Dann kam der wirklich kritische Part: Er fügte sich selbst einen kleinen Schnitt am Finger zu und hinterließ ein deutliches Zeichen, in Blut geschrieben auf seinem Hals: einen Strich, als hätte er ihm die Kehle durchgeschnitten. Glücklicherweise wachte der Krieger nicht auf. Einen Moment lang überlegte er, warum er ihm nicht einfach tatsächlich den Hals aufschnitt, doch dann wären die anderen nur aufgebracht und hätten einen Grund für eine Fehde. Rayan dagegen ging es darum, Angst zu verbreiten. Den Stammesfürsten in seiner Arroganz zu treffen und ihm vor Augen zu führen, dass er keineswegs so unverwundbar war, wie er sich augenscheinlich fühlte.
Genauso lautlos, wie er gekommen war, glitt Rayan aus dem Zelt und machte sich in einem weiten Bogen auf den Weg zurück zu den Jungen und den Pferden.
Er konnte sehen, dass der morgens vor Sonnenaufgang einsetzende Wind seine Spuren, die er mit Yusuf zusammen auf dem Weg hinunter hinterlassen hatte, schon zu verwischen begann. In wenigen Minuten würde auch seine neue Spur verschwunden sein.
Als er aus nördlicher Richtung bei den Pferden ankam, begann es bereits zu dämmern. Wie in der Wüste üblich, kam der Sonnenaufgang abrupt, ein leichtes Flackern, mit prachtvollen Farben in Orange, Rot und Rosa und dann wurde es schnell hell. Nun mussten sie schleunigst verschwinden.
Mit Erschrecken stellte er fest, dass die beiden Jugendlichen nicht da waren, wo sie sein sollten. Die Pferde waren gesattelt und fertig, so wie er es ihnen gesagt hatte, aber wo waren sie hin?
Er schlich vorsichtig in westlicher Richtung wieder zurück auf die Oase zu.
Auf der Hügelkuppe stand eine der Wachen und hatte seine Pistole auf die beiden Jungen gerichtet.
Offenbar hielt er sie nicht für eine Bedrohung, sie schienen ihm zu jung. Trotzdem wollte er natürlich wissen, was sie hier zu suchen hatten. Halef, der Vorlautere der beiden, trat einen Schritt nach vorne: „Wir wollten nur Wasser aus der Oase holen, ehrlich! Allerdings haben wir uns nicht getraut, bei so vielen Kriegern … was ist denn hier los?“
Er babbelte noch ein wenig so weiter und lenkte damit den Mann ab. Dies gab Rayan die Gelegenheit sich in seinen Rücken zu schleichen. Dann schnellte er nach vorne, packte den Mann an den Haaren, riss seinen Kopf in den Nacken und schnitt ihm mit einer ruckartigen Bewegung die Kehle durch. Dann ließ er ihn los. Der Mann griff sich an den Hals, gab noch ein gurgelndes Geräusch von sich und sank dann tot in sich zusammen.
Die beiden Jungs hatten mit großen Augen zugesehen. „Krass“, sagte Halef. „Cool!“ der andere, dessen Name Tarek war. Rayan musste gegen seinen Willen grinsen und schüttelte den Kopf. Die heutige Jugend sollte einer verstehen!
„Jetzt aber schnell weg.“ Statt auf direktem Weg Richtung Zarifa zurückzukehren, ritten sie in nördlicher Richtung davon, denn in östlicher Richtung würde man sie bestimmt suchen.
Aber auch hier kam ihnen das Timing zugute: der Morgenwind verwischte ihre Spuren schnell, sodass eine Verfolgung unmöglich wurde.
Rayan wäre gerne noch geblieben, um zu sehen, ob seine Nachricht die Aufmerksamkeit erregte, die er sich erhoffte, doch er wollte sein Glück nicht strapazieren und vor allem auch das Leben seiner beiden Begleiter nicht gefährden.
Der Weg nach Zarifa war noch weit genug, gerade aufgrund des Umweges, den sie ritten und so wie er die Situation in der Oase einschätzte, würde die Armee spätestens in ein bis zwei Tagen zum Aufbruch bereit sein.
Er hoffte, dass die Vorbereitungen der Verteidigungsmaßnahmen in Zarifa so vorankamen, wie er sich das ausgemalt hatte, denn langsam begann ihnen die Zeit davon zu laufen.
2001 - Oase von Farah - Die Nachricht wird verstanden
Die „Nachricht“ schlug in der Oase ein wie eine Bombe. Eine Frau, die morgens Wasser für ihren Mann holen wollte, fand die Leiche.
Ihr erschreckter Schrei weckte das halbe Lager auf einmal, alle sprangen aus ihren Zelten und kamen zum Brunnen.
Yusuf, oder was von ihm übrig war, bot wirklich einen grausigen Anblick. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht und jeder wollte sehen, was los war.
Die Männer von Scheich Yuemnue entfernten schnell den Zettel an Yusufs Kleidung, aber das machte die Situation eher schlimmer als besser, denn Gerüchte breiteten sich aus und mit jedem Mal wurde die Geschichte weiter aufgebauscht.
Dann kam auch noch ein Aufschrei aus den Zelten der Banu Shams. Ahnungslos war der Anführer aufgrund des Tumults vor die Türe gegangen und seine Leute hatten ihn auf die grausige Markierung hingewiesen. Dann hatte er auch den Zettel gefunden. Er eilte prompt zu Scheich Yuemnue und verlangte eine Verdopplung seiner Entlohnung, was dieser nur zähneknirschend akzeptierte.
Rayan war es gelungen, ein tiefes Loch in das Vertrauen der alliierten Truppen zu schlagen.
Einer der beiden kleineren Fürsten stellte Yuemnue zur Rede, wieso die „leichte Beute“ in der Lage war, so problemlos gegen sie vorzugehen. Es entbrannte ein Streit, woraufhin der Fürst seine Männer abzog und mit allen 290 Kriegern in die Heimat zurückkehrte. So reduzierte sich das Heer von 2600 auf 2300 Mann. Trotzdem noch immer eine kampfstarke Truppe und große Übermacht, aber der Schaden, den das Bündnis genommen hatte, konnte nicht mehr gekittet werden.
Obwohl der Fürst der Banu Shams es nie zugeben würde und offen über die Dreistigkeit seiner Gegner lachte, träumte er doch nachts von einer Gestalt, die es problemlos geschafft hätte, ihm tatsächlich die Kehle durchzuschneiden. Und in der Tat begann er sich zu fragen, ob das Gold diesen Krieg wert war …
2014 - Oase von Tayma - Noch mehr Probleme
Rayan konnte es nicht fassen! Gerade hatte er ein Problem gelöst, schon stand er vor dem nächsten.
Eben hatte er sich von Jamila verabschiedet und wollte zusammen mit Jassim zurück zu ihrem Zelt gehen, da hatte ihn Hanif abgepasst und von den Ereignissen der Nacht berichtet.
Er fluchte lautstark, dann fügte er hinzu: „Kann man das Teufelsweib denn keine Sekunde aus den Augen lassen? Was hab ich eigentlich verbrochen, dass Allah mich so straft.“
Doch Hanif kannte seinen Herrn gut genug, zu erkennen, dass er zwar verärgert, aber nicht richtig wütend war, das sah anders aus. Umso überraschter war er, als Rayan plötzlich mit undurchdringlicher Miene sagte: „Besorg mir einen Lederriemen.“ Hanif blieb wie erstarrt stehen, wollte er etwa …?
„Na los!“ und leiser sagte er zu Hanif: „Und sag ihr, sie soll gefälligst mitspielen.“ Da verstand Hanif und eilte los.
Danach kam der Scheich lauthals fluchend am Zelt an, sodass die umliegenden Zeltbewohner erstaunt aufblickten. Hanif drückte ihm direkt vor dem Zelt einen Ledergürtel in die Hand und Rayan trat ein.
Im Inneren musste Carina nicht groß schauspielern, denn tatsächlich bekam sie es etwas mit der Angst zu tun, als Rayan wie ein Rachengel mit dem Riemen in der Hand auf sie zu trat.
Ein leiser Schrei entrang sich ihren Lippen, als er sie packte und auf den Boden warf. Dann pfiff das Leder und Carina schrie wieder auf, doch es war eigentlich mehr Instinkt gewesen, denn zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass sie nicht getroffen worden war.
Wieder pfiff der Gürtel und klatschte neben ihr auf den Boden und erneut musste sie nur halb schauspielern. So ging es einige Minuten lang, dann erst hielt Rayan inne. Er war außer Atem.
Sie schrie wieder leise überrascht auf, als er ihre Schulter packte und sie auf den Rücken umdrehte. Er brachte sein Gesicht ganz nahe vor ihres. „Damit wir uns nicht falsch verstehen – wenn Sie mich noch einmal dermaßen blamieren, dann schlage ich nicht mehr daneben!“ zischte er.
Damit war er auch schon wieder aus dem Zelt verschwunden.
Carina