in Dienst und hieß ihn die nächste Nacht mahlen. Der
neue Bursch hatte schon von dem Mühlspuk gehört,
fürchtete sich nicht, ließ sich gegen Mitternacht vom
Glöcklein wecken, schüttete frisch auf, tat einen guten
Zug aus der Bulle und legte sich auf ein paar Mehlsäcke,
zu schlafen, neben sich legte er aber die scharfgeschliffene
Mühlbarte. Er war noch nicht ganz eingeschlafen,
als die Türe der Meisterstube, die herein in
das Werk führte, aufging und ein schwarzer Zottelbär
in die Mühle getreten kam. Er schnoperte und griff
erst am Beutelkasten herum, ging zum Scheidekasten,
schritt die Treppe hinauf an die Trommel und wurde
jetzt den neuen Mahlburschen gewahr, der, die Hand
am Beile, die ganze Zeit über den Bären beobachtet
hatte, denn die Laterne brannte hell. Jetzt reckte der
Bär mit Gebrumm die eine Tatze nach dem Burschen
aus, der, nicht faul, hob das Beil, hieb zu, und die
Tatze lag am Boden. Laut auf heulte der Bär und
stürzte in die Meisterstube zurück. Als man am andern
Morgen das Frühmahl einnahm, fehlte die Müllerin;
sie lag im Bette, und fehlte ihr der rechte Vorderarm,
da holte der Bursche die Tatze, und die Tatze
war der Vorderarm, und die Müllerin war eine unholde
Hexe. Solchen Hexenspuk mit Müllerinnen, die
auch als Katzen erscheinen und arge Teufeleien treiben,
erzählt man sich auch viel in Thüringen und
Sachsen.
34. Chorkönig
Das alte Münster zu Straßburg hatte Chlodwig erbaut,
der Frankenkönig; es war ursprünglich nur ein
hölzern Gebäu, und im Jahre 1002 brannte es Hermann,
Herzog von Elsaß und Schwaben, der mit Kaiser
Heinrich um die Kaiserkrone stritt, fast ganz zum
Grunde nieder, doch blieb das Chor Karl des Großen
stehen, aber 1007 schlug das Wetter hinein, und der
Rest des Baues sank in Trümmer. Da geschah es, daß
Kaiser Heinrich II. im Jahre 1012 gen Straßburg kam,
des Münsters Untergang beklagte und sich die Regel
und Ordnung der Chorherren vorlegen ließ, die gefiel
ihm also wohl, daß er bei sich beschloß, der Bürde
seiner Königskrone zu entsagen und ein Chorherr in
Unser Lieben Frauen Münster zu Straßburg zu werden.
Das erschreckte gar sehr alle seine Getreuen,
denn das Reich bedurfte seiner, und redeten ihm zu,
von diesem Vorhaben abzustehen; Kaiser Heinrich
aber, den man seines frommen Sinnes und seiner
Mildtätigkeit gegen Klöster und Stifte den Heiligen
nannte – er war auch der Begründer des Bistums
Bamberg – wollte mitnichten von seinem Vorsatz lassen.
Nun war zu Straßburg ein Bischof, der hieß Werinhard,
als dieser sahe, daß der Kaiser sich nicht abbringen
ließe von seinem Vorhaben, so nahm er vor,
ihm die geistlichen Gelübde abzunehmen, vor allem
das Gelübde des Gehorsams. Wie der Kaiser das geleistet
hatte, befahl er ihm kraft Gottes und in dessen
Namen, die Kaiserkrone zu behalten und des Reiches
Regiment und Herrschaft, das seiner nicht entraten
könne. Der Kaiser sah sich überlistet, doch gebot er,
so solle fortan an seiner Statt ein anderer Chorherr im
Frauenmünster Gott dienen und das Amt versehen
und am Altar für ihn singen und beten, der solle der
Chorkönig heißen. Stiftete auch eine reiche Pfründe in
das Gotteshaus, das war die Chorkönigspfründe, die
hat bestanden weit über tausendundsiebenhundert
Jahre. Und Bischof Werinhard war es, der hernach im
Jahre 1015 den Grundstein zu dem steinernen Münster
in Straßburg legte.
35. Sankt Ottilia
Es saß auf Hohenburg ein stolzer Graf, Herr Attich
geheißen, dessen Frau gebar ihm ein Mägdlein, und
das war blind. Darob ergrimmte Herr Attich und
schrie: Ein blindes Kind will ich nicht, fort mit dem
Wurme, und schlagt ihm den Schädel an einem Felsen
ein!, und tobte fort, die Mutter aber sandte alsbald die
Amme in Begleitung treuer Knechte mit dem blinden
Kinde weit, weit von dannen, gen Palma, das liegt
jenseits der Alpenberge in Friaul, dort war ein Frauenmünster,
und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein
gebracht. Im Bayerlande aber war ein Bischof mit
Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme:
Mache dich auf gen Palma in das Stift, dort findest du
ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia
heißen. Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des
Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma
in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete
es, und siehe, da gingen über der Taufe dem
Kinde die Augen auf, und ward sehend. Und Ottilia
blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen
züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der
Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu
warten. – Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht,
daß er Reue und Leid fühlte ob seines von
ihm verstoßnen Kindes willen, und es trieb ihn zu
einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen,
und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog
er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das
Wunder, das mit ihr sich begeben, und führte sie zurück
nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter.
Glanz und Reichtum umgab das holde fromme Kind,
aber das alles lockte sie nicht, und auch als der Ruf
ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend
verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um
ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet,
wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun
unter diesen Freiern ein reicher Graf