seinen Untergang, und über die Alpe lagerten sich
Gletschereis und Felsentrümmer. Auf diesem öden
Gefild spukte nachher der Geist des Hirten umher und
klagte:
Ich und min Kathryn,
Min Kuh Brandlin,
Und min Hund, der Rhyn
Müssen stetig uf Klaride syn!
Es geht die Sage, diese umirrenden Geister wären
zu erlösen, wenn einmal an einem Karfreitag ein
frommer Senne die gespenstige Kuh ganz stillschweigend
ausmelke, der Dornen an den Handschuhen
habe. Einstmal wagt' es einer, ob die Kuh sich wegen
der Dornen noch so wild stellte, und hatte schon den
Eimer halb voll. Da klopft' ihn ein Mann auf die
Schulter und fragte: Schäumt's auch wacker? – Der
Senn vergaß des Schweigens Bedingung und sagte: O
ja, es schäumt wohl. – Da riß mit einem Ruck die
Kuh sich los, trat den Eimer um und verschwand, und
die Geister der Blümelis-Alp blieben unerlöst.
18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn
Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen
und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch
genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock,
das Matterhorn geheißen, darunter liegt der
Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes
Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen
nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo
jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis
der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht
die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf
seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige
oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude
gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er
der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in
sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende
Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen
Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt,
und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch
wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden
liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen
sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen.
Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird
hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und
Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur
Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch
muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen,
wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern
muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf
seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre
vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre
alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war,
da er nach Golgatha wanderte.
Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben
herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm
Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter
Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen
Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die
hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm),
den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein
armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch
ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn
hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau,
hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin!
sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so
hätt' ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr
leer geworden, so aber sei verflucht mit dem
ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der
Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten
Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde
unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr
sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über
diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-
Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach
Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.
19. Mutter Gottes am Felsen
Unterhalb Täsch, wo das Dorf St. Nicolaus das Nicolaital
beschließt oder dem, der im Gebirg von unten
heraufkommt, eröffnet, hebt sich hoch über St. Nicolaus
der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das
Tal; an dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild
von Stein. Früher stand es unten am Weg, da
flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört, da griff er, als
er wiederkam, hin und warf das Bild mit Unrat, und
da weinte das Bild. Dennoch warf er's noch einmal,
da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand,
dort stand's nun, und niemand konnt' es erlangen. Den
Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb
gehabt und es sehr verehrt und mochten's gar zu gern
wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener
Wand war gar zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen,
und keine Leiter reichte zu solcher
Höhe. Darauf wurden sie in St. Nicolaus Rates einig,
sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte
den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen
gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun
an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte
es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er
sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer
dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, daß es
nicht halten werde und er jämmerlich in den tiefen
Abgrund stürzen, und schrie: Zieht auf, zieht auf, der
Strick wird dünne! – Sie ließen ihn aber noch immer
weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätt' er's nehmen
können, aber da war das Seil dünn geworden wie
ein Haar, und er schrie nochmals: Um Gottes willen,