Der Wach-Schlaf-Zyklus enthält Verläufe von Wachheit am Tag und Schlafphasen in der Nacht und setzt sich in einer ersten Näherung additiv aus einem zirkadianen Rhythmus mit einer zirkadianen Komponente C (s. Abb. 3.15) und aus einer homöostatischen Komponente S des sog. Schlafhomöostaten zusammen. Beide Komponenten verlaufen über den Tag periodisch.
Von etwa 20–8 Uhr sinkt die Wachheit in der zirkadianen Komponente (s. Abb. 3.15) und erreicht ein Minimum um 8 Uhr. Danach erhöht sich die Wachheit stetig bis ca. 20 Uhr. Während eines angenommenen Schlafs zwischen 0–8 Uhr sinkt diese zirkadiane Komponente, während der homöostatische Schlafdruck sinkt und die homöostatische Wachheit ansteigt. In der Summe sinkt die Wachheit während des nächtlichen Schlafs bis etwa 5 Uhr am frühen Morgen und steigt danach an. Am Tag zwischen etwa 8–20 Uhr sinkt die homöostatische Wachheit wieder stetig, während die zirkadiane Komponente ansteigt. Als Ergebnis erhöht sich die Summe der Wachheit am Tag zwischen etwa 5–18 Uhr, um danach wieder zu sinken. Man kann auch feststellen, dass die beiden Komponenten zwischen 0– 20 Uhr gegenläufig verlaufen. Sie verlaufen in der gleichen Richtung zwischen 20 Uhr und Mitternacht (0 Uhr) und helfen den Menschen, sich auf den Schlaf vorzubereiten.
Die Lichtwirkungen in den nächtlichen Stunden sind in Abschn. 9.4.2 beschrieben. Die Wachheit in den Tagesstunden ist in Abschn. 9.7.2 detailliert dargestellt.
3.5 Ausgangsgrößen des visuellen und des nicht visuellen Gehirnverarbeitungsapparats: eine Systematik
In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Eingangsgrößen des Gesamtsystems der Gehirnverarbeitung sowie dessen visuelle und nicht visuelle Verarbeitungsnetzwerke dargestellt. In diesem vorliegenden Abschnitt werden die Ausgänge dieses Systems beschrieben. Diese Ausgangsgrößen werden in physiologisch-fotometrische Kenngrößen (Sehleistung/Arbeitsleistung), in farbmetrisch-psychologisch-emotionale Attribute und in nicht visuelle Metriken unterteilt. Es ist allerdings nicht immer möglich, diese drei Gruppen so klar voneinander zu trennen. Die Emotionen haben z. B. zum guten Teil mit der Wachheit zu tun und eine kurze Reaktionszeit hat ebenfalls ihre Wurzeln in einem hohen Helligkeitskontrast. Die Separation der Metriken dient dem Zweck, die hohe Komplexität der Signalverarbeitung in einzelne Teilthemen zu zerlegen und auch in diesem Buch diese Teilthemen in einzelnen Kapiteln ergebnisorientiert zu beschreiben. Das gesamte Ergebnis der Darstellungen in den einzelnen Kapiteln mündet in eine gesamte Beleuchtungskonzeption in Kap. 12 am Ende dieses Buches.
Die Systematik der Ausgangsgrößen ist in der Abb. 3.16 zusammenfassend dargestellt.
Aus der Abb. 3.16 geht Folgendes hervor:
• Die fotometrischen Kenngrößen dienen hauptsächlich der Charakterisierung der Sehleistung und der Arbeitsleistung, wie sie in Kap. 4 dargestellt werden.
• Die Helligkeit und visuelle Klarheit, die die bisherigen, rein fotometrischen Kenngrößen mit den Signalen der ipRGC und der S-Zapfen beinhalten, werden in Kap. 5 vorgestellt.
• Die Farbqualität bildet die Schwerpunkte der Licht- und Farbforschung seit etwa 2002 bis heute. Die Forschungsarbeiten erzielten seitdem große Fortschritte und werden in Kap. 6 diskutiert.
• Die beiden Komponenten Farbqualität und Arbeitsleistung/Sehleistung führen zu der neuen Modellierung und Verifikation der Lichtqualität in Kap. 7.
• Der visuelle Komfort, die Leuchtdichteverteilung der Wände und der Decke, die stroboskopischen Effekte bilden weitere Aspekte der Beleuchtungsqualität in Kap. 9.
• Die nicht visuellen Aspekte werden in diesem vorliegenden Kap. 3 und danach auch ausführlich in Kap. 9 erörtert.
• Alle o. g. Aspekte führen zu einem Konzept der Beleuchtungsplanung bzw. Lichtplanung in Kap. 12. Das ist das Ergebnis der Strategie und Philosophie unter dem Oberbegriff Human Centric Lighting oder Integrative Lighting. Diese beiden Begriffe haben unterschiedliche Historien aber den gleichen Inhalt und die gleichen Ziele.
3.6 Grundaspekte von Human Centric Lighting – Integrative Lighting [35]
Bereits in den ersten Stunden der elektrischen Beleuchtungstechnik zum Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitete die Lichtforschung an Konzepten und Kennwerten, um die visuelle Leistung der Menschen auf der Arbeit und zu Hause zu verbessern. Der Mensch stand und steht daher bereits im Mittelpunkt der Beleuchtungstechnik, die geschichtlich unterschiedliche Stufen des Wissens und der technologischen Möglichkeiten durchlief. Aus der heutigen Sicht kann man die humanzentrierte Beleuchtung gemäß der Formulierung von Boyce wie folgt beschreiben (s. [34]):
Abb. 3.16 Ausgangsgrößen des visuellen und nicht visuellen Gehirnverarbeitungsapparats – eine Systematik. Quelle: TU Darmstadt.
What the people who talk about human-centric lighting mean is lighting that considers both the visual and non-visual effects of exposing humans to light and that widens the range of possible effects from visual performance and comfort to sleep quality, alertness, mood and behaviour with consequences for human health, learning and spending.
(Was die Menschen meinen, wenn sie über Human Centric Lighting sprechen, ist eine Beleuchtung, die sowohl die visuellen als auch die nicht visuellen Effekte der Lichtexposition des Menschen berücksichtigt und die die Bandbreite möglicher Effekte von der Sehleistung und dem Komfort bis hin zur Schlafqualität, der Wachsamkeit, der Stimmung und dem Verhalten mit Konsequenzen für die menschliche Gesundheit, das Lernen und das Ausgeben von Geld erweitert.)
Im Sinn der Lichtforschung besteht der Rahmen Human Centric Lighting somit aus visuellen und nicht visuellen Effekten mit ihren Komponenten visuelle Leistung, emotionale Aspekte wie Stimmung (engl. mood), Verhalten (engl. behaviour) sowie nicht visuelle Wirkungen wie Schlafqualität und Wachheit (engl. alertness). Der Begriff Human Centric Lighting ist somit das primäre Ziel der Beleuchtungstechnik und umfasst die Aktivität der Entwicklung der passenden Lichtprodukte, der Lichtplanung und der konkreten Lichtinstallation und Lichtprogrammierung vor Ort mit dem Ziel, die lichttechnischen Bedürfnisse der Nutzer/-innen in einem konkreten Nutzungskontext optimal zu befriedigen.
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