Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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62. Das goldne Mainz

       Mainz, die uralte Römerstadt nahe dem Zusammenströmen

       des Rhein und Main, von welch letzterm sie

       den Namen hat, wurde auch, gleich der aurea Roma,

       golden genannt, und eine angebaute Berghöhe über

       der Stadt empfing den Namen die goldne Luft. Viele

       haltlose Fabeln sind aufgebracht worden, wovon der

       Name der Stadt herzuleiten, während doch nichts

       näher lag als der Nachbarstrom. Die Römer gründeten

       dort Werke, deren Trümmer noch sichtbar sind, deren

       Name noch forthallt. Ein noch dauerbareres Werk,

       das Christentum, in Mainz eingeführt und befestigt,

       führte die Stadt zu hoher Blüte. Winfried Bonifazius

       wurde der erste Erzbischof zu Mainz, durch ihn und

       seinen mächtigen Einfluß ward der Grund gelegt, daß

       der Erzbischofsstuhl in dieser Stadt der bedeutendste

       in Deutschland wurde, und daß der Erzbischof von

       Mainz später zugleich des Reiches Kurfürst, der erste

       Mann nach dem Kaiser war. Doch soll Winfried nicht

       allezeit die Pracht und Macht gutgeheißen haben, die

       in der Kirche immer höher stieg, sondern vielmehr gesagt

       und geklagt haben: Vordessen waren die Priester

       golden und bedienten sich hölzerner Kelche, in unsern

       Zeiten aber bedienen sich hölzerne Priester goldner

       Kelche – und Spruch wie Sache vererbten sich so fort

       durch alle kommenden Zeiten, nicht nur im goldnen

       Mainz.

       63. Hatto, Heriger und Willigis

       Drei Namen der ältesten Erzbischöfe von Mainz hat

       die Sage des Volkes insonderheit von Mund zu Mund

       bis auf die späte Nachwelt getragen.

       Hatto war gar ein strenger Herr, zornigen, treulosen

       Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu

       den Menschen. Er war es, der durch schändlichen

       Verrat den edlen Grafen Adalbert von Babenberg in

       das Lager König Ludwigs IV. lockte, welcher denselben

       enthaupten ließ. Wenn Bischof Hatto eine Rede

       bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im

       Munde geführt haben: Sollen mich die Mäuse fressen,

       wenn's nicht wahr ist. Nun trug sich's zu, daß unter

       Hattos Regierung eine große Not und Teurung entstand,

       daß die Leute Hunde und Katzen aßen und

       viele Hungers starben. Und da war des Bettelns und

       Gabenheischens in dem Bischofhof zu Mainz kein

       Ende, und meinte Hatto, es sei am besten, das arme

       Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht

       mehr, und er bliebe ungeplagt. Ließ daher alle Armen

       der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten,

       als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen,

       und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor

       verschließen und die Scheune an allen vier

       Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten gar ein

       jämmerliches Geschrei erhoben, so sagte der grausame

       Bischof: Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen?

       Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben, sollen mich

       die Mäuse fressen, wenn's nicht wahr ist! – Und

       siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der

       Scheune hervor und an den Bischof hinan, die bissen

       ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich

       zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum,

       fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher

       und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt

       und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn

       mit wütenden Bissen – da erkannte Hatto schaudernd

       das Gericht Gottes. Nun stand bei Bingen im Rheinstrom

       eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof,

       dort sicher zu sein, denn über das Wasser, meinte er,

       würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in

       das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da

       half kein Totschlagen, denn sie verkrochen sich, und

       ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen

       mit dem Schiff in die Wette nach der Turminsel bei

       Bingen. Auf einem großen Rheinfloß waren nicht so

       viele Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos

       Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn

       an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem

       Leibe, und er litt brennende Höllenschmerzen von den

       zahllosen Bissen und verfluchte seine Seele zu allen

       Teufeln. Und die Teufel ließen nicht allzu lange auf

       sich warten, sie kamen dahergefahren im lichterlohen

       Brande und nahmen seine Seele und, was vom Leib

       die Mäuse übriggelassen hatten, und warfen es in den

       Schlund des Ätna. Und wo an einer Wand oder auf

       einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen

       war, den nagten die Mäuse ab, selbst sein Gedächtnis

       zu vertilgen. Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg

       im Rhein bei Bingen der Mäuseturm. – Eine

       ähnliche Sage von einem Mäuseturm geht auch in der

       Provinz Posen, der steht im Goplosee.

       Ein frommerer Mann war Erzbischof Heriger, auch

       streng, aber gerecht. Einst kam gen Mainz ein

       Mensch, der rühmte sich großer Dinge. Himmel und

       Hölle habe er durchwandert, und im Paradiese habe er

       gesessen. Da nun Heriger nach der Hölle Gelegenheit

       fragte, so antwortete der falsche Prophet, die Hölle

       liege rings von dichten undurchdringlichen Wäldern

       umgeben, des lachte Heriger und sprach: In diesen

       Wäldern mag wohl gute Saumast gefunden werden.

       Aber sage an, was du im Himmel gesehen? – Im Himmel,

       antwortete der Sohn des Vaters der Lügen, da

       habe ich Christus sitzen sehen an großer Tafel, Sankt

       Johannes war sein Mundschenk – und Christus bewirtete

       alle Heiligen mit köstlichem Wein, und Sankt Petrus

       nahm sich des Kochens an und des Bratens, da

       gab es Essen in Fülle. Darauf sagte Bischof Heriger:

       Bessern Schenken als Sankt Johannes konnte sich