Mondblume. Nelia Gapke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nelia Gapke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000351
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Fernseher haben möchtest, kann ich einen besorgen.”

      Aigul schüttelte den Kopf. Es war ihr ganz egal, ob es hier einen Fernseher gab oder nicht. Sie hatte nicht vor, hier lange zu bleiben. Spätestens Ende August würde sie hier weg sein, denn dann begann ihr Studium.

      „Dahinter ist das Schlafzimmer”, meinte Nasar mit einem Kopfnicken zur anderen Tür. „Ich habe deine Koffer dort abgestellt. Im Schrank ist noch genug Platz für deine Sachen. Aber bevor du mit dem Auspacken anfängst, solltest du etwas essen. Du siehst ganz blass aus.”

      „Danke! Ich habe keinen Hunger.”

      Nasars linker Mundwinkel zuckte leicht nach oben.

      „Du hast gestern den ganzen Tag nichts von dem leckeren Essen auch nur angerührt. Also, Mädchen, du bewegst jetzt deinen süßen Hintern freiwillig in die Küche und isst ordentlich was oder ich sehe mich gezwungen, dir nachzuhelfen!”

      Er trat einen Schritt auf sie zu, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Aigul blickte ihn an und schnaubte verächtlich.

      „Was willst du machen? Mich etwa schlagen?“

      Doch sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging erhobenen Hauptes an ihm vorbei. Es war besser, es nicht darauf ankommen zu lassen, denn physisch war er ihr mit Sicherheit überlegen. Außerdem hatte sie tatsächlich einen Riesenhunger. Ihr Magen fühlte sich bereits an, als wäre er ihr am Rücken festgewachsen.

      Die Küche war recht klein und die Wände im selben hellblauen Ton, wie auch das Wohnzimmer, gehalten. In der linken Ecke stand ein gemauerter Ofen, auf der gegenüberliegenden Seite ein Gasherd, daneben ein Geschirrschrank und etwas weiter ein kleiner Kühlschrank. Neben der Küchentür befand sich ein Waschtisch mit einem kleinen Spiegel. Der kleine eckige Esstisch und die zwei Holzstühle standen direkt vor dem Fenster.

      Der heiße Tee, den Nasar bereits in die Pialas (kleine Schalen) eingegossen hatte, duftete köstlich.

      Aigul nahm am Tisch Platz und langte nach dem Fladenbrot und einem großen Stück Kasy (gekochte Pferdewurst mit Knoblauch). Sie beschloss lieber zu essen und bei Kräften zu bleiben, um gegen diesen Mann ankommen zu können.

      Nasar setzte sich ihr gegenüber und nahm nur ein Stück Kurt (stark gesalzener, getrockneter Käse). Er trank seinen Tee und knabberte an dem Käse, ohne Aigul aus den Augen zu lassen. Sie versuchte sich von seinem Blick nicht sonderlich stören zu lassen und aß einfach weiter.

      „Kannst du eigentlich kochen?”, unterbrach Nasar nach einiger Zeit das Schweigen.

      „Mhm”, gab sie kauend zur Antwort.

      Nachdem Aigul das Brot und die Wurst bewältigt hatte, angelte sie sich ebenfalls ein Stück Kurt und blickte zu Nasar.

      „Wo sind wir hier?”

      Diese Frage ließ ihr seit der Ankunft keine Ruhe. Es war kein schönes Gefühl, nicht zu wissen, wo man sich befand.

      „In Podgornaja.”

      Er sagte das so ruhig, als ob es selbstverständlich war, dass sie wusste, wo dieses Podgornaja war. Es ärgerte Aigul, ihn nochmal fragen zu müssen, aber leider wurde sie aus seiner Antwort nicht schlauer als vorher.

      „Das sagt mir leider gar nichts. Wo ist das denn genau?”

      Nasar erhob sich und goss Aigul noch etwas Tee nach.

      „Iss ruhig noch etwas. Es ist genug da. Deine Großmutter hat Proviant für ein paar Tage eingepackt.”

      Leicht verärgert blickte sie zu ihm hoch.

      „Du hast meine Frage nicht beantwortet.”

      „Ach ja, entschuldige bitte. Wir sind in der Nähe von Issyk und der Ort hier heißt Podgornaja.”

      Aigul sah ihn misstrauisch an. Wieso war dieser Mann jetzt auf einmal so freundlich zu ihr? Vorhin hat er sie noch angebrüllt und nun spielte er einen fürsorglichen und höflichen Ehemann.

      „Wir sind hier etwa vier Kilometer von dem Zentrum Issyks entfernt und liegen etwas höher, als die Stadt selbst”, erklärte er und reichte ihr die Schale mit Kurt. „Hinter der Straßenbiegung stehen noch ein paar Häuser, dort wohnt auch meine Großmutter.” Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Sie ist schon zweiundachtzig Jahre alt und kann nicht mehr alleine wohnen. Deshalb ist sie zu meiner Tante, ihrer Tochter, gezogen. Bis vor drei Jahren hat sie noch hier in diesem Haus gewohnt.”

      Nasars plötzliche Redseligkeit machte Aigul völlig sprachlos. Er saß da, trank seinen Tee und plauderte. Führte er etwas im Schilde oder war er vielleicht doch nicht so schlimm, wie die Leute über ihn redeten? Nun, wie dem auch sei, sie sollte lieber auf der Hut sein. Vorsicht hatte noch keinem geschadet. Nasar stellte seine Piala ab und erhob sich vom Tisch.

      „Ich muss jetzt kurz weg. Habe einiges zu erledigen, bin aber bald wieder zurück. Du kannst dich in der Zwischenzeit hier etwas umsehen und deine Sachen auspacken.”

      Aigul nickte nur stumm.

      In der Tür drehte Nasar sich noch einmal um und wies mit der Hand auf die kleine Tür neben dem Heizofen hin.

      „Das Wasser zum Waschen und Kochen steht in den Eimern im Vorratsraum. Das Wasser zum Trinken steht in Flaschen dort auf dem Kühlschrank. Die Toilette ist leider draußen, hinterm Haus.”

      Damit war er verschwunden.

      Aigul atmete erleichtert auf. Sie hatte nicht gemerkt, wie angespannt sie die ganze Zeit in seiner Anwesenheit gewesen war. Sich nicht mehr beobachtet zu fühlen, tat gut. Sie aß ihr Stück Kurt auf, räumte vom Tisch ab, spähte in den Küchenschrank, um zu sehen, wo sich was befand und sah sich auch den Vorratsraum an. Dort entdeckte sie in einer Ecke eine Zinnwanne, die groß genug war, um sich darin, wenn auch im Sitzen, baden zu können.

      Als nächstes ging sie durch das Wohnzimmer zu der Schlafzimmertür. Das Zimmer war, wie nicht anders erwartet, auch in dem hellblauen Ton gestrichen. Es war nicht sehr groß, aber für ein Schlafzimmer ausreichend. Auf der linken Seite stand ein großer Kleiderschrank, daneben ein großes Regal mit Büchern und am Fenster ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Tisch lagen Bücher und mehrere Papierstapel. Auf der rechten Seite stand ein großes Holzbett. Da es das einzige Bett im Haus war, würde sie wohl auf dem Diwan schlafen müssen. Es würde sowieso nur vorübergehend sein, da sie in ein paar Wochen weg sein würde. Es hatte auch nicht viel Sinn ihre Sachen in den Schrank zu packen, wenn sie dann jedes Mal in sein Schlafzimmer müsste, um etwas zu holen. Also transportierte sie ihre Koffer ins Wohnzimmer und schob sie unter den Diwan. Dann schritt sie interessiert zum Bücherregal im Schlafzimmer. Einige der Bücher davon waren Lehrbücher der Tierheilkunde, der Menschenheilkunde, der Erdkunde, sowie zwei Lexikonbände über die Tier- und Pflanzenwelt Kasachstans. Zu ihrer Freude gab es aber nicht nur Lehrbücher, sondern auch jede Menge Unterhaltungsliteratur. Kasachische, russische, aber auch weltberühmte Schriftsteller, wie Jack London, J. F. Cooper, Shakespeare und noch einige andere waren vertreten. Sie lächelte, langweilig würde es ihr hier nicht werden. Apa hatte zu ihr gesagt, Nasar wäre ein gebildeter Mann. Wenn er diese ganzen Bücher gelesen hatte, dann hatte Apa wohl rechtgehabt.

      Sie beschloss sich auch im Hof etwas umzusehen. Sie ging hinaus und musste wieder über die Schönheit der sie umgebenden Natur staunen. So viel Grün gab es unten, in ihrem Dorf, nur im Frühling, wenn die Sonne ihre volle Stärke noch nicht erreicht hatte.

      Sie ging weiter in den Garten und bemerkte unter dem Apfelbaum eine Hundehütte. Diese war allerdings leer. Schade! Sie hätte sich über einen Hund gefreut.

      Der Garten war ziemlich groß. Hier gab es mehrere Apfel- und Birnenbäume, Süß- und Sauerkirschen und einen Aprikosenbaum. Aigul pflückte ein paar reife Aprikosen und schritt weiter zu der Holzbank, die am äußeren Ende des Gartens stand. Von hier aus hatte man einen guten Überblick, da dieser Teil des Gartens etwas höher lag als das Haus. Die Straße war von der Einfahrt bis zur Biegung zu sehen und man sah auch den Fluss dahinter. Das musste der Issyk-Fluss sein.

      Aigul seufzte. Wie schön wäre es jetzt, wenn Nadja