„Okay, mal sehen, wie lange das hier dauert“, meinte Terence schließlich.
„Fertig mit der Familienkonferenz?“ Sondra stand in der offenen Tür. „Wir müssen.“
Wow, dachte Sue, die Königin hatte gesprochen. Sie musste kichern, als sie sich Sondra mit dem Habit und dem ganzen Schmuck vorstellte, wie die Queen ihn bei offiziellen Anlässen zu tragen pflegte. Da würde sie endlich einmal so alt aussehen, wie sie tatsächlich war.
„Ist etwas mit Ihnen, Sue?“ Sondra drehte sich um. Ihr Tonfall war jedoch nicht interessiert, sondern rügend.
Klar ist etwas mit mir, dachte Sue. Ich finde dich zum Schreien komisch mit deinem dicken Makeup, der dicken Kette, die das faltige Dekolleté verdecken sollten, und dem festen Griff, mit dem du meinen, und ich betone: meinen! Mann festhältst. „Alles bestens“, flötete sie gut gelaunt. Sie liebte diese Tabletten!
Sichtbar erleichtert und mit einem kaum merklichen Hochziehen der Augenbrauen wandte Sondra sich wieder dem einzig wichtigen Menschen außer ihr in dieser Runde zu.
„Terence Darling, solltest du es schaffen, Wörter wie Smegma, Analsex und Fisting nicht zu benutzen, gebe ich einen aus.“
Terence lachte. „Du bist ja richtig nervös. Smegma, Smegma, Smeg…“
„Es ist gut, Terence! Ich hatte gedacht, du wärst schon etwas älter als fünf“, herrschte sie ihn an. Die Fortsetzung ihrer Antwort wurde durch Sues Handy unterbrochen.
Wieder zog Sondra die Augenbrauen hoch, diesmal etwas deutlicher.
„Hi Mom. Alles klar bei euch?“
Sue wurde sofort misstrauisch. Sie kannte die weichgespülte Stimme ihrer Tochter. Ihr folgte in der Regel ein Wunsch, der unerfreuliche Diskussionen nach sich zog. Sie brachte es jedoch nicht übers Herz, eine Antwort wie „Was willst du?“ ins Handy zu retournieren. Stattdessen gab es brisante Informationen aus dem Backstage-Bereich.
„Dein Vater ist fertig geschminkt und schreitet nun ins Studio.“
„Hat er wieder zu viel Bräunungspuder drauf?“ Amy kicherte.
„Wenig ist es nicht. Auf die Straße würde ich ihn so nicht lassen“, meinte Sue. „Aber das Studiolicht schluckt gnädigerweise fast alles.“
„Sag Daddy, ich drücke ihm die Daumen.“
„Mach ich. Aber warum rufst du an?“, fragte Sue. „Sicher nicht nur, um ihm alles Gute zu wünschen.“
Einige Sekunden lang blieb es still in der Funkverbindung zwischen den Studios und dem Urquhart’schen Zuhause in Chelsea.
„Amy?“, fragte Sue nach. Sie spürte förmlich, wie die optimale Strategie der Gesprächsführung überlegt wurde.
„Ma, Lilly hat mich eingeladen. Sie hat heute Geburtstag. Sie wird 16.“
Das klang nicht gut. Irgendwie war alles einfacher gewesen, als die Jahreszahlen noch einstellig waren.
„Sie macht also eine Party?“
„Ja. Im Funky Crow.“ Amy hauchte nur noch.
Das Funky Crow war der angesagteste Club der Jeunesse dorée Londons. Natürlich war Lilly als Tochter des Sekretärs des Protokollchefs des Herzogs von Essex eines der angesagtesten Girls dieser Gruppe, seltsamerweise jedoch ein bodenständiges und richtig nettes Mädchen.
„Und du willst dort hin?“ Sue war nicht der Meinung, dass das Funky Crow der richtige Aufenthaltsort für ein 15-jähriges Mädchen war. Immer wieder war in der Zeitung von Trinkexzessen zu lesen. Sie war sich auch sicher, dass die Einladung seit mindestens vier Wochen gut versteckt im Schulspind lag. Da Amy wohl geahnt hatte, dass es heftigste Diskussionen um den Veranstaltungsort geben würde, hatte sie sich für die Überrumpelungstaktik entschieden. Kluges Mädchen, dachte Sue. Ich hätte es nicht anders gemacht.
„Bitte Mama. Alle gehen!“
„Sie hat alle eingeladen?“, fragte Sue scherzhaft. „Das sieht Lilly gar nicht ähnlich.“
„Alle, die ich mag. Bitte, Mama, bitte.“
Der Trupp war inzwischen vor der Studiotür angelangt.
„Was ist denn?“, fragte Terence, der kurz vor einem Auftritt gerne die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Ehefrau beanspruchte.
„Amy will auf eine Party.“
„Lass sie doch“, war seine knappe Antwort.
„Die Party ist im Funky Crow.“
„Die Kindheit scheint langsam vorbei zu sein“, warf Sondra ein. „Unglaublich, wie schnell die Kleinen groß werden.“
„Sie darf also?“ Sue wusste, wie Terences Antwort ausfallen würde.
„Klar.“
Sue nahm ihr Handy wieder zur Hand. „Gut, Amy. Aber um halb zwölf bist du zu Hause.“
„Mom!“
„Du kannst den Abend auch daheim verbringen.“
Kurzes Schnauben. „Danke! Servus!“ Aufgelegt.
„Sie lässt dich grüßen“, schwindelte Sue.
„Terence, ich unterbreche euch ja nur ungern, aber …“, meldete Sondra sich wieder zu Wort.
„Wieso?“ fragte Terence unschuldig. „Von mir aus können wir.“ Er straffte die Schultern und hielt seine Hand hoch. Das war ihr Ritual: Hand abklatschen und an den Ohren zupfen.
„Toi, toi, toi und bis heute Abend“, sagte Sue.
„Danke, meine Liebe“, bemerkte Sondra, die alles wieder auf sich zu beziehen schien. „Und viel Spaß beim Schulfest!“ Sie legte so viel Überheblichkeit in diesen Satz, dass Sue fast schlecht wurde.
„Ein bisschen kann ich euch beide noch genießen“, zwitscherte Sue zurück. Du liebe Güte, diese Pillen waren der Hammer. Diese Frau hatte plötzlich jeden Schrecken verloren. Sue sah sie das erste Mal als das, was sie (wahrscheinlich) war. (So ganz traute sie der chemischen Reaktion in ihrem Körper nicht. Vielleicht halluzinierte sie auch nur.) Dennoch war Sondra auf einmal nur eine bedauernswerte mittelalte Frau, die wahrscheinlich jeden Tag von früh bis spät um ihre Pfründe kämpfen musste. Denn, und das war ja wohl klar, eine zwanzig Jahre Jüngere, deren Schminkzeit um die Hälfte kürzer war, tat sich einfach leichter. Auch auf der Besetzungscouch. Sue kicherte. Dennoch, ihr Mitleid hielt sich in Grenzen. Sie war froh, dass sie Sondra an diesem Tag nur noch von hinten sehen würde. „Wenn ich ein zu braun gebranntes Würstchen auf dem Grill habe, denke ich an dich.“
Der Kameramann drehte sich mit grimmiger Miene zu ihr um. Da hatte sie wohl laut gedacht. Sie lächelte ihn an. „Nicht an Sie.“ Sie deutete auf seinen Körper, dessen prägnantester Teil ein Stück Bauch war, das käsig weiß zwischen Jeans und T-Shirt herausquoll. „Passt ja auch gar nicht“, fügte sie noch schnell hinzu. Was überflüssig war, denn der Bauchträger hatte sich schon wieder abgewandt und konzentrierte sich auf Sondra und Terence, die wie Gladiatoren unter dem Beifall des Publikums in die Arena einmarschierten. Sue lächelte. Terence sah fantastisch aus, als wäre er für die Bühne gemacht. Unsinn, dachte sie. Er sah immer gut aus, selbst beim Aufwachen. Darum beneidete sie ihn, obwohl sie ihr eigenes Äußeres ganz passabel fand. An guten Tagen sogar mehr als das. Aber wann waren schon mal gute Tage? Dummerweise sah ihr jeder sofort an, wenn sie sich nicht wohl fühlte, und manchmal, und das war besonders gemein, sah sie sogar bescheiden aus, wenn es ihr gut ging. Aber Terence … Hatte das doch etwas mit den Oberschichts-Genen zu tun? Offenbar wirkte sich Jahrhunderte langes Nichtstun auf einem feudalen Landsitz entspannend