Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021011
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Thema …“ Er ließ den Satz mit besorgtem Vibrato ausklingen.

      Leidiges Thema? Wovon redete dieser Mensch? Von brutalen Internetspielen? Mobbing? Politisch nicht korrekten, weil nicht von Jamie Oliver autorisierten Pausenbroten?

      „Da Ihr Gemahl so eine Kapazität auf diesem gewissen Gebiet ist …“ Wieder schien seine Stimme hilflos in der Luft zu hängen.

      Gemahl? Kapazität? Da kam nur ein Thema in Frage. Vielleicht sollte sie dem guten Mann auf die Sprünge helfen. „Meinen Sie Sexualtherapie?“

      Nun hatte Sue alle Zuhörer auf ihrer Seite. Die Schlange, die geduldig vor ihrem Stand wartete, schwieg wie aufs Stichwort und lauschte gebannt, was nun folgen würde. Shalbys geplatzte Äderchen schienen eine Nuance zuzulegen.

      „Äh, ja, im weitesten Sinne.“ Er räusperte sich. „Nein, es geht um den Aufklärungsunterricht, zu dem, wie Sie vielleicht wissen, wir als Bildungsinstitution verpflichtet sind. Vielleicht würde sich Ihr Gatte dazu bereit erklären? Es würde zum guten Ruf der Schule einen wesentlichen Beitrag leisten.“

      Selbstverständlich, dachte Sue. Terence als Aufklärungslehrer und Paulina als Model im Schulprospekt. Und alles umsonst. Von diesem vertrockneten Männlein konnte man lernen, wie man sich durchs Leben schnorrte. „Das ist eine entzückende Idee“, sagte sie. War ihre Nase schon so lang wie die von Pinocchio?

      „Finde ich klasse“, sagte Kerry Mulligan, eine andere Mutter, die Würstchen-Dienst hatte. Auch die Warteschlange gab ein kollektives Nicken von sich.

      „Bei meinem Ältesten in der Blue Gates Fields Infant School haben sie das mit Rollenspielen gemacht“, gab eine Frau zum Besten. „Die Jungs spielten das Sperma und mussten durch einen Tunnel krabbeln, um zur Gebärmutter zu gelangen. Das war dann ein Igluzelt. Unser John war ganz begeistert.“

      Sue setzte ein Lächeln auf. Terence würde ganz und gar nicht begeistert sein, den Aufklärer für zwölfjährige Spermiendarsteller zu spielen. Sein Interesse an Kindern erschöpfte sich in seinen eigenen zwei Exemplaren. Und auch da hielt es sich manchmal in Grenzen. Sie kannte also bereits die Antwort, setzte jedoch ein Lächeln auf und meinte in einem Tonfall, als könnte sie sich nichts Schöneres vorstellen: „Ich werde Ihre Anfrage weiterleiten.“

      „Ich wäre Ihnen sehr verbunden“, sagte Shalby, der sichtlich erleichtert wirkte.

      „Wer würde diesen Unterricht sonst machen?“, fragte Sue.

      Shalby wand sich. „Ich fürchte, das bliebe dann an mir hängen.“

      Das wird es auch, mein Lieber, dachte Sue. Denn Terence würde sich eher eine Kugel durch den Kopf jagen.

      „Das können wir den Kindern nicht antun“, flüsterte Kerry, als Shalby sich ein paar Meter entfernt hatte.

      „Ich wäre aber gerne dabei“, erwiderte Sue.

      „Lieber nicht“, meinte Kerry. „Ich glaube, bei mir würde die Lust für immer flöten gehen.“

      „Vielleicht schreckt das unsere Jungs ab, und sie warten noch ein bisschen, bis sie loslegen.“ Das meinte Sue wirklich ernst, denn Philipp und Sex? Diese beiden Dinge bekam sie beim besten Willen nicht zusammen.

      Ihr Handy klingelte. Sie wischte sich die Hände an einer Serviette sauber und zog das Gerät aus ihrer Handtasche, die sie unter dem Tisch deponiert hatte.

      „Susi?“

      „Papa! So eine Überraschung! Du, es ist gerade ganz schlecht, ich bin nämlich gerade am Würstl grillen –“

      „Ich mach es auch ganz kurz.“

      Ein flaues Gefühl durchströmte sie. Das klang nicht gut.

      „Die Hilde sie – sie ist tot.“

      Das flaue Gefühl machte etwas anderem Platz, das Sue nicht einordnen konnte. Sie hätte sich auf den heißen Grill legen können und hätte trotzdem gefroren. Sogar ihre Gedanken zitterten und schafften es nur noch zu einer einzigen Erkenntnis: Hilde ist tot. Wie in Trance wandte Sue sich ab, schaffte es irgendwie, der erschreckt dreinschauenden Kerry Mulligan ein „Kannst du mal übernehmen?“ zuzuflüstern und taumelte in das Schulgebäude. In der Garderobe ließ sie sich auf die Bank fallen.

      „Papa, bist du noch dran?“

      Franz Wallner räusperte sich. „Ja.“

      „Wie ist es passiert?“

      „Ein Unfall. Sie wollte über die Straße und da ist ein Auto gekommen.“ Seine Stimme verhallte voller Unglauben.

      Diese Scheißstraße um den See. Eng, kurvig, unübersichtlich.

      „War sie gleich …?“ Sie traute sich nicht, weiter zu sprechen.

      „Ja. Sie hat nicht leiden müssen. In drei Tagen ist die Beerdigung.“ Du kommst doch? schwang in seinem Tonfall mit.

      Sue schüttelte den Kopf. Das ging nicht. Sie hatte eine Beerdigung hinter sich, ihre Mutter vor 26 Jahren. Noch immer fing sie zu zittern an, wenn sie daran dachte. Und jetzt Hilde. Ihre Patentante und die beste Freundin ihrer Mutter, die versucht hatte, ihr den Verlust ein wenig zu ersetzen. Die ihre Hand gehalten hatte, fest und weich zugleich, als sie am Grab standen und beide weinten.

      „Ich schaffe das nicht, Papa“, brachte sie mit Mühe heraus.

      „Die Arbeit, ich weiß.“ Sein Verständnis brach ihr fast das Herz.

      „Ich wollte nur Bescheid geben. Weil es die Hilde ist. Sie war doch immer für Dich da.““ Er klang unendlich traurig.

      Sue hätte alles dafür gegeben, ihn in den Arm nehmen zu können. Und sich selbst auch von ihm halten zu lassen.

      Die Tür ging auf und Kerry Mulligan schaute herein. „Ist alles in Ordnung?“

      Sue sah auf, nickte, sprach ein „Papa, ich rufe dich später an, ja?“ in das Handy und beendete das Gespräch.

      „Schlechte Nachrichten?“

      Sue nickte. Als sie nicht weiter sprach, meinte Kerry: „Geh ruhig nach Hause, ich mache das schon.“

      Sue schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Ich muss jetzt was tun.“

      „Wenn du meinst.“ Kerrys Blick blieb skeptisch.

      „Ich meine.“ Das war auch immer Hildes Motto gewesen. Weitermachen. Auch wenn es nur so etwas Banales wie Würstchen grillen war.

      Es half tatsächlich. Auch wenn ihr zwischen Senf, Ketchup und Currypulver immer wieder Hilde in den Sinn kam. Und ihre Mutter. Sie erinnerte sich an ein Foto, das die beiden als junge Mädchen lachend in Rom zeigte. Mit einer Jugendgruppe waren sie dorthin gereist und hatten sogar an einer Papstaudienz teilgenommen. Wie stolz waren die beiden immer gewesen, wenn sie davon erzählt hatten! Sue tat es jetzt noch leid, dass sie sich in ihrer pubertären Arroganz überhaupt nicht dafür interessiert hatte. Ihr Handy piepte.

      Es war eine SMS von Peter Beardsley aus dem Verlag. Er wollte wissen, ob es bei dem Termin um 17 Uhr blieb. Sue seufzte. Es ging um Terences Lesereise. Das war ein wichtiges Treffen, denn man musste langfristig planen, um bei den großen Buchhandlungen berücksichtigt zu werden. Weitermachen. Das war Hildes Mantra. Natürlich blieb es bei dem Termin. Außerdem hatte sie ihrem Vater gesagt, sie hätte viel Arbeit und sie wollte nicht gelogen haben. Wie in Trance simste sie zurück. Sie musste Terence anrufen. Sie wählte seine Nummer, erreichte aber nur seine Mailbox. Sie verzichtete auf eine Nachricht. Der Chat nach der Sendung. Klar, der war wichtig. Dieser ganze Kram war so wahnsinnig wichtig. Resigniert starrte sie ihr Handy an.

      „Eine Wurst mit viel Curry, bitte“, piepste es vor ihr. Ein süßer Rothaariger mit einem Sommersprossenteppich über der Nase und den Wangen sah sie treuherzig aus blaugrünen Augen an.

      Eine drängende Sehnsucht nach ihrem Sohn erfüllte sie. Sie wollte seinen überhitzten Körper spüren, seine Lebendigkeit und Kraft. Sie gab sich besondere Mühe mit der Bestellung