Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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Endfaden sie befestigte, und schoß den Pfeil zur

       Nachbarburg hinüber, da waren durch den Faden die

       Burgen wieder verbunden, und an dem Faden lief

       noch eine dünnere Schnur mit einem Vorhangring,

       daran ließen sich Brieflein und Liebespfänder hinund

       herziehen in der Dämmerstunde; den dünnen

       Faden, dessen Farbe nicht ganz hell und nicht ganz

       dunkel war, gewahrte man kaum oben und von unten

       gar nicht. Als die Herzen beider Liebenden sich nun

       verständigt hatten, heirateten sie einander und bauten,

       wie die Sage meldet, die Brücke noch einmal neu, und

       dann ist sie wieder verfallen und nimmer wieder aufgebaut

       worden, und die Burgen sind verfallen, und

       Freundschaft und Liebe wohnen dort nicht mehr, ja

       Burg Nuwenahr ist bis auf seine Ruinen aus der Gegenwart

       hinweggeschwunden.

       102. Die Gefangenen auf Altenahr

       Wenn des jüngern Schlosses Nuwenahr (Neuenahr)

       bauliche Überreste vom Zahne der Zeit so ganz zermalmt

       sind, daß keine Spur mehr von ihnen zu erblikken

       ist, so ragt dagegen um so stattlicher die stolze

       Trümmer der Burg Altenahr auf felsreichem Kegelgipfel

       über dem Ort gleichen Namens in die Lüfte.

       Mächtige Gaugrafen beherrschten von ihr aus das

       Land, und einer derselben, Graf Friedrich von Hochstaden-

       Ahre, dessen Bruder Konrad von Hochstaden

       als Erzbischof in Köln gebot, schenkte die ganze

       Grafschaft mit den beiden Stammschlössern Ahr und

       Hochstaden dem Erzstift Köln, und das Erzstift wußte

       die starken Burgen wohl zu nutzen. Als einst eine Anzahl

       von Rat und Bürgerschaft Kölns sich gegen den

       Bischofstuhl erhob, wurden eilf Patrizier, die Führer

       der gegenbischöflichen Partei, gefangengenommen

       und auf Altenahr in sichern Gewahrsam gebracht. Da

       schmachteten sie hart und lange, und ihr einziger Zeitund

       Leidvertreib war ein Mäuselein, das sie kirre gemacht

       hatten, und das ohne Scheu zu ihnen kam, doch

       immer schnell, wenn es Geräusch vernahm, in sein

       Loch zurückschlüpfte. Eines Tages beobachteten sie

       das Mäuslein auch, wie es munter sich sehen ließ und

       Brosamen knusperte – als plötzlich draußen Schlüssel

       klirrten, da fuhr es schnell in sein Loch, und da hörte

       einer, daß es in dem Loche auch klirrte, und begann

       nun nachzusuchen, als es wieder stille und sicher geworden

       war. Da fand sich in das Mauseloch verborgen

       eine Feile und ein Meißel, schon etwas rostig,

       aber doch noch brauchbar, so gut, daß bald genug die

       Gefangenen ihre Ketten abgefeilt und ihre Bande gesprengt

       hatten und die Gitterstäbe ihres Kerkerfensters

       durchschnitten. Darauf zerschnitten die Gefangenen

       ihre Gewande und machten Seile daraus und

       knüpften diese fest aneinander und stiegen durch das

       Fenster allzumal nieder, kletterten den steilen Ziegenpfad

       herab und entkamen glücklich, niemand konnte

       fassen und begreifen, wie solche Flucht möglich geworden.

       103. Vom Siebengebürg

       Von sieben Burgen, die auf nachbarlichen Berghöhen

       einander nahe lagen, hat das Siebengebürge am Rhein

       seinen Namen, und nicht von einem Gebirge, nicht

       Mons Sibenus, wie die Alten im barbarischen Latein

       es nannten, sollte es geheißen haben, sondern Heptapyrgos,

       obschon diese Berggruppe auch den Namen

       eines kleinen Gebirges verdient. Die Namen dieser

       Burgtürme waren: Drachenfels, Wolkenburg, Löwenburg,

       Dadenberg, Blankenberg, Mahlberg und Stromberg.

       Die Niederländer hatten den Glauben, daß in

       dem innern Bergesschoß des Siebengebürgs der Fegefeuersitz

       sei, wie die Thüringer vom Hörseelberg

       glaubten, wohinein auch die armen Seelen gebannt

       würden, die das Jüngste Gericht den Böcken zugesellen

       müsse. Die hatten also schon etwas voraus, nämlich

       ihr Urteil. Bisweilen sieht man zwischen den

       Burgen und Bergen, deren viel mehr als nur sieben

       sind, eine und die andere Seele leibhaftig spuken

       gehn; da tappt sich mühselig ein Gespenst mit beschwerten

       Füßen durchs Klippengestein, das ist der

       Geist eines Wucherers aus Köln, hierher verwünscht,

       mit bleiernen Schuhen umzuwandeln bis zum Jüngsten

       Tag. Dort flackert ein rasches großes Licht heran,

       ein Feuermann, rast- und ruhelos; es ist der Geist

       eines weiland sehr feurigen Staatsministers aus Bonn,

       der feurig und eifrig bemüht war, das Volk zu schinden

       und mit ekelhaftem Geiz Schätze für sich zu häufen,

       und war ihm ganz einerlei, ob die ganze Welt zugrunde

       ging, wenn er nur hatte. Ein gemütlicher

       Bauer traf den Minister-Feuermann einstens bei Königswinter

       an, erkannte in ihm das Glied aus der berühmten

       Ministerfamilie Kümmelspalter und rief ihn

       an: Warte he mant en bisken! Ick will mir mant an

       ihm mine Piepe anzonden! – Su – hebbe jou Dank! –

       Da pustete und prustete der Feuermann und schnob

       einen ganzen Regen von Funken um sich her, mußte

       aber doch stillhalten und dem Bauer die Pfeife an sich

       anzünden lassen, und als der Bauer obigen Dank gesagt

       hatte, fügte er noch hinzu: He is mant doch ein

       schlechter Kerel geweten! Dat bisken Brennen schadt

       ihm nich de Lus! – Dort fährt viermal im Jahre auf

       einem Wagen mit Feuerrädern ein verdammter Bürgermeister

       Kölns, der seine Stadt an den Feind verriet,

       lichterloh brennend umher. Wenn die Talschluchten

       Nebel dampfen aus dem Siebengebürg und Wolken

       schwer um die Gipfel schweben, so sind das die

       ganzen Scharen armer Seelen, die von Zeit zu Zeit aus

       dem Bergesschoß, wie die Züchtlinge aus einem Philanthropin,

       herausdürfen, um der frischen Luft zu genießen.

       Sie müssen sich aber immer