es, was der fahrende Schüler riet: Ein Stierkalb nehmt
ihr, das füttert ihr bei Leib und Leben mit nichts als
frischer Milch. Im ersten Jahr von einer Kuh, im
zweiten von zwei Kühen und so fort, alle Jahre die
Milch von einer Kuh mehr. Nach vollendeten neun
Jahren laßt ihr den Ochsen durch eine reine Jungfrau
hinauf auf die Alpe führen, dann wird der Ochse mit
dem Untier kämpfen und es bezwingen. Das geschahe
denn, die Urner erbauten einen Stall, darin sie das
Stierkalb aufzogen, des Stelle zeigt man heute noch
und nennt sie den Stierengaden. Dann leitete nach
vollendeten neun Jahren eine reine Jungfrau denselben
zur Alpe hinauf und verließ ihn. Gleich erschien das
greuliche Untier, und der Stier stürzte sich auf dasselbe
und kämpfte lange und sehr heftig mit ihm, bis er
es endlich überwand und zu Tode stieß. Ganz erhitzt
von dem Kampfe rann der Stier nach dem Bache hin
und trank und trank ohn Ende, bis er hinstürzte und
auch tot war. Davon hat der Bach den Namen Stierenbach
erlangt, und oberhalb desselben sieht man noch
im Felsgestein die Hufe des Stieres eingedrückt, mit
denen er sich im Kampfe gegen das ungeheuerliche
Bergwunder stemmte.
23. Der Besserstein
Im Aargau, da, wo Reuß und Limmat in die Aar und
die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der
trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg.
Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste
und festeste, hatte seine Herzensfreude daran, gedachte
in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in
Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer
Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte
er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle
Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die
Humpen kreisten. Der Ritter von Villigen sprach zu
den Söhnen: Da schaut nun, wie gut sich's hier wohnen
wird in der Pracht der Gegend, rund um uns her
unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis
der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den
Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz,
den Dürftigen ein Hospitium! So wollt ich's haben.
Ja, Vater, sprachen die Söhne, das ist traun eine
wackre Trutzburg worden; da mag sich das nichtsnutzige
Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von
hier aus, wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen.
Von hier aus können wir Zölle legen auf die
Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der
ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit
unser Gut sich mehre und unser Name ein gefürchteter
sei im Rhein- und Schweizerlande. – Als der Herr von
Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es
ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen,
und zürnend brach er aus: Entartete Söhne! So
ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern! –
Und warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in
tausend Scherben zerklirrte. Wie dieser Humpen zertrümmert
liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust
und meine Freude, zertrümmert liegen! – Und berief
seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk,
und hieß sie den neuen Bau abbrechen und verfluchte
die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginnen werde.
Besser Stein, ein wüster Stein, als eine Zwingburg
des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edeln
Namen derer von Villigen häuft! rief er – und seitdem
liegt auf dem Geißenberge der öde Mauerrest und
heißt allwege im Volke der Besserstein.
24. Der Kreuzliberg
Auch im Aargau, ohnweit Baden, wohnte auf einem
Burgberge eine Königstochter, die oft zu einem nahen
Bühel ging, wo sie im Schatten ruhte und der schönen
Landschaft sich freute. Sie wußte aber nicht, daß Geister
in dem Bühel hausten, deren Art keine gute war.
Eines Tages kam sie abermals zu ihrem Lieblingsplatz,
aber kaum erkannte sie ihn wieder; wildes Geklüft
und geborstenes Erdreich starrte ihr da entgegen,
wo sie noch kurz zuvor auf schwellendem Moos im
kühlenden Baumschatten geruht hatte, und weit hinab
in die Tiefe gähnte eine jähe Schlucht. Die Jungfrau
aber war unerschrocknen Sinnes, weil sie rein und
schuldlos war, und so setzte sie die Füße in den düstern
Gang, um zu schauen, wie es darinnen beschaffen
sei. Da gewahrte sie, daß es ein ungeheurer Keller
war, Fässer lagen da über Fässern, und siehe, schreckhafte
Gestalten huschten an sie heran, ergriffen sie an
den Händen und zogen sie über alle die Fässer weiter
und weiter zur Tiefe fort, so daß sie endlich aus Angst
und Bangigkeit die Besinnung verlor und nicht mehr
wußte, was mit ihr geschah. Da sie nun in der Burg
daheim vermißt wurde, ward ausgesandt, sie zu suchen,
und ward also gesucht an allen Orten und Enden
ringsumher. Siehe, da fand sie einer nicht gar weit
von dem Geisterhügel auf einer kleinen Anhöhe stehend,
mit in die Erde gewurzelten Füßen, der Leib
steinhart und die Arme in Äste ausgewachsen und gen
Himmel ausgestreckt, wie die Jungfrau Daphne in der
heidnischen Fabel. Alle, die das sahen, entsetzten sich
vor dem grausenhaften Anblick solcher Baumverwandlung,
und da ward nach dem nahen Kloster Wettingen
hinübergesendet, von dort ein Wunderbild zu
holen. Als das Bild gebracht ward, da schwand der
unheimliche Zauber, der die Königstochter umstrickt
hatte, und sie ward wieder erlöset. Des zum Andenken
setzte man ein Kreuz auf den Berg, wo diese
Sache sich begeben, der hieß fortan der Kreuzliberg,
und jener Bühel, darin die Jungfrau die Fässer erblickt,