vorüber zur Bergeshöhe.
71. Die Eppsteiner
Es hauste vordessen in den wirren Felsenschluchten
und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein
ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und
wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen
als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein
Fräulein von Falkenstein, welches ein edler Ritter
minnte, hinwegzuführen. Der Ritter, welcher Eppo
hieß, folgte eilend dem Riesen nach, mit ihm zu
kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte
ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte.
Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme, ihn
nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand
und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des
Knappen. Der Riese achtete sich keinen Deut um den
Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen
Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete
danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist
war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen
Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein
Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber
wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und da er
diesen daherkommen sah, so gebrauchte er sich seiner
Zauberkunst und Macht und verwandelte Eppos
Dienstmann in einen Felsen, meinte so, seinen Feind
für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu
haben, und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des
Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte
der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig,
konnt' es aber nicht zerreißen, und nun kam
der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten,
hervor, schleppte den Riesen auf einen hohen Felsen
und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene
des Riesen aus ihrem Bann befreite und sie
zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann
konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch
starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen und
heißt der Mannstein. Darauf erbaute Ritter Eppo eine
neue Burg auf den Fels, von welchem herab er den
Riesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu
den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen
Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet.
Dem Ritter aber und seiner Gemahlin entsproßte
ein gewaltig Geschlecht mannlicher Helden
und großer Kirchenfürsten; die Ritter empfingen aus
des Kaisers Hand das Waldbotenamt am obern Taunus
zu Lehen, und fünf Eppsteiner behaupteten nach
und nach den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, drei
davon hießen Siegfried, einer Werner und einer Gerhard.
Dieser Gerhard, der zweite des Namens in der
Mainzer Bischofreihe, war gar ein fester trutziglicher
Herr, und wenn ein deutscher Kaiser anders wollte
wie er, so schlug er an seine Tasche und rief: Potz
Velten! Wenn ein Kaiser nicht will, wie ich will, so
hab' ich schon einen andern Kaiser in der Tasche. –
Einstmals, als auch ein Kaiser ihm nicht zu Willen
war, ergriff er zornig sein Jagdhorn und schrie: Daß
den Kaiser Gottes Marter schände! So mir's beliebt,
so blase ich aus diesem Horne einen andern Kaiser
heraus! – Er sprach auch solche Worte keineswegs in
den Wind, er war es, der dem Grafen Adolf zur Kaiserkrone
verhalf und ihm auch wieder davon half,
doch hat es ihm später nicht geglückt, und fand Ursache
genug, seine Keckheit zu bereuen.
72. Blutlinde
In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer
Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht,
daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet
habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner
liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling
und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der
Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen
Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets
verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein
den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter
und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte
heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den
Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter
jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn
durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden,
sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging
in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren
erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug
Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange
die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß
Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein
Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand
mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs
die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke,
und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.
Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof,
von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn
des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht
nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein
Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein
Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge
Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens
und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann
ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter
starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal,
einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch
einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt,
völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit
Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der