Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
Скачать книгу
Namen sie singend nannte, bewohnt werden, und

       drunten das Tal werde von tätigem Volke wimmeln.

       Eines Tages stieg Jetta zum Fuße des Geißberges

       hinab, nach Schlierbach zu, wo ein Brunnen quoll,

       den sie gern besuchte, da lag eine Wölfin am Brunnen,

       die säugte Junge, zerriß und fraß die Jetta. Der

       Brunnen heißt noch bis heute der Wolfsbrunnen. Das

       Schloß auf dem Jettenbühel, die alte Pfalz, wurde am

       Tage St. Marci 1536 durch einen Blitzstrahl entzün-

       det, wobei ein Pulverfaß in Brand geriet und einen

       Teil des Schlosses in die Luft sprengte. Kurfürst

       Friedrich I. von der Pfalz erbaute, da er in des Kaisers

       Acht gefallen war, einen starken und festen Turm und

       nannte den Turm Trutz-Kaiser.

       Gegenüber dem Kaiserstuhl liegt jenseit des Nekkar

       ein Berg, der heißt Allerheiligen- oder Heiligenberg,

       darinnen sind viele Höhlengänge und unterirdische

       Klüfte. Schon zu Römerzeiten soll auf dem

       Berge ein Tempel gestanden haben, ein Pantheon der

       Heiden, und die unterirdischen Gänge sollen einem

       Orakel gedient haben. Sie werden noch die Heidenlöcher

       genannt und von Erdzwergen bewohnt. Von dem

       Heidentempel aber hat der Heiligenberg keinesweges

       seinen Namen, sondern von Kirchen und Klöstern, die

       man in späterer Zeit dahinauf erbaute. Denn als die

       Christenreligion in diese Gegenden drang, da schenkte

       der deutsche König Ludwig III. (regierte 877-882)

       dem nachbarlichen Kloster Lorsch den Berg zum Eigentum,

       da wurde dem heiligen Michael zu Ehren

       eine Kirche hinaufgebaut, allein sie ging wieder ein,

       zwei Benediktinerklöster, eins nach dem andern, und

       gingen wieder ein, eine Kirche dem heiligen Stephan,

       ging ein, und noch eine Kirche dem heiligen Laurentius,

       und ging wieder ein. Es war, als ob die alten Heidengötter

       auf ihrem Berge unsichtbaren gewaltigen

       Kampf führten gegen das Christentum und es auf

       ihrem Sitz nicht duldeten, und jetzt sind die heiligen

       Stätten wüst und öde, und nur die Heidenlöcher sind

       noch vorhanden.

       52. St. Katharinens Handschuh

       Gar eine schöne Schildsage hatten die edlen Herren

       von Handschuchsheim, deren letzter im Jahre 1600

       des Todes verblich, indem ihn Friedrich von Hirschhorn

       zu Heidelberg auf offnem Markt zur Nachtzeit

       auf den Tod verwundet hatte, und mit deren erstem

       sich das Folgende soll begeben haben. Er war ein

       frommer junger Ritter, der ging fleißig zur Kirche,

       und es geschah, daß er im Gebet vor dem Altare der

       heiligen Jungfrau und Märtyrerin Katharina einstmals

       entschlummerte. Da sah er drei überirdisch schöne

       Jungfrauen vor sich stehen, doch die mittelste war die

       schönste von den dreien, die sprach: Wir kommen,

       dich anzuschauen, und deine Augen sind geschlossen;

       siehe uns an, und willst du dir ein Gemahl erkiesen,

       so wähle eine von uns dreien. Da sah der junge Rittersmann

       an der Palme und am Zackenrad, welches

       Flammen umweberten, daß St. Katharina selbst es

       war, die zu ihm gesprochen, und gelobte sich ihr mit

       allen Freuden. Sie aber setzte ihm einen Rosenkranz

       auf das Haupt, des Rosen dufteten wie Blüten des

       himmlischen Paradieses, und verschwand. Der Ritter,

       als er von seinem Traumgesicht erwachte, fand wirklich

       den Rosenkranz und bewahrte ihn heilig und

       fand, daß dessen Rosen nicht welkten. Nun drangen

       aber seine Verwandten in ihn, daß er sich vermähle,

       hatten ihm auch schon eine sehr tugendsame adelige

       Jungfrau auserkoren, und er konnte sich der Heirat

       nicht entschlagen, fuhr aber doch fort, seiner himmlischen

       Verlobten in Andacht zu dienen. Seine Hausfrau

       nahm indes bald wahr, daß der junge Gemahl sie

       nicht selten verließ, absonderlich des Morgens, wo er

       nach der Kirche ging, und argwöhnte Schlimmes,

       fragte auch ihre Kammermagd, wohin ihr Herr wohl

       immer gehe. Diese nährte nur den Verdacht der Frau,

       indem sie sprach, es dünke ihr, daß er zu des Pfaffen

       Schwester schleiche. Da ward die Frau unsäglich betrübt

       und weinte sehr, und als ihr Gemahl sie fragte,

       warum sie weine, so sagte sie ihm ihren Verdacht und

       ihren Kummer an. – Du bist töricht, antwortete ihr der

       Ritter, die, so ich inniglich minne, ist des Pfaffen

       Schwester nicht, ist eine viel Höhere und Schönere –

       und wandte sich hinweg von seiner Frau. Dieser brach

       solche Antwort fast das Herz, zumal sie gesegneten

       Leibes sich befand, und in Unsinnigkeit der Eifersucht

       ergriff sie ein Messer und stach sich's in den

       Hals.

       Da der Ritter nach Hause kam vom Gebet und das

       Unheil sah, erschrak er, daß ihm das Herz kalt ward,

       und fiel in Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam,

       raufte er sein Haar und klagte aller Schuld sich an und

       rief unter tausend Tränen seine Heilige um Schutz und

       Beistand. Da erschien ihm die heilige Katharine abermals

       sichtbarlich mit ihren beiden Jungfrauen und

       sprach: Auf dein Gebet und meine Fürbitte ist deine

       Frau wieder lebendig geworden und hat ein Töchterlein

       geboren! – und neigte sich über ihn und wischte

       mit ihrer Hand über seine tränenquillenden Augen,

       daß die Hand ganz davon überfeuchtet wurde, und

       siehe, da ward aus dem Tränennaß ein Handschuh, so

       weiß und zart wie das Häutchen im Ei, und St. Katharina

       streifte ihn sanft ab und entschwand mit ihren

       Begleiterinnen, und der Ritter fand den Handschuh in

       seiner Hand liegen. Indem so kam ein Bote, der ihn

       suchte, und rief: Herr! dein Gemahl lebt und hat ein

       Töchterlein geboren. – Da ging der Ritter freudenvoll

       heim, umarmte und küßte Weib und Kind,