31. Das Riesenspielzeug
An einem wilden Wasserfall in der Nähe des
Breuschtales im Elsaß liegen die Trümmer einer alten
Riesenburg, Schloß Nideck geheißen. Von der Burg
herab ging einstmals ein Fräulein bis schier gen Hasloch,
das war des Burgherrn riesige Tochter, die hatte
noch niemals Menschenleute gesehen, und da gewahrte
sie unversehens einen Ackersmann, der mit zwei
Pferden pflügte, das dünkte ihr etwas sehr Gespaßiges,
das kleine Zeug; sie kauerte sich zum Boden nieder,
breitete ihr Schürztuch aus und raffte mit der
Hand Bauer, Pflug und Pferde hinein, schlug die
Schürze um sich herum, hielt's mit der Hand recht fest
und lief, was sie nur laufen konnte, und sprang eilend
den Berg hinauf. Mit wenigen Schritten, die sie tat,
war sie droben und trat jubelnd über ihren Fund und
Fang vor ihren Vater, den Riesen, hin, der gerade
beim Tische saß und sich am vollen Humpen labte.
Als der die Tochter so mit freudeglühendem Gesicht
eintreten sah, so fragte er: Nu min Kind, was hesch so
Zwaselichs in di Furti? Krom's us, krom's us! – O
min Vater! rief die Riesentochter, gar ze nettes Spieldinges
ha i funden. – Und da kramte sie aus ihrem
Vortuch aus, Bauer und Pferde und Pflug, und stellt's
auf den Tisch hin und hatte ihre Herzensfreude daran,
daß das Spielzeug lebendig war, sich bewegte und
zappelte. Ja min Kind, sprach der alte Riese, do hest
de ebs Schöns gemacht, dies is jo ken Spieldings nit,
dies is jo einer von die Burn; trog alles widder fort
und stells widder hin ans nämlich Plätzli, wo du's genommen
hast! – Das hörte das Riesenfräulein gar
nicht gern, daß sie ihren Fund wieder forttragen sollte,
und greinte, der Riese aber ward zornig und schalt:
Potz tusig! daß de mir net murrst! E Bur ist nit e
Spieldings! Wenn die Burn net ackern, so müssen die
Riesen verhungern! – Da mußte das Riesenfräulein
seinen vermeintlichen Spielkram als wieder forttragen
und stellte alles wieder auf den Acker hin.
Diese Sage wird auch von manchem andern Ort in
Deutschland erzählt, und zwar auf ganz ähnliche
Weise, vom Schlosse Blankenburg oder Greifenstein
ohnweit Schwarzburg im Thüringerlande, auch vom
Lichtenberg im Odenwalde, allwo gewaltige Riesen
hausten.
32. Der Krötenstuhl
Im Elsaß war eine Burg, hieß Nothaeder, auf der
wohnte ein Herzog, welcher eine überaus schöne
Tochter hatte. Sie war aber nicht weniger stolz als
schön, kein Freier, so viel deren kamen, ihre Hand zu
erlangen, war ihr gut genug, und mancher nahm sich
das Leben, weil er ihre Gunst nicht erlangen konnte.
Der letzte, der das tat, verwünschte die hartherzige
Jungfrau in einen harten Steinfelsen, und daß sie nur
alle Freitag einmal sichtbarlich sich zeigen dürfe, aber
auch nur alle drei Wochen einmal in ihrer wahren Gestalt
als Jungfrau, zum andern Mal als eine Schlange
und zum dritten als eine häßliche Kröte. Jeden Freitag
kommt sie nun hervor, wäscht oder badet sich auf
dem Felsen an einem Quellborn und sieht sich um
nach allen Weiten, ob kein Erlöser nahe. Wollte jemand
an das Wagestück gehen, der muß an einem
Freitag auf den Felsen gehen, da findet er eine Muschel,
darin liegen drei Wahrzeichen: eine dunkelgelbe
Schlangenschuppe, ein Stückchen grasgelbe Krötenhaut
und eine goldgelbe Haarlocke. Diese drei
Dinge muß der Befreier zu sich stecken und bei sich
tragen und zur Mittagsstunde am nächsten Freitag
wieder hinauf auf den wüsten Felsen steigen, und
zwar dreimal, und muß einmal die Schlange, zum an-
dern die Kröte, zum dritten die Jungfrau küssen. Das
war mehr verlangt als bei der schönen Schlangenjungfrau
im Heidenloch bei Augst, eine Schlange und eine
Kröte zu küssen, ohne zu entfliehen! Wem das aber
möglich ist, der erlöset die Verzauberte, bringt sie zur
Ruhe und wird durch ihre Schätze unermeßlich reich.
Schon mancher fand die Merkzeichen, wagte sich in
die öden Burgtrümmer und kam nimmermehr wieder,
sei es, daß, ehe er den Kuß gewagt, Furcht und Grausen
ihn tötete, sei es, daß er den Kuß wagte und vor
Entsetzen in des Todes Arme sank, denn wie lieblich
sie als Jungfrau erscheint, immer gleich jung, niemals
gealtert, so schrecklich ist sie als Kröte, nämlich so
groß wie etwa ein mäßiger Backofen, und spaucht
Feuer – wer kann da küssen? Am allerschrecklichsten
ist sie als Schlange, lang und stark wie ein Heubaum.
Einmal hatte ein kecker Bursch doch sich überwunden
und die Schlange geküßt, da war die Schlange hinweg,
nun kam die Kröte, die war über alle Maßen abscheulich
anzusehen, das Eingeweide drehte sich ihm
im Leibe um, und er entrann; die Kröte aber hüpfte
plump und schwer hinter ihm her und verfolgt' ihn bis
zum Krötenstuhl – und spie ihm den Berg hinab noch
ganze Bündel Feuer nach.
33. Der Mühlenbär
Im Elsaß, in der Gegend von Niederbronn und Gunthershof,
liegt eine Mühle, in der sollte es gar nicht
richtig sein, ein Bär sollte in ihr spuken. Wenn ein
Mühlarzt zugereist kam oder aber am Werk etwas
verbrochen war und ein solcher berufen werden
mußte, blieb keiner länger denn eine Nacht in der
Mühle, denn das Gespenst litt sie nicht, und zuletzt
drohte ihr Verfall und dem Müller Verarmung, denn
es blieb auch kein Mahlbursche. Da kam eines Tages
ein frischer kecker Klapperbursche dahergewandert,
sagte sein Müllersprüchlein ohne Anstoß her und bot