Die Ergebnisse in [31] zeigen eindeutig, dass das Schlafverhalten von der Zeitzone, d. h. von den Sonnenereignissen (Sonnenuntergang, Sonnenaufgang), abhängt. Diese Abhängigkeit kann schwächer werden, wenn größere Städte betrachtet werden. Dennoch sagt das statistisch abgesicherte Ergebnis eindeutig aus, dass das Timing-System der Menschen vom Sonnenlicht gesteuert wird.
Jedes Timing-System enthält einen Taktgenerator, eine biologische Uhr, die biokybernetisch gesehen ein biologisches System ist, dessen Eingangsgrößen die Synchronisationssignale von der äußeren Umwelt oder von dem eigenen internen (endogenen) System des Lebewesens erhalten. Es ist bei Weitem nicht optimal, wenn sich der eigene Biorhythmus und die Zyklen der Umwelt (wie Hell-Dunkel-Zyklus, Arbeitszeit, Schichtarbeit) stark voneinander unterscheiden. Daher ist eine auf eine natürliche Weise selbstständige Synchronisation zwischen den Rhythmen der Umgebung und dem eigenen Rhythmus wünschenswert.
Die Synchronisierung zwischen einem Zeitgeber (Taktgeber) und dem eigenen Organismus wird dabei als Entrainment bezeichnet. Wie oben beschrieben ist das natürliche Licht (Sonnenlicht) der wichtigste und prägendste Zeitgeber. Bei Säugetieren und bei Menschen gibt es im Timing-System eine hierarchisch strukturierte Architektur, deren zentraler Zeitgeber die SCN-Einheit ist. Die Zellen innerhalb des SCN können sich untereinander synchronisieren und synchronisieren nach außen die Rhythmen der einzelnen Körperorgane und Körperfunktionen der unteren Stufen. Zu den wichtigsten Körperfunktionen, die einer zirkadianen Periodizität unterliegen, gehören die Melatoninausschüttung, die Cortisolsynthese über den Tag und die Körperkerntemperatur, deren tägliche Verläufe in der Abb. 3.12 dargestellt sind.
3.4.3 PRC-Funktion, Phasenverschiebung
Nach der Erkenntnis, dass das Sonnlicht der dominanteste Zeitgeber für den humanen Biorhythmus ist, wird nun die Frage interessant und relevant, wie die Änderungen des Sonnenlichts durch die wechselnden Wettereinflüsse (Regen, Schnee, Sturm, Bewölkung) auf die Synchronisation der biologischen Uhr einwirken. Es ist ebenfalls relevant zu fragen, wie die Phasenlage der zirkadianen Periodizität von der Lichtintensität und von der Uhrzeit der Lichtexposition abhängt. Diese Frage führt zu der sog. PRC-Kurve (engl. phase response curve, s. Abb. 3.14).
Diese in der Entrainment-Theorie bekannte Kurve (s. Abb. 3.14) beruht auf dem Grundprinzip, dass ein Lichtreiz, der auf die Netzhaut eintrifft, die biologische Uhr verstellen kann. Der Betrag der Phasenlageverschiebung hängt von der Lichtintensität und der spektralen Strahlungszusammensetzung ab, während die Richtung der Phasenverschiebung vom Zeitpunkt der Lichteinwirkung abhängt.
Abb. 3.14 Phase response curve (PRC). Quelle: TU Darmstadt.
An dem Verlauf der PRC-Kurve in der Abb. 3.14 erkennt man, dass die Lichtexpositionen zwischen 12 und 20 Uhr kaum bzw. keine Phasenverschiebung verursachen. Lichteinwirkungen auf den Abendoszillator des zentralen Schrittmachers zwischen 20 und 5 Uhr am frühen Morgen stellen diesen Oszillator nach (engl. delay shift). Der Übergang zwischen Phasenverzögerung (Abendoszillator ist aktiv) zur Phasenverkürzung (Voreinstellung, der Morgenoszillator ist aktiv) ist sehr schnell in der Zeit um 5 Uhr morgens. Die höchste Effizienz der Phasenverkürzung wird um 6–7 Uhr morgens erreicht. Es kann täglich eine Phasenverschiebung von etwa max. 3 h erreicht werden.
Im Abschn. 9.4.2 dieses Buches werden Lichtwirkungen in den nächtlichen Stunden mit polychromatischem weißem Licht, u. a. die Phasenverschiebung in der Abb. 9.31 und in der Tab. 9.5, ausführlich beschrieben. In [32] wird über eine Forschungsarbeit berichtet, die die Wellenlängenabhängigkeit der Phasenverschiebung des Melatoninrhythmus untersuchte. Die untersuchten Wellenlängen waren dabei 660 nm (rot), 595 nm (bernsteinfarben, engl. amber), 525nm (grün), 497nm (grünblau) und 470nm (blau). Die Lichtquellen waren Halbleiter-LEDs. Fünfzehn Testpersonen nahmen am Test mit allen Wellenlängen sowie an einer Referenzbedingung mit keinem Licht teil. Jede Lichtbedingung durchlief zwei aufeinander folgende Nächte (Nacht 1 und Nacht 2). Die Speichelproben für die Melatoninanalyse wurden immer jeweils 30 min von 19:00–2:00 Uhr (Nacht 1) und von 19:00– 1:00 Uhr (Nacht 2) entnommen. Die Lichtexposition bei jeder Testbedingung wurde für die Nacht 1 zwischen Mitternacht und 2:00 Uhr durchgeführt. Der Zeitpunkt der Melatoninanstiege (engl. dim light melatonin onset, DLMO) in den beiden Nächten wurde jeweils gemessen, woraus die Phasenverschiebung errechnet wurde. Die kürzeren Wellenlängen (470 und 497 nm) verursachten die größere Phasenverschiebung zwischen 27 und 36 min.
3.4.4 Chronotypen, Schlafverhalten
Die Bestimmung der freilaufenden zirkadianen Periodendauer kann anhand der Bestimmung der Periodizität der Verläufe von Melatoninausschüttung, Cortisolsynthese und Körperkerntemperatur (CBT) realisiert werden. Eine Forschungsarbeit dazu wurde an zwei Altersgruppen von Czeisler et al. [33] durchgeführt, deren Ergebnisse in der Tab. 3.1 dargestellt sind.
Aus der Tab. 3.1 geht hervor, dass die intrinsische zirkadiane Periodendauer nicht vom Alter und vom physiologischem Mechanismus (CBT, Cortisol, Melatonin) abhängt. Diese Mechanismen unterliegen also der zentralen periodischen Steuerung des zentralen Schrittmachers.
Tab. 3.1 Freilaufende intrinsische zirkadiane Periodendauer. Quelle: Basierend auf Czeisler et al., 1999 [33].
Altersgruppe | Mittleres Alter (Jahre) | Periodendauer CBT (h:min) | Periodendauer Melatonin (h:min) | Periodendauer Cortisol (h:min) |
---|---|---|---|---|
Jung | 23,7 ± 2,7 | 24:10 | 24:11 | 24:11 |
Älter | 67,4 ± 3,2 | 24.10 | 24:13 | Keine Angabe |
Abb. 3.15 Zirkadiane und homöostatische Komponenten der Wachheit über zwei Tage. Quelle: Basierend auf Vandahl et al., 2009 [20]/Technische Universität Ilmenau.
Die freilaufende zirkadiane Periodendauer