Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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das dem Wormsgau

       entstammte, ist ein uraltes; es leitete die Wurzeln

       seiner mythischen Stammbäume tief hinab in die Zeitenfrühe,

       bis zur Wurzel Jesse. Ein Dalberg soll,

       nachdem Jerusalem durch Titus zerstört worden, mit

       der zweiundzwanzigsten Legion römischer Krieger

       nach Worms gekommen sein und dort den neuen

       Stamm begründet haben, auch Hauptmann der Stadt

       Worms geworden sein. Er brachte viele Juden als

       Sklaven mit und verkaufte ihrer dreißig um einen Silberling

       an die Stadt Worms. Im Mittelalter wurde den

       Dalbergen der Ehrentitel die Kämmerer von Worms,

       und sie wachten mit Ernst über ihres Geschlechts uralten

       Stamm. Einst wollte eine Dalbergin hinüber

       zum Stift auf Unser-Lieben-Frauen-Berge nahe bei

       Worms fahren, allwo der übervortreffliche Wein

       wächst, Liebfrauenmilch geheißen, der Kutscher aber

       wußte nicht, wohin sie fahren wollte, und fragte sie,

       da sprach sie ganz stolz: Zu meiner Muhme nach

       Liebfrauen – und meinte mit der Muhme die Jungfrau

       Maria. So sehr hob sich der Dalberge Geschlecht zur

       Blüte, daß zu Worms nach ihnen eine Gasse ausschließlich

       die Kämmerergasse hieß; auch standen unmittelbar

       unter diesen Kämmerern von Worms des

       Heiligen Reiches Kammerknechte, die Juden. Und

       wenn die deutschen Könige und Kaiser nach ihrer

       Krönung junge Edle durch den Ritterschlag erheben

       wollten, so mußte jedesmal vor allen andern der Herold

       ausrufen und fragen: Ist kein Dalberg da?

       47. Wormser Wahrzeichen

       Am westlichen Portal des uralten Domes Unserer Lieben

       Frauen zu Worms ist als ein steinern Bildwerk

       ein Weib mit einer Mauerkrone zu erblicken, reitend

       auf einem seltsamen vierfüßigen Tiere – das wird

       eines der Wahrzeichen der Stadt Worms genannt und

       ist vielfach ausgedeutet worden. Manche meinen, das

       Frauenbild stelle dar die Babylonierin der Apokalypse,

       andere die triumphierende christliche Kirche; noch

       andere meinten, es sei Brunhild, die Gemahlin des

       Austrasierkönigs Siegberth, über welche, nachdem sie

       bereits achtzig Jahre alt geworden, ein furchtbares

       Strafgericht ihrer Herrschsucht wegen gehalten ward.

       Drei Tage lang wurde Brunhild gemartert, alsdann auf

       ein Kameel gesetzt und allem Volke zur Verspottung

       darauf umhergeführt, endlich an eines wilden Hengstes

       Schweif gebunden und dahingeschleift über Stock

       und Steine. Ein anderes Wahrzeichen findet sich am

       Dome außerhalb als seltsames Steingebilde, das stellt

       den Teufel dar mit seiner Großmutter, und zwar sucht

       das liebholde Enkelchen etwas, was man nicht gerne

       nennt, vom Kopf der Großmutter zu entfernen.

       Weiter zeigt sich auf freier Straße westlich vom

       Dom nach St. Andreaspforte zu ein Felsstück, das

       warf vom Rosengarten, einer Insel im Rhein, welche

       berühmt ist durch das alte Heldenbuch, ein Recke bis

       herein in die Stadt. Ohnweit davon ward eine Stange

       aufbewahrt, so auch lange zu sehen, war groß wie ein

       Weberbaum, war spitz und dreiundzwanzig Werkschuh

       lang. Das soll, wie die Sage geht, der Weberbaum

       gewesen sein, mit welchem der hörnene Siegfried

       den Drachen erschlug, wie im Volksbuche zu

       lesen. Eine andere Riesenstange, sechsundsechzig

       Werkschuh lang, ward vordessen im Dome aufbewahrt,

       auch hat man lange Jahre hindurch bis zum

       großen Brande zu Worms des hörnen Siegfrieds Grab

       gezeigt.

       48. Die Königstochter vom Rhein

       Vor grauen Zeiten soll das alte Worms auch die

       Hauptstadt des burgundischen Reiches gewesen sein.

       Ein Zigeunerweib stahl aus der Insel des Rosengarten

       eine Königstochter in einem kleinen Badewännlein

       und trug sie über den Rhein. Niemand wußte, wo das

       Kind hingekommen. Sein Vater grämte sich zu Tode,

       und seine Mutter starb fast vor Herzeleid. Achtzehn

       Jahre gingen darüber hin, da ritt der Königssohn

       durch einen Wald, fand dort ein Wirtshaus und kehrte

       ein; den Wein, den er begehrte, brachte ihm eine

       schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen wohlgefiel.

       Da er nun eines Fußbades begehrte, so rüstete ihm

       das die Maid mit frischen grünen Kräutern und brachte

       es in einem Badewännlein dargetragen. Die Wirtin

       aber war ein häßliches, altes, braunes Weib, die gab

       der Maid böse Rede und sagte dem jungen Rittersmann,

       den sie nicht kannte, daß jene nur ein Findelkind

       sei, vor langen Jahren von ihr angenommen und

       auferzogen zu einer Dienstmagd. Wie aber der Königssohn

       sich das Badewännlein ansah, gewahrte er

       mit Staunen daran das burgundische Wappenschild

       und dachte bei sich selbst: Wie kommt dieses Wännelein

       mit dem Wappen meines Stammes in dieses

       schlechte Wirtshaus? Und da fiel ihm bei, gehört zu

       haben, daß vor langen Jahren sein Schwesterlein zusamt

       dem Wännchen, in dem es gebadet worden, aus

       dem Rosengarten verschwunden sei, und daß seine

       Mutter ihm oft erzählt, das Schwesterlein habe ein

       Malzeichen am Halse gehabt, und dasselbe Zeichen

       entdeckte nun alsobald der Königssohn am Halse der

       Dienerin. Da grüßte und umfing er sie als seine liebe

       Schwester, und als die Wirtin hereintrat, fragte er

       diese, von wem und von wannen sie diese edle Jungfrau

       habe. Die Wirtin erschrak gar sehr, zitterte und

       erbleichte und fiel auf die Kniee. Sie hatte, da die

       Wärterin nur auf eine kurze Zeit sich entfernt, Kind

       und Wännlein davongetragen und war eilend in einem

       Kahn über den Rhein hinübergefahren.

       Da zog der Königssohn sein Schwert, das war sehr

       spitz und scharf, und stach die böse Wirtin damit in

       das