Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021011
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Laufmasche war wirklich heftig. Sie sah auf die Uhr, zog die unterste rechte Schreibtischschublade auf und griff mechanisch in die hintere linke Ecke, wo ihr Vorrat an Strumpfhosen lagerte. Doch anstatt der glatten Plastikverpackung ertastete sie nur ein braunes Fläschchen, das sich als Feng Shui Raumspray namens Purification entpuppte. Auch ganz schön, aber nicht das, was sie gerade brauchte. Sie sprühte dreimal und legte das Spray zurück. Komisch. Wo verdammt war die Wolford? Sie hatte doch immer eine in Reserve, denn, so albern das auch erschien, diese Strümpfe waren wie eine Ritterrüstung, die sie vor den Unbillen des Lebens schützte. Stell dich nicht so an, hörte sie die tadelnde Stimme Hildes mit ihrem leichten Sing Sang. Das ist doch nur ein Stückerl Stoff.

      Du hast ja recht, Tante, murmelte Sue und ging in das Miniaturbadezimmer nebenan, um sich frisch zu machen. Das hatte sie auch bitter nötig, denn im Spiegel sah sie eine Frau, die keinen Tag jünger als 40 Jahre und gute 7 Monate aussah. Augenringe und eine speckig glänzende Haut, garniert mit hektischen Flecken. Sie nahm ihr Thermalwasserspray und konnte nicht aufhören, das kühle Wasser auf ihr Gesicht zu sprühen. Es tat einfach zu gut. Auch, dass die Tröpfchen über ihr Dekolleté auf dem Busen landeten. Sie hätte ewig unter der nebelfeinen Wasserdusche bleiben können, aber sie wollte sich im Verlag nicht als Wassernixe präsentieren. Widerwillig tupfte sie ihr Gesicht mit einem Papiertuch trocken, puderte sich kurz ab und gönnte sich eine Extraportion Rouge und eine neue Lage Lippenstift. Wenn sie jetzt nur noch die Strümpfe fände … Egal, sie würde unterwegs welche besorgen.

      Als sie in ihr Büro zurückging, horchte sie auf. Geräusche. Aus Terences Sprechzimmer. Sie runzelte die Stirn. Wieso war er hier? Hatte niemand Lust gehabt, zu chatten? Und wenn er schon früher fertig war, warum hatte er sich nicht auf dem Schulfest blicken lassen? Ärger stieg in ihr auf, der sich zu richtiger Wut steigerte, als sie ein Kichern hörte. In einer Tonlage, die ihr bekannt vorkam. Leise öffnete sie die Tür und musste an sich halten, um nicht loszuschreien.

      Gefangen in einer Schockstarre blieb Sue an der Türschwelle stehen. Terence saß wie gewohnt auf seinem Therapeutensessel, lediglich die Patientin hatte sich im Platz geirrt. Sie saß auf dem Schoß des Arztes. Ihres Gatten. Die Patientin war Sondra und beide hielten ein Glas Champagner in der Hand.

      „Was ist das denn?“, fragte Sue, deren Stimme sich überraschend schnell wieder eingefunden hatte. „Eine neue Form von Körperarbeit?“

      Es war erstaunlich, wie schnell menschliche Körper sich bewegen konnten, wenn genügend Stress auf sie einwirkte. Terence schoss nach oben, stellte sein Glas auf den Tisch und zog seine Hose glatt. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn das, was Sue nun sah, hätte der weite Leinenstoff sonst gnädig verdeckt. Terence hatte einen Ständer, der sich als sehr stressresistent erwies.

      Sondra schien keinen Stress zu haben, ein deutliches Zeichen dafür, welche Wichtigkeit sie der Ehefrau von Terence zudachte.

      „Entschuldigt vielmals“, brachte Sue irgendwie heraus, „ich wollte nicht stören.“

      „Komm, trink mit uns“, sagte Sondra, die sich aufreizend umdrehte.

      Terence hatte sich mittlerweile abgedreht und versuchte wohl verzweifelt, seinen Penis wieder in Schlafstellung zu bringen.

      „Worauf sollen wir denn trinken?“, fragte Sue.

      „Auf eine tolle Sendung“, plapperte Sondra weiter. „Top-Quote, Top-Lob. Kein Wunder, bei diesem Top-Mann.“

      Sue hatte gute Lust, diese geliftete Schlampe aufzuklären, wie Top dieser Mann im ehelichen Schlafzimmer war, doch Terence war schneller. „Komm Sue, trink mit uns.“

      Du liebe Güte, dachte Sue. Dieses Stiff-Upper-Lip-Dingsbums der oberen Klassen scheint immer noch zu funktionieren. Ob Weltkrieg, Ehebruch oder ein zusammengefallenes Soufflé: Diese Menschen konnte nichts erschüttern, mit Hilfe von Alkohol erst recht nicht. Dann fiel ihr Blick auf seinen Hals. Dort schlängelte sich etwas Hautfarbenes. Ihre Lieblingsstrümpfe.

      Sie wusste, dass es albern war, quasi unterstes Kindergartenniveau, aber sie empfand das als Verrat. Fast mehr als die respektable Erektion gerade eben. Die war wohl eher den Nachwirkungen von Sildenafil geschuldet als den tatsächlichen Reizen, die Sondra auf Terence ausübte (zumindest hatte er hartnäckig und, wie Sue bisher gedacht hatte, auf sehr überzeugende Weise behauptet, dass er Sondra als Frau nicht anziehend fand). Terence sah momentan wirklich gequält aus und hätte sein bestes Stück wahrscheinlich auch in ein Abflussrohr gesteckt, um Erleichterung zu bekommen, aber warum Sondra? Wahrscheinlich hatte dieses Miststück seine Not gespürt und ihn mit Entschlossenheit in die Falle gelockt. Aber Spielchen mit ihren teuren Strümpfen für 20 Pfund das Paar? Im Farbton „Naked Sun“, der so schwer zu bekommen war? Wo Terence genau wusste, dass Sue ohne diese Strümpfe nur ein halber Mensch war? Jedem Menschen stand ein Aberglaube zu, und den hatte Terence gefälligst zu respektieren und nicht mit solch einer Aktion zu besudeln. Sue bebte und zog mit spitzen Fingern den Nylonschlauch vom seinem Hals.

      „Sorry Terence, Eigenbedarf.“ Hocherhobenen Hauptes verließ sie das Zimmer.

      Das „Sue!“, das Terence ihr nachrief, klang etwas jämmerlich.

      Ihr Herzschlag stellte einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf, als sie in der kleinen Küche mit angewiderter Miene die Strumpfhose in den Mülleimer warf. Eigenbedarf? Nicht mehr. Sie würde sich einen anderen Strumpflieferanten suchen.

      Sue heulte vor Wut, als sie auf die Straße lief. Wie fein das hier alles war, wie seriös Mayfair sich gab. Und hinter den geschleckten Fassaden nur die gleichen Lügen und Betrügereien wie überall. Es widerte sie an.

      Wie konnte er ihr das nur antun? Hatte er keinen Respekt? Vor sich und vor ihr, seiner Frau? Selbst wenn sie ihm einige Punkte wegen der Nachwirkungen von Viagra gutschrieb, war er sich nicht zu schade gewesen, Sondra an sich ran zu lassen. Man kann immer Nein sagen. Wie oft sagte er das zu seinen Patienten? Oft, sehr oft. Bei ihm selbst war dieses Mantra offensichtlich wirkungslos. Er war einfach ein Schwein wie alle anderen Männer auch. Wie auf Kommando fing es in ihrer Scheidengegend wieder zu brennen an. Sue schimpfte leise vor sich hin. Einer Lady, die gerade zwei Möpse spazieren führte und sie missbilligend ansah, hätte sie am liebsten zugerufen: „Wissen Sie, was Ihr Mann gerade treibt?“.

      Was soll ich denn nur tun, dachte sie. Ihn rauswerfen? Dazu verspürte sie im Augenblick die größte Lust, aber andererseits – sie hatten es ja noch nicht getan. Lüg dir nicht in die eigene Tasche, sprach sofort die Stimme der Vernunft, die sich vom gegenwärtigen Gefühlschaos nicht beeindrucken ließ. Wärst du nicht gekommen, hätten sie es getan. Sue schüttelte den Kopf. Ich muss zur Ruhe kommen, dachte sie. Tränenblind lief sie durch die Straßen, verzweifelt wie eine Figur von Charles Dickens. Was der wohl zur Viagra-Problematik geschrieben hätte, fragte sie sich bitter.

      Wen kann ich anrufen, überlegte sie und ging im Kopf ihre Blackberry-Kontaktliste durch. Lulu? Die erholte sich wahrscheinlich noch von der letzten anstrengenden Nacht bei irgendeinem Konzert irgendeiner vielversprechenden Newcomer-Band. Tamara? Die lag gerade im Scheidungskrieg mit ihrem Mann und würde ihr sicher raten, gleich zum Anwalt zu gehen, was Sue im Moment für etwas verfrüht hielt. Helen? Mit der sprach sie immer nur über Banalitäten. Brian, der sich sicher alles anhören würde, ihr aber noch in zwei Jahren brühwarm jede Szene in Erinnerung rufen würde? Ellinor? Sue atmete pfeifend aus. Ellinor und Problem, einfach nicht kompatibel. Sophie? Da wäre sie an der richtigen Adresse. Sue musste automatisch grinsen. Sophie, die ihr seit Jahren in den Ohren lag, mehr Spaß zu haben. Spaß hieß für Sophie, Lover à la carte. Aber Sue war nicht Sophie, sie hatte noch nie etwas von Promiskuität gehalten. Es war vernichtend. Niemand kam in Frage. Wieder traten Tränen in ihre Augen. Was zum Teufel hatte sie die letzten Jahre getan, um keine Freundin zu haben, die sie zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen konnte? Jede noch so naive Romanfigur hatte doch eine, warum nicht sie?

      Mittlerweile taten ihre Füße weh – kein Wunder bei den hohen Absätzen –, und Sue sah sich um, wo sie gelandet war. In der Farm Street, vor einer Kirche, der Church of the Immaculate Conception, wie sie der Tafel am Eingang entnahm. Wenn das kein Zeichen war. Es war ein eher unscheinbarer Bau, eingebettet in einer unauffälligen Wohngegend, was Sue nur recht war. Mit Luxus,