wäre er ihr Feind. Warum zeigte sie seinem Hund gegenüber so viel Zuneigung und ihm gönnte sie nicht einmal ein kleines Lächeln?

      Keiner sagte nun mehr ein Wort. Muchtar blickte unschlüssig von einem zum anderen und wedelte immer noch mit dem Schwanz.

      Aigul wusste nicht, wieso Nasar sie jetzt schon wieder so verärgert ansah und fragte sich, was sie wohl falsch gemacht hatte. Hätte sie seinen Hund nicht streicheln dürfen?

      „Wir essen bei meiner Tante und meiner Großmutter zu Abend. Sie haben uns eingeladen.”

      Damit drehte Nasar sich abrupt um und stampfte zum Haus. Muchtar sah ihm nach, gab ein leises Jaulen von sich und blickte dann zu Aigul, als könnte er sich nicht entscheiden, zu wem er halten sollte. Er schaute nochmal in Nasars Richtung und sah, wie dieser gerade im Haus verschwand. Schwanzwedelnd drehte er sich nun Aigul voll zu und blickte sie erwartungsvoll an. Aigul lächelte und kraulte ihn hinterm Ohr.

      „Na, Muchtar, du willst bestimmt spielen, nicht wahr?“

      Sie beugte sich vor, hob einen kleinen Stock auf und warf ihn in Richtung Wiese, die sich hinter dem Garten erstreckte. Muchtar preschte sofort los und Aigul lief ihm nach.

      Nasar sah durch das Wohnzimmerfenster zu, wie die beiden auf der Wiese herumtollten, wie Aigul lachte und sich von Muchtar die Wange ablecken ließ. Er würde sie schon noch dazu bringen, auch zu ihm nett zu sein! Er war jetzt ihr gesetzlicher Ehemann und könnte sie dazu zwingen, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. Er seufzte. So wollte er es aber nicht. Sie sollte ihn lieb gewinnen und von ihm genauso bezaubert sein, wie er von ihr. Also war Geduld angebracht, obwohl das nicht unbedingt seine Stärke war. Er wendete sich vom Fenster ab und ging ins Schlafzimmer. Seufzend setzte er sich an den Tisch, in der Hoffnung, die Arbeit würde ihn von seinen trüben Gedanken ablenken. Er blätterte ein paar Unterlagen hin und her, packte diese aber bald wieder beiseite. Er sah nur Aiguls Gesicht vor seinen Augen. Mal schien sie ihn anzulächeln, dann blickte sie wieder traurig und angsterfüllt. Er stand auf und ging wieder zum Fenster.

      Vielleicht war er einfach zu alt für sie? Sie war erst achtzehn und er bereits vierundzwanzig. Er hätte ihr natürlich noch ein paar Jahre Zeit lassen können, doch seit er sie letztes Jahr gesehen hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und wer weiß, wenn er ihr noch Zeit gelassen hätte, hätte sie sich womöglich in einen anderen Mann verliebt und diesen dann auch noch geheiratet. Sie waren zwar einander versprochen gewesen, doch die alten Bräuche wurden schon lange nicht mehr so gepflegt, wie früher. Er hatte ohne Zweifel selbstsüchtig gehandelt, aber er würde versuchen, ihr ein guter Ehemann zu sein. Und er würde sie dazu bringen, seine Gefühle zu erwidern, das schwor er sich.

      *

      Beim Mittagessen herrschte absolutes Schweigen. Nasar war in seine Gedanken vertieft und Aigul wusste nicht, worüber sie hätte reden können, außer, dass sie froh war Muchtar hier zu haben. Er erinnerte sie an ihren Hund, Bol. Zwar war Bol nur ein Mischling, aber genauso klug und verspielt, wie Muchtar.

      Nach dem Mittagessen ging Nasar ins Schlafzimmer und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

      Aigul sah sich im Haus um und überlegte, was sie machen könnte. Viel Auswahl stand ihr nicht zur Verfügung. Vorsichtig machte sie ein paar Schritte Richtung Schlafzimmer und lugte durch die Türöffnung hinein. Nasar machte einen sehr beschäftigten Eindruck, daher zögerte sie ihn zu stören. Sie blieb an der Schwelle ins Zimmer stehen und räusperte sich. Da er nicht reagierte, wusste sie nicht, ob sie es nicht lieber lassen sollte, aber da ihr keine andere Beschäftigung einfallen wollte, traute sie sich doch.

      „Gehören die ganzen Bücher hier dir?”, fragte sie.

      Nasar drehte den Kopf und sah Aigul im Türrahmen stehen. Er blickte sie fragend an. Aigul wurde verlegen und rieb sich die Hände.

      „Hm ... dumme Frage nicht wahr?”

      „Das habe ich nicht gesagt”, erwiderte er lächelnd und erhob sich.

      Sie machte automatisch einen Schritt zurück und sah, wie Nasars Miene sich wieder verfinsterte.

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht stören”, stammelte sie und war im Begriff zu flüchten.

      „Du störst überhaupt nicht”, entgegnete er ruhig. “Im Gegenteil, deine Gesellschaft ist mir willkommen.”

      „Ich wollte nur ... einige der Bücher würden mich interessieren. Ich wollte deshalb fragen ...”, sie verstummte und bereute es, ihn gestört zu haben. Lieber hätte sie draußen mit Muchtar spielen sollen, als hier unter diesem finsteren Blick rot zu werden.

      Am liebsten hätte Nasar sie jetzt gepackt und sie solange geküsst, bis die Angst aus ihren Augen verschwunden wäre und sie ihn nicht mehr, wie ein verängstigtes Reh anblickte. Seine innere Stimme riet ihm jedoch, sich zu beherrschen und nichts zu überstürzen, sonst würde er ihr womöglich noch mehr Angst einjagen, anstatt ihre Zuneigung zu gewinnen.

      „Was mir gehört, gehört jetzt auch dir. Ich möchte, dass du dich hier zu Hause fühlst, Aigul. Wenn du etwas haben willst, dann brauchst du mich nicht zu fragen. Nimm es dir einfach.”

      Er wies dabei mit der Hand auf das Bücherregal und setzte sich wieder hin, um Aigul nicht mehr ansehen zu müssen. Sonst würde er sich nicht mehr zurückhalten können und sie doch noch küssen.

      „Danke!”, sagte sie knapp, ging eilig zum Regal, nahm sich eins von den medizinischen Büchern heraus und eilte damit aus dem Haus.

      Endlich im Hof angelangt atmete sie erleichtert auf. Sie verlangsamte ihren Schritt und wunderte sich über sich selbst. Sie benahm sich in seiner Nähe, wie ein dummes Kind. Sie war doch sonst nicht so! Sie war selbstsicher, höflich und freundlich im Umgang mit anderen Menschen. In Nasars Gegenwart war dies leider nicht der Fall. Sie seufzte schwer. Und mit diesem Mann wird sie ihr ganzes Leben verbringen müssen?! Das würde ja die reinste Folter werden.

      Muchtar sprang um sie herum und wedelte mit dem Schwanz. Aigul tätschelte ihn hinterm Ohr und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf. Muchtar nutzte die Gelegenheit und leckte wieder ihre Wange ab. Aigul wischte sich die Wange ab und lachte.

      „Du bist ja noch schlimmer,