Viertelstunde folgten. Er war ein kluger, vorsichtiger Mann, der
für die Sicherheit der Seinen nach besten Kräften sorgte.
Wir ritten ohne Rast bis Mittag. Als die Sonne am höchsten
stand, machten wir Halt, um unsern Pferden die nötige Ruhe zu
gönnen. Wir waren während unseres Rittes auf keinen einzigen
Menschen gestoßen und hatten an gewissen Stellen, an Büschen,
Bäumen oder am Boden Zeichen der vier vorausgesandten
Reiter gefunden, welche uns dadurch die Richtung angaben, der
wir folgen mußten.
Diese Richtung war mir rätselhaft. Von unserm gestrigen
Ruheplatze aus hatte Sinna im Südosten gelegen, aber anstatt
infolgedessen diese Richtung einzuhalten, waren wir fast ganz
genau nach Süd geritten.
"Du wolltest zu den Dschiaf?" erinnerte ich den Khan.
"Ja."
"Dieser wandernde Stamm befindet sich jetzt in der Gegend von
Sinna?"
"Ja."
"Aber wenn wir so fortreiten, kommen wir nie nach Sinna,
sondern nach Banna oder gar Nweizgieh!"
"Willst du sicher reisen, Herr?"
"Das versteht sich!"
"Wir auch. Und aus diesem Grunde ist es geraten, daß wir die
feindlichen Stämme umgehen. Wir werden noch bis heut abend
sehr scharf zu reiten haben und dann können wir uns ausruhen;
denn wir müssen morgen erwarten, daß der Weg nach Ost frei
wird."
Diese Erklärung wollte mir nicht ganz einleuchten; aber es war
mir nicht möglich, seine Gründe zu widerlegen, und so schwieg
ich.
Nach einer zweistündigen Ruhe brachen wir wieder auf. Unser
Ritt war ein sehr scharfer, und ich bemerkte, daß er uns oft im
Zickzack führte; es hatte also viele Punkte gegeben, von denen
uns die vier Kundschafter fernhalten wollten.
Gegen Abend mußten wir eine hohlwegähnliche Vertiefung
durchreiten. Ich befand mich an der Seite des Khans, der bei der
vordersten Abteilung war. Wir hatten diese Stelle fast
zurückgelegt, als wir auf einen Reiter trafen, dessen bestürztes
zurückgelegt, als wir auf einen Reiter trafen, dessen bestürztes
Gesicht uns verriet, daß er nicht gedacht hatte, hier an diesem
Orte Fremden zu begegnen. Er drängte sein Pferd zur Seite,
senkte die Lanze und grüßte:
"Sallam!"
"Sallam!" antwortete der Khan. "Wohin geht dein Weg?"
"In den Wald. Ich will mir ein Bergschaf (* Reh.) erjagen."
"Zu welchem Stamme gehörst du?"
"Ich bin ein Bebbeh."
"Wohnest du, oder wanderst du?"
"Wir wohnen zur Zeit des Winters; im Sommer aber führen wir
unsere Herden zur Weide."
"Wo wohnest du im Winter?"
"In Nweizgieh. Im Südost von hier. In einer Stunde kannst du es
erreichen. Meine Gefährten werden euch gern willkommen
heißen."
"Wie viel Männer seid ihr?"
"Vierzig, und bei andern Herden sind noch mehr."
"Gib mir deine Lanze!"
"Warum?" fragte der Mann erstaunt.
"Und deine Flinte!"
"Warum?"
"Und dein Messer! Du bist mein Gefangener!"
"Maschallah!"
Dieses Wort war ein Ausruf des Schreckens. Sogleich aber
blitzte es in seinen scharfen Zügen auf; er riß sein Pferd empor,
warf es herum und sprengte zurück.
"Fange mich!" hörten wir noch den Ruf des schnell handelnden
Mannes.
Da nahm der Khan seine Flinte zur Hand und legte auf den
Fliehenden an. Ich hatte kaum Zeit, den Lauf zur Seite zu
schlagen, so krachte der Schuß. Natürlich ging die Kugel an
ihrem Ziel vorüber. Der Khan hob die Faust gegen mich, besann
sich aber sofort eines Besseren.
"Khyangar (** Verräter.)! Was tust du?" rief er zornig.
"Ich bin kein Verräter," antwortete ich ruhig. "Ich will nicht
haben, daß du eine Blutschuld auf dich ladest."
haben, daß du eine Blutschuld auf dich ladest."
"Aber er mußte sterben! Wenn er uns entkommt, so müssen wir
es büßen."
"Lässest du ihm das Leben, wenn ich ihn dir bringe?"
"Ja. Aber du wirst ihn nicht fangen!"
"Warte!"
Ich ritt dem Flüchtigen nach. Er war nicht mehr zu sehen; aber
als ich die Schlucht hinter mir hatte, bemerkte ich ihn. Vor mir lag
eine mit weißem Krokus und wilden Nelken bewachsene Ebene,
jenseits der die dunkle Linie eines Waldes sichtbar wurde. Wenn
ich ihn den Wald erreichen ließ, so war er wohl für mich
verloren.
"Rih!" rief ich, indem ich meinem Rappen die Hand zwischen die
Ohren legte. Das brave Tier war längst nicht mehr bei vollen
Kräften; auf dieses Zeichen hin aber flog es über den Boden, als
ob es wochenlang ausgeruht habe. In zwei Minuten war ich dem
Bebbeh um zwanzig Pferdelängen nahe gekommen.
"Halt!" rief ich ihm zu.
Dieser Mann war sehr mutig. Statt weiter zu fliehen oder zu
halten, warf er sein Pferd auf den Häcksen herum und kam mir
entgegen. Im nächsten Augenblick mußten wir zusammenprallen.
Ich sah ihn die Lanze heben und griff zu dem leichten Stutzen. Da
nahm er sein Pferd um einige Zoll nur auf die Seite. Wir sausten
aneinander vorüber; die Spitze seines Speeres war auf meine
Brust gerichtet; ich parierte glücklich, nahm aber sofort mein
Pferd herum. Er hatte eine andere Richtung eingeschlagen und
suchte zu entkommen. Warum bediente er sich nicht seiner
Flinte? Auch war sein Pferd zu wenig schlecht, als daß ich es
unter ihm hätte erschießen mögen. Ich nahm den Lasso von der
Hüfte, befestigte das eine Ende desselben am Sattelknopfe und
legte dann den langen, unzerreißbaren Riemen in die Schlingen.
Er blickte sich um und sah mich näher kommen. Er hatte wohl
noch nie von einem